Dialog mit den Taliban

Reden und Morden

Die Taliban verhandeln in Doha mit Frauenrechtlerinnen, den USA und der afghanischen Regierung. Derweil verbreiten sie zuhause weiter Terror.

Die Taliban dämpften schnell den ­Optimismus, der sich nach dem ersten Treffen zwischen ihnen und Vertretern der afghanischen Regierung in Katars Hauptstadt Doha verbreitet hatte. Alles, was auf der zweitägigen, offiziell als »innerafghanische Dialogkonferenz« bezeichneten Veranstaltung am 7. und 8. Juli beschlossen wurde, seien nur »Empfehlungen« gewesen und »erst umsetzbar, wenn innerafghanische Verhandlungen stattfinden«, ließen sie kurz danach verlauten. In den Augen der aufständischen Islamisten handelte es sich wieder einmal nur um Vorgespräche zu richtigen Verhandlungen.

Bei einem Sprengstoffanschlag in Kabul kamen mindestens sechs Menschen ums Leben, am Tag zuvor hatten die Taliban elf Menschen getötet.

Trotzdem war die Konferenz, die gemeinsam von den Regierungen Katars und Deutschlands organisiert worden war, ein gewisser Fortschritt. Erstmals seit Jahren trafen sich wieder Vertreter der Taliban sowie der afghanischen Regierung, der Opposition, der Zivilgesellschaft und der Medien. Treffen davor, 2012 in Japan und Frankreich, waren als rein akademische Konferenzen deklariert gewesen. Beim jüngsten Treffen ging es immerhin auch offiziell um das Kernthema: Frieden und wie er gewahrt werden kann. Es ging um Verfahrensweisen und eine Tagesordnung für künftige offizielle Verhandlungen.

Allerdings waren alle 62 afghanischen Teilnehmerinnen und Teilnehmer – darunter elf Frauen und 17 Taliban-Mitglieder (alle männlich) – als Privatpersonen eingeladen. Denn die ­Taliban verweigern offiziell weiterhin direkte Gespräche mit der von ihnen nicht anerkannten Regierung. Trotzdem war klar, dass die Teilnehmer für ihre jeweiligen Parteien sprachen.

Immerhin gab es auch eine gemeinsame Abschlussresolution, die dazu auffordert keine öffentlichen Einrichtungen anzugreifen, die Zahl der zivilen Kriegsopfer »auf null« zu senken und Gefangene freilzuassen. Zudem sollen die Parteien aufhören, sich gegenseitig als »Terroristen« oder »Marionettenregierung« zu beschimpfen. Abgesehen davon, dass die Erklärung nicht bindend ist, ist gerade die wichtige Zivil­opferklausel vage formuliert. Es heißt, es solle »versucht« werden, »Opfer zu vermeiden«. Doch die Anschläge gehen weiter.

Am Freitag vergangener Woche kam es zu einem Sprengstoffanschlag vor der Universität in Kabul, bei dem mindestens sechs Menschen getötet und zahlreiche verletzt wurden. Bislang hat sich ­keine Gruppe dazu bekannt. Am Tag zuvor hatten Taliban das Polizeihauptquartier in Kandahar angegriffen und min­destens elf Menschen getötet. Aber seit dem Treffen in Doha sind auch fast 100 Menschen bei drei Angriffen der afghanischen und US-Truppen in den Provinzen Urusgan, Wardak und Logar umgekommen oder verletzt worden.

Entscheidend ist, was nicht zur Sprache kommt

Die Abschlussresolution zeigt klar, wie weit die Positionen noch auseinanderliegen – und zwar dadurch, was im Text nicht enthalten ist. Dazu gehören der Abzug der ausländischen Truppen, über den die USA und die Taliban in separaten Gesprächen ebenfalls in Doha verhandeln, ein vor allem von der afghanischen Bevölkerung herbeigesehnter Waffenstillstand und Afghanistans bestehende »internationale Verpflichtungen«. Dass diese keine Erwähnung fanden, wurde als Absage der ­Taliban an verbriefte Frauenrechte gewertet, könnte sich aber auch auf das ­Sicherheitsabkommen mit den USA beziehen – dessen Beibehaltung eine Hintertür für eine fortgesetzte Stationierung von US-Truppen zur »Terrorismusbekämpfung« wäre, wie sie US-Präsident Donald Trump befürwortet.

Die Taliban beharren auf einen Zeitplan für den US-Truppenabzug aus Afghanistan.

Am Tag nach dem Ende der Konferenz in Doha ging dann auch die seit Gesprächsaufnahme im Oktober 2018 siebte Runde der Friedensgespräche zwischen den USA und den Taliban zu Ende. Diese war für die Dauer des Treffens in Doha unterbrochen worden. Nach ihrem Ende verkündete der US-Vermittler Zalmay Khalilzad, eine Vereinbarung mit den Taliban sei fertiggestellt. Es gehe um vier Punkte: den Abzug der US-Soldaten und anderer ausländischer Truppen; Garantien der ­Taliban, dass nach einem solchen Abzug terroristische Gruppen nicht wieder von Afghanistan aus operieren können; einen dauerhaften landesweiten Waffenstillstand und die Beteiligung der afghanischen Regierung an den Gesprächen.

Allerdings hatten die Taliban zuvor abgestritten, dass über die beiden letzten Punkte überhaupt geredet worden sei. Sie beharren darauf, dass innerafghanische Verhandlungen erst stattfinden sollen, wenn die USA öffentlich einen verbindlichen Zeitplan für einen Truppenabzug aus Afghanistan vor­gelegt haben. Khalilzad, der von Doha aus über Peking nach Washington, D.C., flog, ist bisher Details des angeblichen Abkommens schuldig geblieben.

Auffallend ist die Haltung des afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani. Dieser hat sich weder vor noch während der Konferenz in Doha geäußert; normalerweise ist bei solchen Unternehmungen verbale Unterstützung eine diplomatische Pflicht. Zwei Tage nach Abschluss dann äußerte Ghani sich indirekt in Kabul bei einer Antikorruptionskonferenz und beharrte darauf, dass es bei einer innerafghanischen Lösung nur zwei Parteien gebe: die Regierung – also ihn, falls er die Wahl im September gewinnt – und die Taliban. Für ihn ist die Blockadehaltung der Taliban ein Legitimitätsproblem – und auch, dass die USA sich darauf eingelassen haben, ohne ihn mit den Aufständischen zu verhandeln.

»Nichts ist vereinbart, bis alles vereinbart ist.«

Die US-Regierung behauptet, dass sie eine Betei­ligung der afghanischen Regierung zu einem der vier angestrebten Hauptpunkte der Abkommen gemacht habe. Khalilzads Motto lautet: »Nichts ist vereinbart, bis alles vereinbart ist.«

Ghanis Haltung dürfte weder den Oppositionspolitikern gefallen haben, die befürchten müssen, bei künftigen Verhandlungen außen vor zu bleiben, noch den Vertretern der sozialen und Frauenorganisationen, die der Regierung, aber auch der Opposition nicht trauen. Sie befürchten, diese könnten für einem Kompromiss mit den Taliban zur Teilung der Macht wichtige politische und Bürgerrechte opfern. Deshalb war es auch so wichtig, dass Deutschland und Katar Vertretern der Zivilgesellschaft und insbesondere Frauen in Doha erstmals einen prominenten Platz verschafften.

Allerdings hatte auch die afghanische Regierung hochrangige junge Vertreterinnen und Vertreter geschickt, die früher in der Zivilgesellschaft tätig waren: Ahmad Nader Naderi, ein ehemaliges Mitglied der unabhängigen Menschenrechtskommission, sowie die stellvertretende Vorsitzende des Nationalen Sicherheitsrats, Shaharzad Akbar, die inzwischen zur Leiterin der Menschenrechtskommission des Landes ernannt wurde. Sie hatte ihren zwei Monate alten Sohn mitgebracht, der zeitweilig sogar auf die Teilnehmerliste der Konferenz geraten war. Das dürfte den Taliban vor Augen geführt haben, wie weit ihr Frauenbild hinter der afghanischen Wirklichkeit zurückgeblieben ist.

Selbst wenn es in absehbarer Zeit zu einem auch im afghanischen Alltag Friedensabkommen käme, könnten die Probleme erst richtig anfangen: von der Reintegration mindestens Zehntausender ehemaliger Kämpfer aller Seiten ins zivile Leben über die schwache Wirtschaft, die großen Teilen der Bevölkerung kein regelmäßiges Einkommen beschert, bis zur Erhaltung eines funktionierenden Staats, der derzeit von ausländischen Zuschüssen abhängt, dem aber bei einem Friedensschluss wichtige Geldgeber abhanden kommen könnten, weil sie sich dann als nicht länger zuständig betrachten.