Fahrer verlieren ihre Jobs

»Das Scheitern schreckt ab«

Interview Von Markus Ströhlein

Der Online-Lieferdienst Deliveroo will seinen Betrieb in Deutschland einstellen. Die Fahrer der Firma erwischt das kalt.

Am Montag kündigte der Online-Lieferdienst Deliveroo an, den Betrieb in Deutschland in dieser Woche zu beenden. Für die Fahrerinnen und Fahrer, die für die Firma tätig sind, kam der Schritt überraschend. Keno Böhme, Projektsekretär der Kampagne »Liefern am Limit« der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG), hat der Jungle World Auskunft gegeben.

Wie viele Fahrerinnen und Fahrer betrifft der Rückzug von Deliveroo?
Nach Unternehmensangaben sind es 1.100.

Deliveroo hat den Fahrern Entschädigungszahlungen in Aussicht gestellt. Genügen diese Zahlungen, um den plötzlichen Einkommensausfall auszugleichen?
Nein. Gezahlt wird der Tagesdurchschnitt der vergangenen zwölf Wochen, multipliziert mit dem Faktor 24. Die Rider haben also 24 Tage Zeit, sich einen neuen Job zu suchen. Wir fordern 96 Tagessätze.

Besteht ein Zusammenhang zwischen der gewerkschaftlichen Gegenwehr der Deliveroo-Fahrer und dem Rückzug des Unternehmens?
Definitiv. Wir sehen in der Betriebsratsgründung, der Gründung von »Liefern am Limit« und der Zusammenarbeit mit dem Verein »Aktion Arbeitsunrecht« den Beginn einer langen Kausalkette, die mit der gestrigen Ankündigung ihr Ende gefunden hat. Vor ziemlich genau einem Jahr kündigte Deliveroo schon den Rückzug aus zehn deutschen Städten an – mutmaßlich als Nachwirkung unserer wochen- und monatelangen Berichterstattung über die Arbeitsbedingungen.

Was bedeutet der Vorgang für die zukünftige Gewerkschaftsarbeit im Bereich der Gig Economy?
Sie wird – zumindest in Bezug auf die Rider – einerseits sicherer. Das Eisen mit der Scheinselbständigkeit scheint zu heiß gewesen zu sein für die Branche. Wir gehen davon aus, dass das Scheitern von Deliveroo den Konkurrenten Lieferando davon abschrecken wird, auf ähnliche Ideen zu kommen. Andererseits sehen wir die aus der Pleite resultierende Monopolstellung von Lieferando kritisch. Lieferando gibt sich in der Öffentlichkeit gern als gewerkschafts-, betriebsrats- und arbeitnehmerfreundlich. Das ist Augenwischerei.

»Eingeschüchtert«

Wie steht es dort um die Arbeitsbedingungen?
Lieferando hat grundsätzlich in einigen Angelegenheiten bessere Bedingungen. Beispielsweise sind die Lohnzahlungen dort zuverlässig und pünktlich und geltende Regeln zur Arbeitszeit werden eingehalten. Aber momentan sieht es so aus, als wolle Lieferando diese Arbeitsbedingungen – also die Vergütung, das Bereitstellen von E-Bikes und einem Aufenthaltsraum – nicht auch bei der mittlerweile übernommenen Foodora GmbH einführen, sondern die bisherigen Vorzüge abschaffen und die Konditionen an die der Foodora GmbH angleichen. Darüber hinaus liegen uns Informationen aus der Zentrale vor, dass »Foodora als Arbeitgeber bis Ende Oktober verschwinden soll« – konkreter ist unsere Quelle nicht geworden. Sollte Lieferando tatsächlich die Foodora GmbH unreguliert absprengen, würde das bedeuten, dass die Firma mitsamt den dort hart erkämpften Betriebsräten in die Binsen geht. Wir als Gewerkschaft NGG fordern Lieferando dazu auf, einen geregelten Betriebsübergang einzuleiten, der das Fortbestehen der Betriebsratsstrukturen gewährleistet.

Wie schildern Fahrer die Lage bei Lieferando?
Uns wurde von mehreren Ridern mitgeteilt, dass Lieferando ihnen die Teilnahme am »Riders Day«, der am 22. und 23. August in Berlin stattfinden soll, untersagt habe. Ebenso habe man ihnen mitgeteilt, dass sie gar kein Recht hätten, einen Betriebsrat zu gründen, und darüber hinaus auch, dass die Betriebsratsgremien bei Foodora mitverantwortlich seien für die zuletzt miserable wirtschaftliche Verfassung des Unternehmens. Entsprechend eingeschüchtert sind die Rider dort.

Das Interview wurde per E-Mail geführt.