Rassismusskandal um Clemens Tönnies

Was normal ist

Kommentar Von Hans Suilmann

Schalke-Boss Clemens Tönnies hat mit einem rassistischen Gutsherrenspruch Schlagzeilen gemacht. Wie er sein Vermögen angehäuft hat, ist hierzulande keine Meldung wert.

Als der Schweineschlachtmilliardär, Cum-Ex-Profiteur und Schalke-Aufsichtsratsvorsitzende Clemens Tönnies Anfang des Monats wegen rassistischer Äußerungen öffentlich kritisiert wurde, schien es erst, als funktioniere der bei solchen Vorfällen übliche Ablauf halbwegs: Jemand sagt etwas Rassistisches oder Sexistisches, der Teil der deutschen Gesellschaft, der sich an solchen Dingen stört, erregt sich öffentlich, und anschließend macht der Erwischte aus PR-Gründen irgendwelche Zugeständnisse – Rücktritt, Karriereeinbußen oder wenigstens eine Entschuldigung, die so klingt, als wäre sie ernst gemeint.

Rechtspopulisten halten solche Vorgänge für autoritär. Sie haben nicht völlig unrecht. Regelverstöße müssen sanktioniert werden, anders geht es nicht. Auf diese Weise werden die ethischen und politischen Minimalstandards einer Gesellschaft durchgesetzt – Standards, die nicht einfach der »freiheitlichen demokratischen Grundordnung« entsprungen sind, auf die die selbstzufriedene Mitte so stolz ist, sondern die linke Quälgeister über Jahrzehnte hin­weg gegen die deutsche Mitte erkämpft haben.

Selbstverständlich lässt sich über jeden konkreten Fall streiten, auch über die Frage der Verhältnismäßigkeit. Aber im Allgemeinen gilt: Gut zureden, liebevoll mahnen oder freundlich schweigen – das funktioniert nicht. Konservative sollten das eigentlich verstehen, wenn sie wirklich an das glaubten, was sie in weihevollen Momenten von sich geben: dieses Gerede vom »realistischen Menschenbild« und der sich daraus ergebenden Einsicht, dass die Menschen Institutionen und Normen brauchten, damit eine Gesellschaft funktioniert. Nur zeigt sich immer deutlicher, dass real existierende Konservative an ganz andere Dinge glauben: an das Recht der Mehrheit und der Starken zum Beispiel; das Recht auf Rohheit, auf Machtausübung, auf Rücksichtslosigkeit.

Selbstentlarvung der Eliten

Zur Erinnerung: Tönnies hatte beim Tag des Handwerks in Paderborn, zu dem dessen Website zufolge nicht nur »die Betriebe des heimischen Handwerks, sondern die gesamte mittelständische Wirtschaft im Hochstift Paderborn« sowie der Bischof von Paderborn eingeladen waren, folgenden Gutsherrenspruch abgelassen: Man müsse in Afrika nur ein paar Kraftwerke bauen, »dann würden die Afrikaner aufhören, Bäume zu fällen, und sie hören auf, wenn’s dunkel ist, Kinder zu produzieren«. Von Widerspruch aus dem Publikum wurde nichts berichtet.

Wie es derzeit aussieht, wird der Vorfall für Tönnies jedoch keinerlei gravierende Konsequenzen haben – außer einer dreimonatigen Auszeit von seinem Amt als Aufsichtsratsvorsitzender, die er selbst gewählt hat. Der Ehrenrat des FC Schalke 04, der Tagesschau-Kommentator Kai Gniffke und weitere Rassismusexperten wie Huub Stevens, Sigmar Gabriel und Wolfgang Kubicki stellten explizit fest, dass Tönnies’ Aussagen nicht rassistisch gewesen seien. Tönnies entschuldigte sich nicht einmal bei jenen, die er mit seinen Aussagen direkt herabgewürdigt hatte.

All das illustriert die Regression der Konservativen sehr anschaulich. Wilhelm Heitmeyer sprach auf Spiegel Online von einer »Selbstentlarvung, man kann auch sagen Selbstdemaskierung, von Eliten«. Es handele sich um ein Lehrstück, »von Eliten quasi beglaubigt: Die Würde des Menschen ist antastbar.« Das ist in diesem konkreten Fall vielleicht etwas dick aufgetragen, trifft die Tendenz aber ziemlich gut.

Der ganze Vorgang ist aber auch aus einem weiteren Grund ­deprimierend. Ein Skandal zeigt, was eine Gesellschaft nicht akzeptieren will. Im Umkehrschluss zeigt er auch, was eine Gesellschaft ­eigentlich für ganz in Ordnung hält, für normal, für nicht der Rede wert. Tönnies betreibt den größten Schlachtbetrieb in Deutschland, mit einem Jahresumsatz von etwa sechseinhalb Milliarden Euro. Zahlreiche Medienberichte weisen darauf hin, wie schlimm die Zustände in Tönnies’ Schlachtbetrieb sind: Niedriglohn, Werkverträge, Subunternehmen, Gewerkschaftsfeindlichkeit, übelste Ausbeutung besonders von osteuropäischen Arbeitern und die heftige Umweltbelastung, die zu diesem Geschäft dazugehört. All das scheint kein Skandal sein, der für den Boss eines Profifußballclubs Konsequenzen hätte – weil es eben normal ist.