Happy Birthday, Rosa von Praunheim!

»Ich bin ein alter weißer Mann«

Der schwule Filmemacher Rosa von Praunheim wird 77 Jahre alt. Wir haben mit ihm zu seinem Geburtstag über Zwangs-Outings, Trash und Analsex gesprochen.

Wie bist du schwul geworden?
Im Mutterbauch im rosa Fruchtwasser, da kam eine Fee und besprenkelte mich mit Glitzer. Ab wann ich es gelebt habe? Erst während des Studiums, nachdem ich von Frankfurt-Praunheim nach Berlin umgezogen war.

Hast du damals schon das Wort »schwul« benutzt?
Klar, »schwul« war in aller Munde, aber bei den meisten im negativen Sinne. Ich habe das Wort dann in meinem Schwulenfilm von 1971, »Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt«, inflationär und im positiven Sinne ­benutzt, um es zu einem normalen und politisch »kämpferischen« Wort zu machen.

Ähnlich wie mit dem Wort »Tunte«. Mal so von Tunte zu Tunte: Warum trägst du einen Frauennamen?
Was heißt schon Frauenname? Rosa ist für mich der schönste Name der Welt, denn wir sind alle Rosen. Den Namen habe ich zum ersten Mal ­benutzt, als ich als Maler eine Ausstellung hatte, Mitte der sechziger Jahre. Aber es gibt auch einen ernsthaften Hintergrund. Der Name soll ein Gedenken an die schwulen KZ-Opfer im Dritten Reich sein, die mit einem »Rosa Winkel« gekennzeichnet wurden.

Rosa von Praunheim im Darkroom, 1990.

Bild:
Rosa von Praunheim

In deinem Film »Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt« hast du deine Figuren fast hundert Mal das Wort »schwul« ausrufen lassen. Das war noch vor der Schwulenbewegung, die den Begriff kämpferisch umdeutete. Auch mit der Aufwertung der Tunte hast Du Neuland betreten. Wie ging es dir damals mit den teils wütenden Reaktionen auf den Film? 
Das war nicht einfach. Ich lernte nach dem Film, vor großem Publikum zu stehen und meine Positionen zu verteidigen; vor allem, dass wir Schwule endlich selbst unser Schicksal in die Hand nehmen müssen, um gesellschaftliche Akzeptanz zu erkämpfen. Das war eine dramatische und auch lehrreiche Zeit für mich. Tunten, sofern sie die Positionen teilten, waren die mutigsten Mitstreiterinnen der Bewegung.

 

Schon vor dem als »Praunheim-Film« in die Geschichte eingegangenen Werk warst Du ein bekannter Avantgarde-Regisseur. »Die Bettwurst« von 1971 ist ein Trash-Klassiker. Werden Tunten wie wir irgendwie mit diesem Hang zum Kitsch gesegnet? Das bleibt ja über die Generationen hinweg bestehen.
Wie schön, dass Schwule, auch die jungen queeren Menschen, Trash ­lieben. Es ist ein eigener Humor, der einen das Leben auch mal von der komischen Seite betrachten lässt. Ich freue mich sehr, dass die Polit-Tunten bis heute in Erscheinung treten und mit ihrer Kunst für soziale, ­gesellschaftliche und bald bestimmt auch ökologische Gerechtigkeit eintreten. Die LGBTIQ-Community sollte ihre Tunten feiern. Es gibt viele tolle Tunten in Berlin, zum Beispiel Gaby Tupper, die bei meiner Geburtstagsveranstaltung am 26. November in der Berliner Autorenbuchhandlung »Geistesblüten« als »Housewife« anwesend sein wird.

Rosa von Praunheim (Bildmitte) mit einem für ihn typischen Hut bei beim Transgenialen CSD in Berlin, 2010

Bild:
Michael F. Mehnert / Wikipedia / CC BY-SA 3.0 DE

Du warst in den Siebzigern begeistert von der Schwulenbewegung in den USA. Was hat dich daran fasziniert?
Ich kam 1971 zum ersten Mal mit meinem Schwulenfilm nach New York City und dokumentierte den zweiten Christopher-Street-Marsch, an dem damals schon Tausende teilnahmen. Es war eine so positive, fröhliche und selbstbewusste Stimmung! Es war dann schwer, wieder nach Berlin zurückzukehren. Aber schon bald kam ich in die USA zurück, um meinen Film »Armee der Liebenden – Aufstand der Perversen« von 1979 über die Schwulenbewegung in den Staaten zu drehen.

Du hast ein Händchen dafür, ein Thema zu ergründen, indem du Menschen über ihre intimsten Bezüge dazu zu Wort kommen lasst. Protagonisten berichten mitunter von ihren Interviews in deinen Filmen, dass du plötzlich vor der Kamera anfängst, über Analsex zu reden. Wonach forschst du, wenn du mit den Menschen über Sex sprichst, das scheint ja Stoff für unzählige Filme zu liefern?
Ja, die Religionen verbieten uns bis heute, Lust zu empfinden. Selbst auf Instagram und Facebook sperren sie einen sofort, wenn man Penisse oder auch nur einen Popo zeigt. Ich finde es wunderbar, konservative Leute zu provozieren und sie nach ihrem Sexleben zu fragen. Mal ­sehen, ob sich Buchhändler trauen, mein neues Buch »Der große und der kleine Penis« auszulegen.

Kann man dich eine Skandalnudel nennen?
Nein, auf keinen Fall eine Nudel.

Wann und wie hattest du zum ersten Mal befriedigenden Analsex?
Früher war ich gerne einfach nur aktiv, heute im Alter lebe ich Sexualität auch differenzierter aus. In meiner jetzt zwölfjährigen Beziehung mit Oliver steht Zärtlichkeit im Vordergrund.

 

Wenn man dich eine schwule Ikone nennt, ist das eine Rolle, die du gerne annimmst? Darf man dich zum 77. Geburtstag verehren?
 Auch früher wollte ich eigentlich kein leader sein, es ging mir einfach immer nur um die Auseinandersetzung, um Positionen, um politischen Kampf für queere Rechte. Und, nicht zu vergessen, um Aids-Aufklärung, vor allem in den Achtzigern und Neunzigern.

Im vergangenen Jahr gab es einige Veröffentlichungen zu Aids und den schwulen Diskussionen in den achtziger und neunziger Jahren, in denen der Aktivismus und das schwule Leben geschildert wurden. Aids war für viele eine Zeit von zehn Jahren, die nicht hätten sein dürfen, ein Raub von Lebenszeit.
Safer-Sex-Aufklärung war sehr wichtig für mich. Ich machte vier Filme, schrieb Artikel und machte viele ­öffentliche Veranstaltungen. Ich bin stolz darauf, dass ich die Gefahr von HIV so wichtig nahm und vehement für den Kondomgebrauch als greif­baren und effektiven Schutz eingetreten bin. Meine damaligen Gegner nennen mich bis heute einen Moral­apostel. Sollen sie, ich denke, ich konnte vielleicht einige Leben retten. Und wenn es nur eins war, hat sich der Kampf gelohnt.

Praunheim in seinem autobiographischen Film »Pfui Rosa«, 2002.

Mit Martin Dannecker, mit dem du zuvor befreundet und politisch aktiv warst und mit dem du den Kommentar aus dem Off in »Nicht der Schwule ist pervers … « konzipiert hattest, flogen die Fetzen während der damaligen Diskussionen. In einem abgedruckten Streitgespräch wirft er dir fehlendes Denken vor, du wirfst ihm Mitschuld an den Toten vor. Wie kam es zu dieser Heftigkeit? Seid ihr Euch danach wieder begegnet – oder könnt ihr heutzutage anders darüber sprechen?
Ich liebe und verehre Martin Dannecker, obwohl wir oft unterschiedlicher Meinung sind. Wir grüßen uns freundlich, wechseln nette Worte und respektieren uns.

In den neunziger Jahren hast du große Diskussionen über »Zwangs-Outings« ausgelöst, als du Alfred Biolek und Hape ­Kerkeling öffentlich geoutet hast.
Das TV-Outing (1991 in der RTL-Sendung »Explosiv – Der heiße Stuhl«, Anm. d. Red.) war okay, wenn auch unverschämt, letztendlich ein Hilfeschrei, der vieles zum Positiven ­geändert hat. Zum Beispiel, dass der Journalismus endlich begriff, Schwule und Lesben nicht nur in problematische Kontexte zu setzen, sondern ihr Leben im Ganzen zu erfassen, dazu gehören eben auch schöne Seiten wie Liebe und Partnerschaft.

 

Die Diskussionen zu den Outings gingen weit über die schwule Szene hinaus. Vor allem wurde darüber diskutiert, ob man das darf, über die sexuelle Orientierung von Menschen ohne ihre Zustimmung öffentlich sprechen. Oder, ob man schwule Vorbilder braucht. Seit einer Weile gibt es einen Instagram-Account, auf dem behauptet wird, das dahinter ein schwuler Profifußballer steckt. Würde man wissen, dass einer der Fußballer in der ersten Bundes­liga ein Schwuler ist, sollte man ihn dann outen? Ist das etwas, was heutzutage, fast 30 Jahre später, in deinen Augen noch Sinn ergäbe?
Ich denke viel mehr, dass man in der bigotten katholischen Kirche schwule Priester, Bischöfe und Kardinäle outen sollte, die gegen LGBTIQs Stimmung machen, aber das müssen andere tun.

Auf einem Blog einer queeren ­Aktivistin ist zu lesen, dass du ein schlimmer alter weißer Mann seist. Das bezog sich auf deine Vorbereitungen für den Film »Überleben in Neukölln«. Trifft dich so etwas, wenn das von der Ver­treterin einer jungen politischen Generation kommt?
Ja, ich bin ein alter weißer Mann und habe kein Problem damit. Viele wissen gar nicht mehr, wie viel emanzipatorische Arbeit ich geleistet habe, und das gilt auch für viele andere alte weiße Männer. Jede Generation muss sich an der vorigen abarbeiten, das haben wir damals auch ­getan.

Du hast nicht nur als Professor für Regie an der Filmuniversität viele Nachfolger inspiriert, auch sonst legst du Wert auf den Nachwuchs, den du seit langem förderst. Axel Ranisch mit »Ich fühl mich Disco« muss man da allein schon anführen. Was war und ist das Zentrale, das du deinen Schülern mitgeben wolltest und willst? Was sollte ein Regisseur mitbringen?
Mein vorletztes Buch heißt »Wie wird man reich und berühmt?« und ist ein Leitfaden für Kreativität mit vielen praktischen Rezepten aus meiner Erfahrung als Hochschullehrer für Filmregie. Da steht alles drin. Ich sollte es selbst nochmal lesen, da ich das mit dem Reichtum bislang auch nicht geschafft habe.

Mit 77 Jahren kommt das Tuntenleben nochmal in Fahrt, habe ich gehört. Wohin geht Rosas Reise im 78. Lebensjahr?
Ich habe drei neue Filme gemacht, die 2020 ins Kino kommen. Im Januar kommt »Darkroom – Tödliche Tropfen«, der schon in mehrere Länder verkauft wurde und auf vielen internationalen Filmfestivals läuft. Im Herbst dann »Operndiven – Opern­tunten«. Und bis zu meinem 80. habe ich weitere Film- und Buch-ideen. Und wie man weiß, vergeht die Zeit schnell.

Am 28. November wird im Deutschen Theater in Berlin Rosa von Praunheims Stück »Jeder Idiot hat eine Oma, nur ich nicht« aufgeführt, anschließend findet Praunheims Geburstagsparty statt.