Die Deutschen und ihr Islam

Feindbild Moslem

Der deutsche Hass auf Muslime ist nicht neu, sagt der Historiker Joseph Croitoru. Die Gleichsetzung des Islam mit Fanatismus, Gewalt und Despotie begegnet einem schon in der Zeit der Aufklärung.

Beim Thema Islamkritik taucht immer wieder die Frage auf, wo die Grenze zwischen legitimer Religionskritik und antiislamischem Ressentiment verläuft. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Man muss sich in Bezug auf den Islam und Muslime immer fragen: Wer kritisiert und in welcher Absicht? Es muss zu denken geben, wenn sich Publizisten und Meinungsmacher auf den Islam regelrecht einschießen, sich aber bei anderen Religionen wie dem Christentum und dem Judentum auffällig zurückhalten, also mit zweierlei Maß messen. Gewalt – ein großes Thema der Religionskritik – findet sich nämlich nicht nur in der islamischen Geschichte und im Koran, sondern reichlich auch im Alten Testament und in der Geschichte der Christenheit. In kritischen Debatten über den Islam, die nie von poli­tischen Entwicklungen und intellektuellen Moden ganz losgelöst waren und sind, geht es seit jeher nicht nur um universelle Werte, sondern auch um Abwehr und Selbstbestätigung. In dieser Hinsicht hat sich über die Jahrhunderte nur wenig geändert. Meine Analyse des Verhältnisses der Deutschen zum islamischen Orient in dem so gerühmten Zeitalter der Aufklärung zeigt, dass dieses Verhältnis auch damals stark von der jewei­ligen politischen Großwetterlage beeinflusst war sowie dem Wunsch nach christlich-abendländischer Selbstvergewisserung.

Welche Kontinuitäten gibt es?
Die Gleichsetzung des Islam mit Fanatismus, Gewalt und Despotie begegnet einem schon in der Zeit der deutschen Aufklärung. Für mein Buch habe ich Artikel aus der Tagespresse und aus Zeitschriften, Sachbüchern, Belletristik, Lyrik, Briefwechseln, Staatsakten sowie interner Korrespondenz von Friedrich dem Großen analysiert. Diese Quellen aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zeigen, dass schon damals dieses stereotype Bild vom Islam politisch ausgeschlachtet wurde. Vor allem in Bezug auf die Türkei und »die Türken«. Das Osmanische Reich war damals weitgehend ein Synonym für die »islamische Welt«.

Existierte schon damals eine, wie der Essayist Sama Maani es nennt, »volle Identifizierung« von Muslimen sowie Bewohnern islamisch geprägter Länder und Regionen mit dem Islam?
In gewisser Weise, ja. Es gab die bereits angesprochene Fokussierung auf das Osmanische Reich als repräsen­tativ für die islamische Welt, zumindest bis Anfang der siebziger Jahre des 18. Jahrhunderts, als der Forschungs­reisende Carsten Niebuhr seine schnell berühmt gewordene »Beschreibung von Arabien« veröffentlichte, die das deutsche Araberbild revolutionierte. Die Türkei blieb dennoch der am stärksten wahrgenommene islamische Repräsentant, auch wegen der Bemühungen Friedrichs des Großen um eine preußisch-türkische Militärallianz gegen Russland und Österreich. Die Türkenkriege, das heißt der russisch-türkische Krieg (1768–1774) und der russisch-österreichische Krieg gegen das Osmanische Reich (1787–1792), lenkten die Aufmerksamkeit erneut auf die Türken und wurden in der deutschen Publizistik ausführlich behandelt. Wegen dieser Akzentverschiebung gerieten die arabischen Länder immer weiter in den Hintergrund.
Ähnlich wie heute gab es auch schon damals die Tendenz, Muslime pauschal als Angehörige eines angeblich einheitlichen und unveränderlichen Weltislam zu betrachten – eine ziemlich ahistorische, stark verein­fachende und tendenziöse Sichtweise, die ausklammert, wie vielfältig Religion in der islamischen Welt schon immer öffentlich und privat gelebt oder auch abgelehnt wurde. In der Zeit der Aufklärung wurde in Deutschland kaum registriert, dass etwa auch Juden in islamischen Ländern lebten. Die Lage der Christen dort wurde hingegen sehr wohl wahrgenommen, und es waren ähnlich wie heute erzkonservative deutsche Publizisten, die in diesem Zusammenhang gerne die Alarmglocken läuteten. Ein prominentes Beispiel da­für ist der evangelische Prediger und Schriftsteller Christoph Wilhelm Lüdeke, der, nachdem er in der Türkei von 1759 bis 1768 als Pfarrer gewirkt hatte, in Deutschland eine Reihe von stark rezipierten, sehr tendenziösen Büchern über die Türkei veröffentlichte. Ihm wie ähnlich Gesinnten ging es dabei hauptsächlich um die Abwertung des Islam.

 

Inwiefern?
Deutschland zur Zeit der Aufklärung war ein immer noch sehr religiöses Land, Säkularismus war noch kein Thema. Auch die Gelehrten und Schriftsteller, die sich den Ideen der Aufklärung verschrieben, waren in der Regel durch eine christlich-religiöse Erziehung geprägt und nicht selten auch theologisch ausgebildet. Auch bei denjenigen, die sich besonders in den sechziger Jahren des 18. Jahrhunderts der arabischen Kultur und dem Islam zu öffnen begannen, geschah das meist im Rahmen des damaligen Konsenses, dass der Koran ein ketzerisches Werk und Mohammed ein Betrüger sei. Man warf dem islamischen Propheten vor – übrigens eine gängige Behauptung auch heute –, seine Religion erfunden zu haben, und sprach damit dem Islam ab, eine Offenbarungsreligion zu sein.

Können Sie ein Beispiel für eine solche Argumentation nennen?
Die erste deutsche Koranübersetzung direkt aus dem Arabischen kam 1771 auf den Markt. Sie stammte aus der Feder des damals in Frankfurt am Main lebenden schwäbischen Schulmanns, evangelischen Pastors und Orientalisten David Friedrich Megerlin, der seiner Übersetzung den Titel »Die türkische Bibel« gab. Auf dem Frontispiz war unter dem Titel »Mahumed der falsche Prophet« der Religionsstifter abgebildet und in seiner hasserfüllten Vorrede erklärte Megerlin, dass er die Übersetzung angefertigt habe, damit die Leser »sowohl den Antichrist Mahomed, als auch sein Lügenbuch den Koran« besser kennenlernten. Seine Glaubensgenossen ermahnte er, Gott zu bitten, dem osmanischen Staat, »diesem gewalt­thätigen Reich, und seiner aberglaubigen Religion im Koran, bald ein Ende zu machen«.

Strategische Allianz: Türkische Abgeordnete bei einem Besuch in Berlin 1916.

Bild:
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Gab es auch andere, dem Islam wohlgesonnene Stimmen?
Ja, Megerlins Koranübersetzung wurde im osmanenfreundlichen Berlin scharf kritisiert. Dort hatte aber auch schon 20 Jahre zuvor der Schriftsteller und Journalist Gotthold Ephraim Lessing die Grundlagen für ein islamfreundliches Bild gelegt. Mein Studium der Quellen ergab allerdings, dass dies keineswegs im leeren Raum geschah, sondern auch der strengen Pressepolitik Friedrichs des Großen geschuldet war, der, wie erwähnt, um ein Bündnis mit den Türken bemüht war und deshalb von der Presse eine islam- und türkenfreundliche Berichterstattung erwartete. Als Lessing 1751 Kulturredakteur der Berlinischen privilegirten Zeitung wurde, folgte er diesem Kurs und machte sich in seinen Pressebeiträgen wie auch in manchen seiner Schriften zum Anwalt der Muslime.
Auch wenn Lessings Islambild im Laufe seiner publizistischen Karriere gewisse Ambivalenzen aufwies, so blieb er dem aufklärerischen Grundgedanken der Toleranz verpflichtet, der in seinem dramatischen Gedicht »Nathan der Weise« gipfelte. Mehr als vielleicht seiner Zeit voraus war der »Nathan« weitgehend losgelöst von der damaligen deutschen Islamdebatte, die – auch hier liegt eine Parallele zu heute – stark polarisiert war. Weit mehr als der ältere Lessing war es der junge Publizist gewesen, der mit seinen Bemühungen um ein positives Orientbild andere Zeitgenossen inspirierte.

Wer hat das Islambild der Deutschen sonst noch beeinflusst?
In Leipzig hatte sich ebenfalls Anfang der fünfziger Jahre des 18. Jahrhunderts auch Lessings Kontrahent, der »Literaturpapst« und Verleger Johann Christoph Gottsched, als Aufklärer in Sachen Orient inszeniert. Gottscheds Haltung aber zum islamischen Propheten Mohammed war zwiespältig, dennoch bot er in seinen Zeitschriften dem Arabisten Johann Jacob Reiske ein Forum, um für eine Aufwertung der Literatur und der Kulturleistungen der Araber zu werben. Ähnlich gespalten in seinem Verhältnis zum islamischen Orient war in dieser Phase auch der später berühmt gewordene Göttinger Orientalist Johann David Michaelis, der zwar die Vorzüge der arabischen Dichtung und sogar manche poetische Schönheit im Koran pries, von Anfang an aber bestritt, dass der Islam eine Offenbarungsreligion sei. Mit den Jahren nahm Michaelis allerdings eine immer konservativere Haltung an und passte sich Anfang der siebziger Jahre des 18. Jahrhunderts der in Deutschland wachsenden – auch durch den damaligen Türkenkrieg bedingten – antiislamischen Grundstimmung an.
Als 1773 als Antwort darauf – und auf Megerlins islamfeindliche Koranübersetzung – der preußische Quedlinburger Oberhofprediger und Orientalist Friedrich Eberhard Boysen seine Übersetzung des Koran vorlegte, in deren Vorrede er ihn als poetisch schönes Werk rühmte, wurde er von Michaelis massiv angegriffen. Gleichwohl war auch Boysens Haltung zum Islam nicht frei von Widersprüchen, denn auch für ihn war Mohammed letztlich ein Lügenprophet. Dennoch versuchte er vorsichtig, den Propheten von dem damals gängigen Vorwurf zu befreien, Mohammed habe seine Religion mit dem Schwert verbreitet. Vor allem diese Beschuldigung und nicht so sehr bestimmte Koranzitate mit Gewaltbezug wurden damals gegen den Islam mobilisiert. Dieser Pauschalvorwurf hat die Jahrhunderte offensichtlich überdauert und wird heute von sogenannten Islamkritikern gerne erhoben.

Joseph Croitoru: Die Deutschen und der orient. Faszination, Verachtung und die Widersprüche der Aufklärung. Hanser-Verlag, München 2018, 416 Seiten, 28 Euro.