Warum Megan Rapinoe gegen Trump ballert

Captain America

Die US-Fußballspielerin Megan Rapinoe ist zur globalen Ikone des Feminismus und Anti-Rassismus geworden. Dass es soweit kommen konnte, liegt auch an ihrem Bruder — einem ehemaligen Neo-Nazi.

Die Geschichte von Megan Rapinoe kann man natürlich auch erzählen, ohne ihren Bruder Brian zu erwähnen, aber es würde ein großer Teil fehlen. Zum Beispiel eine Erklärung dafür, warum sie keine Angst davor hat, sich die Sympathien der Massen zu verscherzen, und warum sie keinen großen Wert darauf legt, der Öffentlichkeit ein Hochglanzbild ihres Lebens zu präsentieren. Außerdem wäre sie ohne ihn, den ehemaligen Junkie und Neonazi, nicht Fußballweltmeisterin geworden und damit auch nicht so ausdauernd Donald Trump auf die Nerven gegangen.

Mit 15 Jahren wurde Rapinoes großer Bruder Brian in der Schule mit Crystal Meth erwischt. Es folgten Gefängnisaufenthalte, Bewährungszeiten und immer wieder Abstürze, während Megan zum international gefeierten Star wurde. Dabei war Brian derjenige, der ­seinen fünf Jahre jüngeren Schwestern, den Zwillingen Megan und Rachael, das Fußballspielen beigebracht hatte. Er zeigte ihnen alles, was er im Training gelernt hatte (Mutter Denise war Coach seines Teams, ­obwohl die Geschwister noch heute finden, das Einzige, das sie über Fußball wisse, sei, wie man sich Bälle auf die Fingernägel male).

Die damals Dreijährigen waren vom Kicken begeistert. Die Familie lebte gegenüber einer Kirche, zu der ein großes Fußballfeld gehörte, wo die Kinder fortan übten. Brian ließ sich von niemandem etwas gefallen, was Megan unerhört cool fand. In der Grundschule, so erinnerte sich eine Lehrerin im Interview mit dem US-amerikanischen Sportsender ESPN, habe sie einmal verkündet, die Arme in die Hüften gestemmt: »Brian Rapinoe ist mein Bruder, und ich bin genau so wie er.«

Sie habe ihn verehrt, sagte die Weltmeisterin, »er spielte auf dem linken Flügel, also spielte ich auf dem linken Flügel. Er trug die Nummer sieben; ich trug die Nummer sieben.«

Jeden Cent für Therapien und Fußballtraining

Das änderte sich, als Brian mit zwölf zu kiffen begann und mit 15 in Jugendhaft kam. Seine Schwestern seien »höllisch angepisst gewesen«, erinnerte er sich, obwohl sie ihm gleichzeitig versicherten, immer für ihn da zu sein. Drogen seien im kalifornischen Redding, wo sie aufwuchsen, sehr verbreitet gewesen, sagten die Schwestern später in einem Interview, der Fußball und Brians wachsende Probleme hätten sie davor bewahrt. Sie habe erleben müssen, wie die Eltern alles versuchten, Brian vor weiteren Abstürzen zu schützen. Der Vater arbeitete tagsüber auf dem Bau, die Mutter nachts als Kellnerin.

Jeden Cent hätten sie in Therapien für ihn und die Fußballausbildung der Mädchen gesteckt. Die Zwillinge wurden professionelle Fußballspielerinnen, wegen einer Knieverletzung blieb es aber für Rachael bei einigen Spielen für die US-amerikanische Nationalmannschaft der unter 23jährigen und einem kurzen Engagement beim isländischen Club Ungmennafélagið Stjarnan.

Bei Brian folgten Heroin, Autodiebstähle, Fahrerflucht, Knastaufenthalte, die Mitgliedschaft in einer Nazi-Knastgang und die Inhaftierung in einem Hochsicherheitsgefängnis. Und entsprechende Tätowierungen, ein Hakenkreuz auf dem Handteller, SS-Runen auf den Fingern und den Waden.

Die Bezeichnung solcher Gruppen als prison gangs sei irreführend, heißt es in einer Analyse der Anti-Defama­tion League. Gruppen wie die Aryan Brotherhood of Texas und Aryan Circle terrorisierten Schwarze, Juden und ­Latinos nicht nur hinter Gittern, sondern immer öfter auch außerhalb der Gefängnisse. Mitglieder der Aryan Brotherhood hätten von 2000 bis 2015 mehr als 30 Morde in Texas begangen.

Sie tut, was sie möchte

Sie könne die Tätowierungen rationalisieren und nachvollziehen, dass Brian damals versuchte, im Knast zu überleben, und gleichzeitig auf der Suche nach Identität gewesen sei, sagte Megan Rapinoe einmal, gleichzeitig finde sie die Tattoos »abscheulich«. Ihre Mutter erklärte, die Mitgliedschaft in der Nazi-Gang entspräche exakt dem Gegenteil der Grundüberzeugung der restlichen Familie. Die Hälfte seiner insgesamt 16 Jahre in Gefängnissen verbrachte Brian in Einzelhaft. Die Spiele seiner Schwester bei den Fußballweltmeisterschaften 2011, 2015 und 2019 konnte er nicht zu Hause vor dem Fernseher, geschweige denn live im Stadion sehen, 2011 war er in Haft, 2015 in Einzelhaft und 2019 in einer Bewährungsmaßnahme – er holt dort seinen Schulabschluss nach. Die Nazi-Tätowierungen hat er inzwischen entfernen oder überstechen lassen.

Colin Kaepernick kniete 2016 aus Protest gegen Rassismus, statt sich zur Nationalhymne zu erheben. Drei Tage später wiederholte Rapinoe die Geste.

Auch seine Schwester Megan habe Anteil daran gehabt, wie er vor kurzem in einem Interview sagte. Im Juni 2012 – im Jahr zuvor war das US-Team Vizeweltmeister geworden und Megan ein Fußballstar – hatte sie das getan, was sich schwule Fußballspieler bis heute nur sehr selten trauen. Megan outete sich als lesbisch und teilte mit, dass sie schon seit 2009 mit der australischen Kickerin Sarah Walsh zusammen sei. Mit ihrer heutigen Partnerin Suzanne Bird, die bei Seattle Storm sowie in der US-Frauennationalmannschaft Basketball spielt, wurde sie 2018 als erstes gleichgeschlechtliches Paar auf der Titelseite des Sportmagazins The Body Issue abgebildet.

Ihre Fans lieben Rapinoe nicht nur für ihr fußballerisches Können, sondern auch dafür, dass sie tut, was sie möchte, und das ist oft genug das, was getan werden muss, um beispielsweise Alt-Right-Anhängern zu zeigen, dass sie eben keine Mehrheit repräsentieren. Am 1. September 2016 kniete in San Diego der American-Football-Spieler Colin Kaepernick aus Protest gegen Rassismus und Polizeigewalt, statt sich vor dem Spiel zur Nationalhymne zu erheben. Drei Tage später wiederholte Rapinoe die Geste vor einem Spiel ihres Teams Seattle Reign gegen die Red Stars. Wie sie später sagte, tat sie das als »zustimmendes Kopfnicken an Kaepernick« und »sehr absichtlich«.

»Geschmacklose Vorwürfe«

Wie Kaepernick und die Football-Spieler, die es ihm gleichtaten, wurde auch sie extrem angefeindet, beleidigt und bedroht – ungerührt erklärte sie umgehend, dass sie auch weiterhin beim Abspiel der Nationalhymne knien werde. Beim folgenden Auswärtsspiel am 7. September gegen Washington Spirit wurde die Hymne abgespielt, bevor die Spielerinnen ins Stadion einliefen, denn, so die Gastgeber, »wissentlich zu erlauben, dass die Tradition, die so viel für Millionen Ame­rikaner und viele unserer Fans bedeutet, gehijackt wird, wäre genau so respektlos, wie wenn wir uns selbst hinknien würden«.

Die US-Nationalhymne wird sie wahrscheinlich nie wieder singen.

Rapinoe nannte das Statement und die Hymnenvorverlegung »unglaublich«. Es sei »unfassbar geschmacklos, vier Tage vor einer der schlimmsten Tragödien, die sich in unserem Land jemals ereigneten (gemeint war der Jahrestag der Anschlage vom 11. September 2001, Anm. d. Red.), mir so etwas vorzuwerfen.« Ihren Protest führte sie zunächst weiter, auch bei einem Länderspiel gegen Thailand. Sie sei »sehr stolz«, das Nationaltrikot zu tragen und »für mein Land zu spielen«, sagte sie anschließend, »aber auch darauf, mein Land auf andere Weise zu repräsentieren, indem ich für die meine Stimme erhebe, die unterdrückt werden«. Rapinoe beendete ihren Protest schließlich, aber sie werde stattdessen »wahrscheinlich nie wieder« die Hymne mitsingen, zitierte das Internetportal Yahoo Sports Rapinoe im Mai.

Eine entschiedene Gegnerin von Donald Trump war sie schon, bevor der Präsident die knienden Sportler als Thema für sich entdeckte und seine Anhänger in regelrechten Hassreden gegen sie aufhetzte. Entsprechend stellte sie bereits vor der WM klar, unter gar keinen Umständen für einen Empfang im Weißen Haus zur Verfügung zu ­stehen.

Rapinoes erstes Statement nach dem Gewinn des Weltmeistertitels galt ihrem Bruder, der an diesem Tag Geburtstag hatte. Brian, der von sich einmal sagte, er sei kein schlechter Mensch, sondern treffe nur schlechte Entscheidungen, schließlich sei er drogenabhängig, ist schon seit längerem clean. Mit dafür verantwortlich war seine kniende Schwester. Deren Protest fand und findet er gut und richtig. »Ich dachte, schau dir an, was sie mit ihrem Leben angefangen hat und was ich dagegen mit meinem tue«, beschrieb er sein Schlüsselerlebnis. Und Megan Rapinoe betonte kürzlich, auch weiterhin für ihn da sein zu wollen: »Wie schrecklich wäre es, wenn er diese Welt eines Tages verlässt und nichts weiter erreicht hat als Gefängnis­strafen.«