Eine Diktatur hat Geburtstag

Lukaschenko forever

Alexander Lukaschenko ist der dienstälteste Präsident Europas, seit 25 Jahren herrscht er mit eiserner Hand über Belarus. Seine Macht stützt sich auf sieben Faktoren.

Gerahmt und durch Glas geschützt schaut er in die Ferne. Sein Blick ist streng und ein wenig verschmitzt zugleich. In den meisten belarussischen Amtsstuben hängt er, landauf, landab. Es ist immer das gleiche Foto und schon fast zwei Jahrzehnte alt. Doch das Bild ist nach wie vor das offizielle »Porträt des Präsidenten der Republik Belarus«.
Viele kamen und gingen in dieser Zeit anderswo, doch er blieb: Alexander Lukaschenko, der dienstälteste Präsident Europas. Seit 25 Jahren, seit dem 20. Juli 1994, steht er an der Spitze des osteuropäischen Landes.

Protestierenden werde man »den Hals umdrehen, wie einer Ente«, drohte Lukaschenko seiner Bevölkerung.

Belarus, die »letzte Diktatur Europas« – das ist das Etikett, das die damalige US-Außenministerin Condoleezza Rice dem Land Mitte der nuller Jahre verpasste. Doch die eingängige Bezeichnung ist mittlerweile so ausgelutscht wie falsch. Lukaschenko selbst scherzte in einem Interview im April 2015 – in kaum verhohlener Bezugnahme auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin –, dass er nicht mehr der einzige Despot des Kontinents sei. »Es gibt Diktatoren, die etwas schlimmer sind als ich, oder nicht? Ich bin schon jetzt das kleinere Übel«, sagte Lukaschenko.

Als letztes Land Europas verhängt und vollstreckt Belarus die Todesstrafe. Amnesty International berichtet von mindestens 256 Menschen, die seit 1994 durch Genickschuss exekutiert wurden. Genaue Zahlen gibt es nicht, denn die Urteile gelten als Staatsgeheimnis. Regelmäßig lässt das Regime Menschen in großer Zahl verhaften. Und in allen einschlägigen Freiheitsindizes rangiert das Land im hinteren Drittel. Doch wie hat es Lukaschenko trotzdem geschafft, 25 Jahre lang im Amt zu bleiben? Und dort jetzt so sicher wie nie zuvor zu sitzen?

Lukaschenkos Wahl zum ersten und bisher einzigen belarussischen Präsidenten war durchaus eine Überraschung. Kaum jemand traute dem ehemaligen Direktor einer Sowchose aus der Provinz 1994 den Sieg gegen den damaligen Ministerpräsidenten Wjatschaslau Kebitsch zu. Gleichwohl war Lukaschenko als Leiter des Antikorruptionsausschusses des Parlaments kein Unbekannter. Schon im Wahlkampf ließ er sehr autoritäre Vorstellungen durchblicken. Er versprach die Korruption bis hinauf auf die höchste Ebene zu bekämpfen, die Warenpreise zu deckeln und engere Beziehungen zu Russland zu knüpfen.

Damit bediente Lukaschenko populäre Forderungen und zugleich nostalgische Gefühle für die gerade erst untergegangene Sowjetunion. Noch immer genießt Lukaschenko breite Unterstützung in der Bevölkerung, gerade in ländlichen Gebieten. Seine persönliche Popularität ist der erste von mehreren Machtfaktoren.
Der Rückhalt lässt sich leicht erklären: Die Sozialleistungen blieben vergleichsweise hoch und es gab keine einschneidenden Wirtschaftsreformen wie in den postkommunistischen Nachbarländern. Da der Staat noch immer etwa 80 Prozent der Industrie kontrolliert, bekommen die meisten Angestellten wie zu Sowjetzeiten in etwa den gleichen Lohn, egal wie viel oder wo sie arbeiten. Davon profitieren gerade die Geringqualifizierten und die Menschen auf dem Land. Offen ist allerdings, wie zukunftstauglich das belarussische Wirtschaftssystem ist – ungeachtet eines boomenden IT-Sektors. Das Land befindet sich seit 2011 in einer Devisenkrise. Belarus ist von billigen Öl- und Erdgaslieferungen sowie Krediten aus Russland abhängig.

Wie beliebt ist Lukaschenko bei der Bevölkerung?

Doch ungeachtet gelegentlicher Einbrüche konnte Lukaschenko die Wirtschaft stabilisieren. Gerade westliche Unternehmen loben die Infrastruktur und die politische Stabilität. Für deutsche Firmen ist der Standort Belarus attrak­tiver als die EU-Mitgliedsstaaten Lettland, Kroatien oder Rumänien, wie aus einer aktuellen Umfrage der Deutschen Auslandshandelskammern hervorgeht. Die außenpolitische Flexibilität und die vergleichsweise stabile Wirtschaft sind der zweite Machtfaktor.

Todesschwadronen des Regimes sollen Oppositionelle entführt und ermordet haben.

Wie stark die Unterstützung für Lukaschenko zu Beginn war, zeigte sich bei einem wegweisenden Referendum 1996, das das Parlament und das Verfassungsgericht entmachtete. Der Präsident konnte nun alle Schlüsselpositionen in der Regierung sowie in der staatlichen Verwaltung selbst besetzen. Zusätzlich schränkte Lukaschenko mit Dekreten die Presse-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit ein und diskreditierte Parlamentarismus und Parteien systematisch. Es existiert weder eine »Partei der Macht« wie in Russland oder Kasachstan, noch spielen Parteien im politischen Alltag eine Rolle, nur 15 sind derzeit im Land registriert. Ebenso verhinderte Lukaschenko durch regelmäßige Personalrochaden an zentralen Stellen des Staatsapparats, dass sich einflussreiche Strukturen etablieren konnten – Machtfaktor Nummer drei.

Im Rückblick gilt die Jahrtausendwende als Schlüsselzeit für die Stabilisierung von Lukaschenkos Macht. Wegen anhaltender Repressionen flohen viele ehemalige Mitstreiter und Kontrahenten ins Ausland. Einige kamen ums Leben: Unter mysteriösen Umständen starb im Frühjahr 1999 Gennadi Karpenko, einer der aussichtsreichsten Gegenkandidaten für das Amt des Präsidenten. Kurze Zeit später verschwanden vier bekannte Oppositionelle. Todesschwadronen des Regimes sollen sie entführt und ermordet haben.

Als Lukaschenko 2001 wiedergewählt wurde, zeigte sich bereits ein Muster, dass sich bei allen weiteren Wahlen wiederholen sollte: ein von der Auswahl der Gegenkandidaten bis zur Zählung der Stimmzettel manipulierter Abstimmungsprozess. Nach der Verfassung war eigentlich eine weitere Wiederwahl Lukaschenkos ausgeschlossen. Doch ein Referendum im Jahr 2004 hob die Amtszeitbeschränkung auf. Immer wieder verschafft sich Lukaschenko durch haushoch gewonnene Scheinwahlen Legitimität – Machtfaktor Nummer vier.

2006 und 2010 reagierten Zehntausende wütend auf die offensichtlich manipulierten Präsidentschaftswahlen. So kraftvoll und optimistisch die Proteste beide Male im Zentrum von Minsk begannen, so jäh zerschlugen der KGB (wie der belarussische Geheimdienst noch immer heißt) und die Polizei die Hoffnungen der Demonstrierenden auf einen demokratischen Umbruch. Widerstand auf der Straße begegnete Lukaschenko zu jeder Zeit mit Härte, dem fünften Machtfaktor. Er ließ Demonstrationen niederknüppeln und Andersdenkende verhaften. Wer sich einem Protest der Opposition anschließe, werde als Terrorist behandelt, so Lukaschenko 2006. Protestierenden werde man »den Hals umdrehen, wie einer Ente«. Das staatliche Fernsehen zeigte Spielfilme statt der Demonstrationen, die großen Zeitungen machten mit Erfolgsmeldungen auf.

Lukaschenko ist überall

Noch immer leitet Nacht für Nacht »unser Präsident« die Abendnachrichten ein. Mal eröffnet Lukaschenko ein Kulturfestival, mal inspiziert er eine Fabrik oder trifft sich mit ausländischen Gästen in seiner Sommerresidenz. Diese Omnipräsenz von po­sitiven, mit dem Präsidenten verknüpften Nachrichten ist der sechste Machtfaktor. Förderlich ist zudem, dass die in der Bevölkerung deutlich populäreren russischen Fernsehsender die Erzählung Lukaschenkos teilen: Regierungswechsel – wie in der benachbarten Ukraine – würden nur Unsicherheit und Instabi­lität bringen. Und die, so heißt es, fürchten viele Belarussen noch mehr als ­ihren Präsidenten.

Die Opposition hat an Anziehungskraft verloren, kritische Köpfe haben kaum Hoffnung.

Aus Sicht Lukaschenkos ist die Sache ohnehin unstrittig: »Es gibt hier keine Diktatur, es gibt keine Übergriffe. Wie kann ich den Menschen Gewalt antun, die mich fortwährend unterstützen?« Immer wieder inszeniert sich Lukaschenko als Mann aus dem Volk. Er erntete zusammen mit Nachbarn seiner Präsidialresidenz Kartoffeln, dem US-Action-Star Steven Seagal überreichte er Karotten und Melonen und mit Schauspieler Gérard Depardieu senste er gemeinsam Gras. Die einen bezeichnen Lukaschenko deshalb liebevoll »Batschka« (Väterchen), die anderen würden ihn nur ironisch so nennen.

Auch wenn viele Belarussen mit Lukaschenko unzufrieden waren, für die meisten bestand nie eine adäquate Alternative. Die Opposition hat sukzessive an Anziehungskraft verloren, viele kritische Köpfe haben keine Hoffnung mehr auf baldige Besserung. Tausende junger Erwachsener haben Belarus mal mehr, mal weniger freiwillig verlassen, um in Polen, Litauen oder Russland zu studieren. Im Land sind die geblieben, die sich mit den Verhältnissen arrangiert oder ihre Nische, vor allem im Kunst- und Kultursektor, gefunden haben – Machtfaktor Nummer sieben. Als vor Lukaschenkos vierter und bis dato letzter Wiederwahl 2015 die Opposition dazu aufrief, gegen die Scheinwahl zu protestieren, folgten dem nur noch wenige Tausend Menschen.

Lukaschenko hat es verstanden, jegliche Gegnerschaft zu zerschlagen, bevor sie zu einer ernstzunehmenden Bedrohung geworden wäre  – durch Massenverhaftungen und Geldstrafen, fortwährende Gängelungen und staatliche Überwachung, durch Zensur und Propaganda sowie in einigen Fällen wohl auch durch Mord. »Ein autoritärer Herrschaftsstil ist charakteristisch für mich«, gab Lukaschenko 2003 freimütig zu. Er betonte: »Du musst das Land kontrollieren, und das Wichtigste ist, nicht das Leben der Menschen zu ruinieren.«


In Belarus sollen 2020 Präsidentschaftwahlen abgehalten werden. Das gab Präsident Alexander Lukaschenko im April in seiner jährlichen Ansprache vor der Parlament bekannt. Bereits Ende 2019 sollen Parlamentswahlen stattfinden. Während Lukaschenkos 25jähriger Präsidentschaft fanden zwar regelmäßig Wahlen statt, diese waren aber weder frei noch fair.