Der Fleischkonzern Tönnies geht juristisch gegen seine Kritiker vor

Protest gegen die Knochenarbeit

Mit einem Aktionstag hat die »Aktion gegen Arbeitsunrecht« auf die Ausbeutung vor allem osteuropäischer Beschäftigter beim Fleisch­konzern Tönnies aufmerksam gemacht. Deutschlands größter Schlacht­betrieb für Schweine geht juristisch gegen Kritiker vor.

Ein Vertreter der Gruppe »Jour Fixe – Gewerkschaftslinke« fand deutliche Worte: Tönnies beschäftige »ein Unterschichtenproletariat, das im Dunkeln lebt«. Die Arbeiter aus Osteuropa »haben keine Rechte – sind nur pure Ware Arbeitskraft«. Es gebe »keine Mitbestimmung wie für deutsche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Betrieben«, sagte der Gewerkschafter auf einer Kundgebung in Hamburg, die sich gegen die Geschäftspraktiken des Konzerns Tönnies richtete.

Kampf dem »System Tönnies« – unter diesem Motto hatte die »Aktion gegen Arbeitsunrecht e. V.« aus Köln gemeinsam mit anderen Organisationen für den Freitag vergangener Woche zum Protest gegen den Fleischkonzern aufgerufen. Hunderte beteiligten sich in Rheda-Wiedenbrück, Köln, Berlin und anderen Städten an dem Aktionstag. Der Unternehmer Clemens Tönnies wurde zuletzt im August wegen rassistischer Äußerungen kritisiert. Er hatte sich auf der Bühne des Paderborner Handwerkstags über Afrikaner ausgelassen.

Die am Aktionstag Beteiligten kritisierten vor allem die Arbeitsbedingungen bei dem Konzern. Tönnies beschäftigt in Deutschland Tausende Arbeiter vor allem aus Osteuropa. Im Jahr 2013 bezeichnete der damalige Fraktionsvorsitzende der Grünen im nordrhein-westfälischen Landtag, Reiner Priggen, diese Beschäftigten als »moderne Sklaven«. Der Vorsitzende des Paderborner Stadtverbands der CDU-Mittelstandsvereinigung, Friedhelm Koch, warf Tönnies im August vor, mit Sub­unternehmern zusammenzuarbeiten, die »Sklaverei« betreiben, nahm den Vorwurf allerdings kurz darauf wieder zurück. Die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) spricht von »Ausbeutung«. Die »Aktion gegen Arbeitsunrecht« prangerte in ihrem Aufruf »Werkverträge, Lohndumping, Arbeitsplatzvernichtung durch Preisdumping, Zentralisierung, Massentierhaltung, -schlachtung und -verwertung, irrsinnige Transportwege« an. All das sei Teil eines Systems der »brutalen Ausbeutung von Mensch, Tier und Umwelt«. Als »aggressiver Branchenführer« setze der Milliardenkonzern Tönnies in der deutschen Fleischindustrie Maßstäbe.

 

Die »Aktion gegen Arbeitsunrecht« organisiert jährlich an einem Freitag, dem 13., Kampagnen gegen ausbeuterische Firmen. In der Vergangenheit traf es die Supermarktkette Real, den Lieferdienst Deliveroo und das Hotel­gewerbe. Besonderes Augenmerk liegt auf den unteren Segmenten des Arbeitsmarkts, in denen häufig Arbeitsmigranten tätig sind und Gewerkschaften kaum eine Rolle spielen.

Der Name Tönnies steht wie kein zweiter für die Industrialisierung der Fleischproduktion. Der Konzern schlachtet jedes Jahr mehr als 20 Millionen Schweine. In Rheda-Wiedenbrück, wo sich der Unternehmenshauptsitz befindet, verfügt er über eine ­eigene Autobahnabfahrt, über die jeden Tag Hunderte Transporter rollen, um 26 000 Schweine allein an diesem Standort zur Schlachtung zu bringen. Vor allem Arbeiter aus Rumänien, Bulgarien, Polen und Ungarn töten die Tiere, zerlegen und verpacken das Fleisch, das schließlich zu niedrigsten Preisen unter anderem in Discountern wie Aldi oder Lidl verkauft wird.

Und die Zeichen stehen auf Expansion. Zwar sank der durchschnittliche Fleischkonsum der Deutschen zuletzt leicht, doch Tönnies geht es um andere Absatzmärkte. »Der Weltmarkt hat eine sehr, sehr intensive Mengensteigerung im Bedarf für Fleisch«, sagte er bereits 2012.

Tatsächlich ist der Umfang der deutschen Fleischexporte in den vergangenen zehn Jahren stark gewachsen. Deutschland verfügt über den fünftgrößten Bestand an Schweinen weltweit. Seit Jahren wird hierzu­lande mehr Fleisch hergestellt als verbraucht. Vor allem China wurde zuletzt als Abnehmer immer wichtiger. Seit einem Jahr wütet dort das Afrikanische Schweine­fieber. »In normalen Jahren wurden zuletzt rund 300 000 Tonnen Schweinefleisch nach China exportiert. Wir gehen davon aus, dass sich diese Zahl in diesem Jahr annähernd verdoppeln dürfte«, sagte ein Branchenvertreter im Mai der »Tagesschau«. Das sind Hunderttausende Tonnen Fleisch mehr, die in Deutschland hergestellt, eingefroren und nach Asien verschifft werden.

Die Arbeiter, die dieses Fleisch bei Tönnies herstellen, schuften unter härtesten Bedingungen. Die meisten von ihnen – der Konzern selbst spricht von 50 Prozent, Gewerkschaften und Kritiker schätzen bis zu 80 Prozent – verfügen nur über Werkverträge und werden der Firma von Subunternehmern zur Verfügung gestellt. Diese rekrutieren Beschäftigte vor allem in Osteuropa.

 

Zwar gilt offiziell der Mindestlohn, doch es gibt legale wie illegale Methoden, auch ihn zu drücken – etwa Re­krutierungsgebühren in den Herkunftsländern und überteuerte Mieten für die Unterbringung am Arbeitsort. Auch kann der Lohn faktisch durch Strafgelder, Betrug oder unbezahlte Überstunden reduziert werden.

Um der staatlichen Regulierung vorzubeugen, verpflichteten sich die Arbeitgeberverbände der Fleischbranche 2015 freiwillig dazu, für bessere Arbeits- und Wohnverhältnisse zu sorgen. Im vergangenen Jahr bezeichnete die NGG diese freiwillige Selbstverpflichtung jedoch als gescheitert. Der Bundestag verschärfte 2017 die Pflichten von Unternehmen in der Fleischindustrie. Seitdem habe sich die Situation gebessert, doch viele Missstände bestünden fort, resümierte die Gewerkschaft ebenfalls im vergangenen Jahr. Immer noch gebe es »fehlerhafte Lohnabrechnungen, nicht bezahlte Überstunden, Verstöße gegen die tägliche Höchstarbeitszeit«. Die Gewerkschaft fordert deshalb ein Verbot von Werkverträgen in den Kernarbeitsbereichen von Unternehmen. Auch solle das Hauptunternehmen, nicht ein Subunternehmer, für die Bereitstellung von Wohnraum verantwortlich sein.

Der Konzern Tönnies betonte in einer Presseerklärung anlässlich der Proteste am Freitag, dass er sich bemühe, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Alle Arbeiter hätten mittlerweile Arbeitsverträge nach deutschem Recht. Auch habe das Unternehmen allein im vergangenen Jahr 125.000 Euro an die städtische »Willkommensagentur« in Rheda-Wiedenbrück gespendet, die Arbeitsmigranten berät. Die derzeitige Produktionsweise sei jedoch alter­nativlos, wolle man den »Standort Deutschland« erhalten. Denn nur mit Arbeitern, »die der heimische Arbeitsmarkt nicht bietet«, sei die indus­trielle Fleischproduktion hierzulande profitabel.

 

»Jour Fixe« hatte bereits im Januar auf die Lage von Arbeitern in einem Tönnies-Betrieb bei Hamburg aufmerksam gemacht. Anschließend wurde die Gruppe von den Medienanwälten des Konzerns verklagt. Auf einer von der Gewerkschaft NGG organisierten Veranstaltung Anfang September in Weißenfels bei Leipzig berichteten polnische Arbeiter dem MDR zufolge von der Umgehung des Mindestlohns und unbezahlten Überstunden im dortigen Tönnies-Betrieb. Auch von Gewalt war die Rede. Doch nur wenige Arbeiter sprachen öffentlich – auch aus Angst, ihre Stelle zu verlieren, so die Gewerkschaft.

Auch gegen die »Aktion gegen Arbeitsunrecht« erwirkte die Medienrechtskanzlei Schertz-Bergmann eine einstweilige Verfügung, um manche Aussagen über Tönnies zu unterbinden. Elmar Wigand, der Pressesprecher des Vereins, gab sich im Gespräch mit der Jungle World jedoch unbeeindruckt: Man habe Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung eingelegt. Den anstehenden Prozess wolle der Verein nutzen, um noch mehr Aufmerksamkeit auf die Missstände bei Tönnies zu lenken. Um die Vorwürfe gerichtsfest zu belegen, sammle der Verein noch mehr Zeugenaussagen betroffener Arbeiter.
Viele Aussagen darf der Verein in der Zwischenzeit weiterhin öffentlich verbreiten. So kann er Tönnies nach wie vor Folgendes vorwerfen: »massiven Missbrauch von Werkverträgen, Förderung einer kriminogenen Ökonomie durch Subunternehmer, Tochterunternehmer und Zulieferer, brutale Ausbeutung von Bulgaren, Rumänen und anderen Wanderarbeitern, unmenschliche Wohnverhältnisse«. Auch von »union busting« spricht der Verein, denn bei Subunternehmern beschäftigte Werkvertragsarbeiter hätten weder einen Betriebsrat noch eine ­gewerkschaftliche Vertretung.

In Rheda-Wiedenbrück schien am Sonntag allerdings die Welt in Ordnung zu sein. Tönnies veranstaltete ein »buntes und vielfältiges Wochenende« mit einem Familienfest, das etwa 15 000 Besucher anlockte. »In Begleitung seiner Frau Margit schaute der Unternehmenschef an den Imbissständen auf seinem Firmengelände vorbei, wurde überall freundlich begrüßt und zum Probieren der landestypischen Spezialitäten eingeladen«, berichtete eine Lokalzeitung. Die Tradi­tionsmannschaft von Schalke 04 beehrte das Fest mit einem Spiel gegen die Tönnies-Werkself.