Debatte um SUVs

Klima! Mörder! Monster!

Nach einem grauenhaften Unfall diskutiert Deutschland über die Gefährlichkeit von Sportgeländewagen, die auch als Klimakiller gelten. Sollte man die Dinger einfach verbieten? Unsere Autoren sind sich uneinig.

Nein!

Bei der Diskussion über ein SUV-Verbot ist man sich nicht einmal über den Diskussionsgegenstand einig.

Von Ivo Bozic

Wie so oft steckte ich mit meinem Fiat Panda im Berliner Feierabendverkehr fest und hörte dabei Radio. Sonst kommt man ja nicht mehr zum Radiohören. Das Ende der Autos wird das Ende der Radios sein, das ist meine feste Überzeugung, aber ein anderes Thema. Jetzt geht es um Sportgeländewagen (SUVs).

Sagten auch die beiden Moderatoren bei »Radio Eins«. Die Hörer wurden nach ihrer Meinung gefragt. Die Frage lautete: »Die Grünen fordern eine Obergrenze für SUVs in der Stadt, was halten Sie davon?« Es riefen übrigens lauter Hörer an, die gerade am Steuer ihres Autos saßen, vermutlich aus dem oben angeführten Grund. Überraschend war, dass überhaupt jemand anrief, denn nichts an der Frage der Moderatoren ergab irgendeinen Sinn. Was soll das sein, eine »Obergrenze«? Hinsichtlich der Größe der Autos? Der PS-Zahl? Des CO2-Ausstoßes? Der Anzahl in der Stadt zugelassener oder sich zum sel­ben Zeitpunkt befindlicher SUVs? Und da geht es weiter: Was ist ein SUV? Ein Auto, das eine bestimmte, als SUV charakterisierte Form hat, oder eine bestimmte Größe? Geht’s nach Gewicht? Oder wenn es geländefähigen Allradantrieb hat? Oder sind alle Wagen mit hohem Kraftstoffverbrauch gemeint? Oder alle mit überdurchschnittlichem CO2-Austoß?

Wenn es nur um die Größe ginge, müssten auch der Kombi, der Tesla und der Lieferwagen Innenstadtverbot erhalten.

Das ist aber egal, denn offenbar braucht es weder eine Verständigung darüber, was unter einer »Obergrenze«, noch darüber, was unter einem »SUV« zu verstehen ist, um eifrig über eine Obergrenze für SUVs zu diskutieren. Und damit ähnelt diese Debatte so vielen anderen dieser Zeit: populistisch, polarisiert, postfaktisch. In den Schädeln unfassbar viele PS, aber null Ahnung, rasen die Kontrahenten aufeinander zu. Jemand schreit »Klima! Mörder! Monster!« und los geht’s. »Linksgrüne Öko­faschisten«, brüllt es zurück. Alle flippen aus.

Auslöser der derzeitigen Debatte ist bekanntlich ein schlimmer Verkehrs­unfall in Berlin-Mitte, bei dem vier Menschen ums Leben kamen. Nicht, dass es an anderen Tagen keine Straßenverkehrstoten gäbe, aber diesmal war die Empörung besonders groß, weil, ja warum eigentlich? Weil das Fahrzeug, dessen Fahrer den Unfall verursachte, ein, ich zitiere: »Monster«, »Panzer« und »stahlgewordener Ausdruck einer Ego-Gesellschaft« war, vom Anbieter beschönigend »Porsche Macan« genannt. Der Schauspieler Ben Becker, der in der Gegend wohnt und den Unfallort besuchte, wurde von RTL interviewt und empörte sich: »Wer fährt einen Gelän­dewagen, mitten in der Stadt, einen Porsche in der Größe?« Ja, der Porsche Macan ist sauteuer und übermotorisiert. Aber er ist zehn Zentimeter kürzer als der VW Passat, die klassische Familienkutsche, mit der auch viele WGs ihre Wochenendeinkäufe nach Hause schaffen, und etwa genauso groß wie der Ford Granada, den Ben Becker als junger Punk klaute, und sicher deutlich kürzer als der Jaguar Daimler, den er später fuhr.

 

Es gibt unfassbar riesige Karren da draußen auf den Straßen und insgesamt eine Tendenz, dass Autos immer breiter werden, dennoch hat ein Großteil der als »SUV« verkauften Autos eine Grundfläche wie der VW Golf oder ist, wie zum Beispiel der Ford Puma oder der Kia Stonic, sogar deutlich kleiner. Sicher, sie sehen aufgeblasener aus, vor allem weil sie höher sind, und bieten innen mehr Raum, aber das Argument, SUVs seien zu groß für die Stadt, ist in dieser Pauschalität schlicht Unsinn. Wer große Autos verbieten will, müsste also erstmal den Zollstock auspacken. Dann würde schnell klar, dass auch der Kombi, der Kleinbus, der Tesla und der Lieferwagen Innenstadtverbot erhalten müssten. Gegen deren Fahrer lässt sich jedoch nicht so schön polemisieren.

Auch hinsichtlich des Gewichts ist ein SUV nicht eindeutig zu definieren. Der allgegenwärtige Kombi VW Passat wiegt 1 500 Kilo, der SUV C3 Aircross von Citroen und der Renault Capture wiegen nur 1 300 Kilo. SUVs sind auch nicht unbedingt teurer als ein Audi A1 oder ein Mini Cooper, auch im Verbrauch sind viele günstiger, erst Recht als ein VW-Bus. Und: Sie stoßen, muss ich ­gestehen, oft weniger CO2 aus als mein zehn Jahre alter Panda. Den gibt es heutzutage übrigens auch in einer geländefähigen Allradvariante und trotzdem misst er nicht mal 3,70 Meter. Ein Fall fürs Innenstadtverbot?

Langer Rede kurzer Sinn: Wer SUVs verbieten oder verteuern will, aber auch, wer dagegen argumentieren möchte, müsste schon definieren, was ein SUV ist. Dafür reicht es nicht, das Akronym auszuschreiben. Es müssten Zahlen auf den Tisch: Zentimeter, Kilogramm, Abgaswerte, irgendwas! Doch darum geht es nicht, es geht um Stimmungen und die Pflege von Ressentiments.

So sprach ich zu mir, während ich im Stau stand und Radio hörte. Wie immer erwähnten die Verkehrsnachrichten – auch so ein Radioding – meinen Stau nicht. Typisch, alles Lüge! Aber: Irgendwie auch egal, der Stau ist ja eh immer da.

 

Doch! 

Der Straßenverkehr ist auch ohne den Einsatz bürgerkriegsfähiger Fahrzeuge gefährlich genug.

Von Simon Krüger

Sieht man einmal von der Frage der Ökobilanz ab, ist es mit Sportgeländewagen (SUVs) wie mit Schusswaffen. Beide machen irre Spaß, auch das mickrigste Hemdchen fühlt sich damit stark – und beide gehören zu den effektivsten Mitteln der Selbstverteidigung, die der Markt zu bieten hat. Selbstverteidigung ist nie eine sportliche und stets eine schmutzige Angelegenheit. Auf der Straße ist Angriff die beste Verteidigung, so lehren es die Gurus der waffenlosen Selbstverteidigung in Krav-Maga- und Ving-Chun-Schulen, und Angriffswaffen sind der Waffenlosigkeit immer überlegen. Auch ein blutiger Anfänger kann mit einem Messer einem geübten Kampfsportler ­gefährlich werden.

In der Praxis verleiten SUVs die Fahrenden dazu, im Straßenverkehr als »bully« aufzutreten.

Im Straßenverkehr überlegt es sich entsprechend auch der rüpeligste Berliner Radfahrer, ob er einem SUV an der Kreuzung die Vorfahrt nimmt. Dazu braucht es noch keinen Rezvani Tank SUV mit 500 PS – ein wahrlich martialischer Monsterwagen, »der extreme Geländefähigkeit mit brutaler Optik und optionaler Vollpanzerung« kombiniert, wie es auf einem Internetportal heißt. Auch mit dem in Deutsch­land so beliebten, sehr viel spießigeren VW Tiguan (240 PS) fühlt man sich im Straßenverkehr schon so sicher und überlegen wie nachts im Park mit einer Beretta 92 oder einer Glock 17.

Das wesentliche Problem an SUVs im Straßenverkehr vor allem dieses: Es handelt sich um Waffen. Natürlich ist Beinfreiheit eine feine Sache, aber die kann man auch anders beschaffen. Worauf es beim Kauf eines SUV ankommt, ist nicht, was vorne und hinten an Zentimetern dazukommt, sondern, sich im brutalen Alltag des Straßenverkehrs einen Vorteil zu verschaffen – durch sehr viel mehr PS und das motorisierte Äquivalent einer Superman-Figur.

Wie bei der realen Selbstverteidigung liegt bei einer wie auch immer gearteten Straßenwaffe der Missbrauch nahe – auch das lernt man übrigens bei den waffenlosen Selbstverteidigungssystemen. Angriff, so heißt es, sei zwar die beste Verteidigung, nur sehe das der Richter in der Regel anders. Also greift man zu allerhand Tricks. Etwa indem man laut um Hilfe ruft, bevor man unvermittelt einem ahnungslosen potentiellen Angreifer einen präventiven K.-o.-Schlag verpasst. Man lernt dadurch nicht nur, wie man einen Angriff als Verteidigung tarnt, sondern eignet sich auch eine Mentalität an, in der ein Präventivschlag bereits durch eine lediglich subjektiv empfundene Gefahr gerechtfertigt ist. Das Eskalationspotential liegt auf der Hand.

 

Auch das SUV-Fahren verführt zu einer »präventiven Selbstverteidigung«. SUVs werden oft mit der Begründung gekauft, eher defensive Fahrer vor aggressiveren zu schützen. In der Praxis verleiten sie die Fahrenden oft dazu, im Straßenverkehr selbst als bully aufzutreten, weil das Fahrzeug es einem allein durch Größe und Wumms ermöglicht. Man stelle sich einmal vor, es laufen einem zufällig Götz Kubitschek oder Björn Höcke auf dem Zebrastreifen vor die Stoßstange. Auch im Fiat Panda würde es einem möglicherweise in den Füßen jucken, Gas mit Bremse zu verwechseln. Aber was empfindet man erst im dem gleichnamigen Militärfahrzeug nachempfundenen Hummer H2 mit seinen fast drei Tonnen Leergewicht und 321 PS?

So verlockend solche Phantasien klingen, in der Realität macht man sich damit nur unglücklich. Faktisch – remember Charlottesville – ist es vor allem die Gegenseite, von der das Schlimmste zu erwarten ist. Das Auto, mit dem Heather Heyer am 12. August 2017 von einem Rechtsextremisten ermordet wurde, war zwar kein SUV, sondern ein vergleichsweise kleinkalibriger Dodge Challenger 2010 (ein älteres Modell verwendet der Schurke Stuntman Mike bereits 2007 in Quentin Tarantinos Film »Death Proof« als Waffe) – welche Gefahr von sogenannten muscle cars ausgeht, ist gleichwohl nicht mehr zu bestreiten.

In den meisten Ländern ist es – zumindest in dicht bevölkerten urbanen Gegenden – aus guten Gründen verboten, einfach so mit Schusswaffen herumzuspazieren. Ein vergleichbares Verbot sollte auch für jene Fahrzeuge erwogen werden, deren wichtigstestes Merkmal es ist, ein besonders martialisch-robustes Auftreten im Straßenverkehr zu ermöglichen. Nicht zuletzt, weil dieser dadurch genauso wenig friedlicher wird wie ein Kriegsgebiet durch die Einfuhr von Waffen.

Statistisch ist belegt, dass Gesellschaften, in denen der Besitz von Schusswaffen eingeschränkt ist, die sichere­ren sind. Das lässt sich auch auf den Straßenverkehr übertragen. Bürgerkriegstaugliche Fahrzeuge haben dort schlicht nichts verloren, auch wenn es zweifellos Spaß macht, mit ihnen durch die Gegend zu brettern. Und ab welchem Punkt man ein Auto als Waffe definiert – darüber wird man sich schon einig werden.