Imkern gegen das Bienensterben?

Gute Biene, schlechte Biene

Das Imkern ist in Mode: Ökologisch denkende Menschen wollen so dem Insektensterben Einhalt gebieten. Dabei sind Honigbienen gar nicht vom Aussterben bedroht.

Es ist bewegend, wenn sich jene selbstlos für den Erhalt anderer Geschöpfe einsetzen, die selbst vom Aussterben bedroht sind. So engagierten sich beim bayerischen »Volksbegehren Artenvielfalt« die im Freistaat nur noch selten anzutreffenden Sozialdemokraten und Anhänger der Linkspartei gemeinsam mit Bioläden und Ökobanken für den Erhalt der Bienen. 1,7 Millionen Bayern und Bayerinnen hatten das Volksbegehren im Februar unterschrieben. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und der Landtag billigten den Gesetzentwurf des Volksbegehrens »Rettet die Bienen« und seit dem 1. August sind die Wünsche der Bienenfreunde in Bayern Gesetz.

Die Deutschen lieben die Honigbiene. Sie gehorcht strengen Regeln, lebt in großen Völkern, an deren Spitze eine machtbewusste Herrscherin steht. Die Biene ist nichts, ihr Volk ist alles: Im Kampf lassen sie ihr Leben, denn der Stich mit ihrem Stachel endet für sie selbst in der Regel tödlich. Und fleißig sind die Bienen auch. Damit beim Menschen ein Glas Honig auf dem Frühstückstisch stehen kann, müssen Bienen 75 000 Kilometer weit fliegen und überall eifrig Nektar sammeln. Hedonismus, so viel ist sicher, ist der Biene fremd, und damit passt sie gut in eine Zeit, in der Verzicht und Selbstoptimierung hoch im Kurs stehen. Zumindest auf eine Bienenart trifft das alles zu: die Honigbiene.

Sie ziert Wahlplakate der Grünen, urbane Hipster stellen ihr Holzkisten auf den Balkon und besuchen Imkerkurse. Keiner ist zu klein, Bienenvater zu sein.
Die Sorge um die Honigbiene ist nicht neu. Schon 1996 fragte die Bild am Sonntag: »Stirbt unsere Honigbiene aus?« Die Menschheit, auch der honigmeidende Marmelade- und Wurstbrötchen essende Teil, bekam es kurz vor der Jahrtausendwende mit der Angst um die Biene zu tun, scheinbar gestützt von höchster wissenschaftlicher Instanz. Schon damals machte der mittlerweile als Meme in den sozialen Medien geteilte und Einstein zugeschriebene Satz die Runde:»Wenn die Bienen aussterben, sterben vier Jahre später auch die Menschen.«

Imkern ist wieder modern

Einsteins Weisheit und das Millennium – unheilvoller konnte es kaum ­zusammentreffen. Wie gut, dass sich nicht alles bewahrheitete: Die Bienen summten weiter und schnell stellte sich heraus, dass Albert Einstein in seinem Leben zwar viel und Kluges gesagt hat, aber wohl nie etwas darüber, dass die Menschen kurz nach den Bienen aussterben würden.

Die zweite Bienensorgenwelle er­fasste das Land Mitte des vergangenen Jahrzehnts. Damals schlug der Deutsche ­Imkerbund (DIB) Alarm. Gab es 1992 noch 1,2 Millionen Bienenvölker in der Bundesrepublik, war ihre Zahl bis 2006 auf gut 700.000 zurück ­gegangen.

»Auch das«, sagt der Bienenexperte Gerhard Liebig, »war kein Zeichen, dass die Honigbiene ausstirbt.« Immer ­weniger Menschen hätten damals Interesse an der Imkerei gehabt. Es gab kaum Jungimker. Gab ein Imker auf, trat niemand in seine Fußstapfen.

Das habe sich geändert, sagt Liebig, der 37 Jahre lang an der Landesanstalt für Bienenkunde in Stuttgart-Hohenheim arbeitete: »Die Zahl der Honigbienenvölker ist seitdem gestiegen.« Und das in nicht geringem Maße: Nach Zahlen des Imkerbundes lebten 2018 wieder eine Million Bienenvölker zwischen Flensburg und Oberammergau.

»Imkern ist wieder modern. Viele Menschen haben entdeckt, dass es ein schönes und preiswertes Hobby ist und man vielleicht sogar mit dem Verkauf von Honig ein paar Euro verdienen kann«, sagt Liebig. Auch der Glaube, an der Rettung von Welt und Menschheit mitzutun, habe nicht wenige zum Imkern motiviert.

Doch es gibt nicht nur die in straff geführten Ver­bänden lebende Honigbiene, sondern auch über 500 ­Arten der eher anarchisch alleine oder in kleinen Gruppen lebenden Wild­bienen. Ihre bekannteste Vertreterin ist die Hummel, eine der ganz großen Sympathieträgerinnen unter den Insekten.

Immer mehr Wildbienen-Funde

Essen ihnen die Honigbienen den Nektar weg? Ist die Hipster-Honigbiene Willi der Wildbienenschreck? Jeder ­innerstädtische Bienenstock ein Todesstern für die in kleinen Erdlöchern ­lebenden Wildbienen?

Liebig sagt, eher nein, aber so ganz genau wisse man das nicht. »Man sieht nur das, wonach man sucht«, weiß der Bienenexperte. Seit über 100 Jahren arbeiten Insektenexperten am Wildbienen-Kataster, das eine Sektion des ­Entomologischen Vereins Stuttgart 1869 betreut. Dort melden Fachleute Wildbienenarten und die Orte, an denen sie gesehen wurden. Dass die Zahl der ­gemeldeten Wildbienenarten gestiegen ist, hat nach Liebigs Meinung jedoch nichts damit zu tun, dass es heutzutage mehr Wildbienen gäbe als vor 100 Jahren.

Es sei  vielmehr das Verdienst des Bienenforschers Paul Westrich. Sein Buch »Die Wildbienen Baden-Württembergs« begeisterte viele an Insektenforschung Interessierte und war mit seinen detaillierten Informationen eine gute Basis zur Bestimmung von Wildbienenarten. Liebig wertete das Wildbienen-Kataster aus. Das Ergebnis: Vor dem Erscheinen von Westrichs Buch gab es bundesweit nur 6.045 Funde von Wildbienen. Im Jahrzehnt nach dessen Erscheinen waren es 37.366. Mehr Wissen über Wildbienen führte dazu, dass die Tiere erkannt wurden. Im laufenden Jahrzehnt stieg die Zahl der Funde auf 38.305 an.

In Zukunft könnte sie allerdings wieder absinken. »Viele, die sich mit Wildbienen beschäftigen, sind älter und werden die Beobachtung bald einstellen. Nachwuchs ist nicht in Sicht, zumal an den Universitäten die Taxonomie also die Bestimmung und Einordnung von Pflanzen und Tieren, immer weniger gelehrt wird.«

Gefahr der Verdrängung

Während Umweltverbände wie der Naturschutzbund Deutschland (NABU) vor einem Bienen- und Insektensterben warnen, private Initiativen wie »Deutschland summt« und die Wildtierstiftung sich für Wildbienen engagieren und das Umweltinstitut mit der modernen Agrarwirtschaft, Lichtverschmutzung und dem Klimawandel gleich mehrere Gründe für das Sterben von Wildbienen und anderen Insektenarten ausgemacht hat, ist Liebig skeptisch: »Wir haben ein wissenschaft­liches Defizit und müssen mehr forschen und beobachten. Wir wissen zu wenig.«

Nicht sicher ist also, ob die Hipster-Honigbienen den Wildbienen den ­Nektar rauben. Es gibt jedoch Beobachtungen, die nahelegen, dass Honig­bienen Wildbienen verdrängen und dazu bringen, von bestimmten Blüten Abstand zu nehmen. Die hochgezüch­teten Nutz­insekten sind einfach effektiver als ihre Naturverwandten. Experten gehen davon aus, dass die Hälfte der Wildbienenarten in Deutschland vom Aussterben bedroht ist. Das Bienenkataster wiederum zeigt, dass mehr Wissen zu mehr Wildbienenfunden führt.

Die Lage ist kompliziert. Nicht kompliziert ist es hingegen, den Bienen ­unter die Flügel zu greifen. Und dazu muss man auch nicht zum Imker werden. Der NABU preist das natürliche Habitat des wohl größten Teils der Jungle World-Leser als für Bienen ideal: die Großstadt. Alle Bienen lieben das Grün der Friedhöfe, Stadtparks, ­begrünte Innenhöfe und Brachen, auf ­denen es wild wuchert. Und wer einen Balkon hat, kann ihn mit Stauden und Blumen bepflanzen, die vom Frühjahr bis in den Herbst blühen und so Honigbienen, Wildbienen und anderen ­Insekten Nahrung bieten. Und wer mag, kann sich auch ein Wildbienenhotel an die Balkonwand nageln.

Das alles vergrößert den Lebensraum von Insekten – Und sorgt ganz nebenbei dafür, dass sich auch die Menschen, umgeben von Pflanzen und Tieren, wohler fühlen.