Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro gründet seine eigene Partei

Mit Gott, Familie und Knarre

Brasiliens rechtsextremer Präsident Jair Bolsonaro arbeitet am autoritären Umbau des Staats. Vergangene Woche gründete er eine eigene Partei, deren Vorsitzender er ist.

Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro muss sich dieser Tage häufig ­ärgern. Erst wirft man ihm vor, in den Mord an der linken Politikerin Marielle Franco verwickelt zu sein, dann wird sein Rivale und Amtsvorgänger Luiz Inácio Lula da Silva von der Arbeiterpartei (PT) aus dem Gefängnis entlassen. Bolsonaros Zustimmungswerte in der Bevölkerung sinken und schließlich tritt er nach Streitigkeiten mit dem Parteivorsitzenden Luciano Bivar auch noch aus der rechtskonservativen Sozialliberalen Partei (PSL) aus.

Die Allianz für Brasilien will Gott, Familie, Heimat und Waffenbesitz in den Mittelpunkt ihrer Politik stellen.

Bolsonaro gehörte bereits neun verschiedenen Parteien an, als Kandidat des PSL gewann er 2018 die Präsidentschaftswahlen. Am 21. November ­kündigte er die Gründung einer neuen Partei an, der Allianz für Brasilien (APB). Den Vorsitz übernimmt er selbst, stellvertretender Vorsitzender ist sein ältester Sohn, Flávio Bolsonaro. Für die Kommunalwahlen im nächsten Jahr soll die Partei bereits eigene Kandidaten aufstellen. Um bei den Wahlen an­zutreten, muss die APB allerdings bis März 2020 mindestens 500 000 Unterschriften in neun Bundesstaaten sammeln. Dafür bedarf es physischer ­Unterschriften auf Papier. Am liebsten wäre es Bolsonaro, wenn dafür eine ­biometrische Wählerkartei mit Fingerabdrücken aller Wahlberechtigten ­eingeführt werden könnte.

Mit der neuen Partei will Bolsonaro die Stimmen evangelikaler Wählerinnen und Wähler gewinnen, von denen viele seine Präsidentschaftskandi­datur unterstützten. Die APB will nach eigenen Angaben Gott, Familie, Heimat und das Recht auf Waffenbesitz in den Mittelpunkt ihrer Politik stellen. Abtreibungen sowie »Sozialismus und Kommunismus« lehnt sie ab, ebenso »Globalismus« und jede »Ideologie, die sich gegen die natürliche Ordnung« richte. Bolsonaro hofft, dass ihm weitere Abgeordnete des PSL in die neue Partei folgen.

Darunter wird voraussichtlich auch sein dritter Sohn, Eduardo Bolsonaro, sein. Er ist Mitglied des von dem rechtsextremen US-amerikanischen Medien­strategen Steve Bannon gegründeten neurechten Think Tanks »The Movement«. Nach den Protesten in anderen lateinamerikanischen Ländern gefragt, sagte Eduardo Bolsonaro in einem ­Interview Ende Oktober: »Wenn sich die Linke in diesem Maße radikalisiert, müssen wir reagieren, und diese Reaktion könnte über ein neues AI-5 er­folgen.«

 

Das Dekret AI-5 war ein Notstandsgesetz des brasilianischen Militärregimes, das es der Regierung ermöglichte, das Parlament aufzulösen, Gerichts­beschlüsse zu ignorieren, die Medien zu zensieren und Grundrechte außer Kraft zu setzen. Präsident Artur da Costa e Silva, einer der Generäle der Militärdiktatur, die von 1964 bis 1985 dauerte, erließ das Dekret am 13. Dezember 1968. Es ermöglichte auch die Institutionalisierung staatlicher Folter. Die bra­silianische Wahrheitskommission kam 2014 zu dem Ergebnis, dass Folter und Mord nicht Exzessen einzelner übereifriger Offiziere und Geheimdienstmitarbeiter zuzuschreiben waren, sondern zur Staatsdoktrin gehörten.

Nachdem die brasilianische Presse über den Vorschlag Eduardo Bolsonaros berichtet hatte, entschuldigte dieser sich für seine Aussagen. Doch mit der Presse steht die Familie Bolsonaro ohnehin auf Kriegsfuß. Seit dem vergangenen Wahlkampf, in dem eine Desinformationskampagne über den Messengerdienst Whatsapp eine Rolle spielte, hat sich daran nichts geändert. Falsch­nachrichten und Verschwörungstheorien über den Präsidentschaftskandidaten der PT, Fernando Haddad, wurden damals in großer Zahl über Whatsapp versendet. Medien, die darüber berichteten, bezeichnete Bolsonaro als Verbreiter von »Fake News« und als »Kommunisten«.

Ende Oktober wies der Präsident alle Bundesbehörden an, ihre Abonnements der Tageszeitung Folha de São Paulo zu kündigen. Damit eiferte er seinem Vorbild Donald Trump nach, der US-Bundesbehörden aufgefordert hatte, Abonnements der New York Times und der Washington Post zu beenden. Zudem sagte Bolsonaro, jene Unternehmen, die in der Folha Werbeanzeigen schalten, sollten »aufzupassen«. Die Zeitung hatte mehrere Artikel über die Whatsapp-Desinformationskampagnen veröffentlicht. Mehrere Unternehmen hatten der Folha zufolge die Verbreitung von Falschnachrichten und Verschwörungstheorien über Haddad ­finanziell unterstützt.

In einem Video beschimpfte Jair Bosonaro im Oktober den Fernsehsender Globo, der ihn mit der Ermordung an Marielle Franco von der linken Partei für Sozialismus und Freiheit (PSOL) in Verbindung gebracht hatte: »Wir ­reden 2022 noch einmal. Ihr solltet hoffen, dass ich dann tot bin. Denn dann läuft eure Sendelizenz ab. Und es gibt dann keinerlei Ausnahmen mehr, weder für euch noch für andere.«

 

Bei einem im Internet live gestreamten Gespräch des Radiosenders Jovem Pan saßen sich der rechte Kolumnist Augusto Nunes und der US-amerikanische Journalist Glenn Greenwald gegenüber. Nunes kam auf die Adoptivkinder Greenwalds und seines brasi­lianischen Ehemanns David Miranda zu sprechen, mit denen beide in Rio de Janeiro leben, und äußerte in homophober Weise Zweifel an der Qualität der Betreuung der Kinder. Greenwald bezeichnete dies als feige, woraufhin Nunes ihn ohrfeigte. Eduardo Bolsonaro befand, Nunes habe »in legitimer Weise seine Ehre verteidigt«. 

Das Klima sei für Journalisten in Brasilien seit den Präsidentschaftswahlen 2018 insgesamt gefährlicher geworden, stellte Greenwald fest. Die Bolsonaro-Bewegung bevorzuge, wie die meisten autoritären Formationen, Einschüchterung und Gewalt gegenüber einer zivilen Diskussion – in Bezug auf ihre Gegner im Allgemeinen, aber vor allem auf Journalisten, die sie als Hindernisse betrachte, schrieb Greenwald in der New York Times. »Sie wissen, dass Transparenz und freier Diskurs die Haupt­hindernisse dafür sind, Brasilien in seine dunkelsten Tage zurückzuführen. Je mehr sie ihr wahres Gesicht zeigen, desto mehr Widerstand haben sie erfahren. Die Aufgabe von Journalisten, der Zweck einer freien Presse ist es, dafür zu sorgen, dass diese Wahrheit klar bleibt«, so Greenwald.

Einige Hoffnung, dass Zustände wie zu Zeiten der brasilianischen Militärdiktatur nicht zurückkehren, ruht derzeit auf dem Anfang November nach 580 Tagen Haft aus dem Gefängnis entlassenen ehemaligen Präsidenten Lula da Silva (Amtszeit von 2003 bis 2011). Der Oberste Gerichtshof Brasiliens hatte geurteilt, dass es unzulässig sei, in zweiter Instanz Verurteilte zu inhaftieren, solange noch nicht alle Rechtsmittel ausgeschöpft seien. Lula da Silva wurde daraufhin aus der Haft entlassen, bleibt aber vorbestraft und darf deswegen nicht für politische Ämter kandidieren. »Bolsonaro muss verstehen, dass er als ­Regierung für das brasilianische Volk gewählt wurde, nicht für die Militärs in Rio de Janeiro. Wir dürfen nicht zulassen, dass diese Militärs unser Land zerstören«, sagte Lula da Silva nach seiner Freilassung. Er wolle Brasilien »vom Wahnsinn befreien«. Am vergangenen Wochenende rief er auf dem Parteitag des PT zum Widerstand gegen Bolso­naro auf. »Im Mittelpunkt meiner Vision steht die Unterstützung der Brasilianer beim Wiederaufbau ihres Vertrauens in unsere politischen und rechtlichen Institutionen«, schrieb Lula da Silva in der Washington Post.

Greenwalds Ehemann David Miranda, ein Politiker des PSOL, schrieb im ­Guardian: »Bolsonaro und seine Bewegung wissen, dass sie die brasilianische Demokratie nicht ohne einen Vorwand beenden können. Sie brauchen Chaos, Proteste und Gewalt, um eine Wiederherstellung der Maßnahmen aus der Zeit der Diktatur zu rechtfertigen, die dann als notwendig dargestellt werden, um die Ordnung wiederherzustellen.« Das sei der gleiche ­rhetorische Rahmen, der auch für die Rechtfertigung des Militärputsches von 1964 verwendet worden sei. Bolsonaro sei entschlossen, genau das in Brasilien wieder zu tun.