Das Asylrecht wird weiter eingeschränkt

Neue deutsche Leidkultur

In einer »nationalen Kraftanstrengung« will die Große Koalition das Abschieberegime ausbauen.

Der kurze Sommer der Humanität ist vorbei, nun wird aufgeräumt. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann machte vor zwei Wochen den Anfang mit dem nicht sonderlich neuen und noch immer menschenfeindlichen Vorschlag, Flüchtlinge, die gerade erst die Fahrt übers Mittelmeer überlebt haben, direkt wieder nach Afrika »zurückzuschicken« und in dort zu errichtende Auffanglager zu stecken. Die Große Koalition schloss sich dem vergangene Woche an und verabschiedete gemeinsam mit den Ländern einen 15-Punkte-Plan, um Flüchtlinge einfacher und schneller wieder loszuwerden. Unter anderem sind »Ausreisezentren« geplant, also Haftanstalten für Menschen, deren einziges Vergehen es ist, den falschen Pass zu besitzen. Die maximale Dauer des Ausreisegewahrsams, der relativ leicht verhängt werden kann, soll von vier auf zehn Tage verlängert werden. Schutzsuchende mit wenig Aussicht auf einen Asylstatus sollen ihre Erstaufnahmeeinrichtungen möglichst gar nicht erst verlassen, damit sie direkt von dort abgeschoben werden können. Außerdem sollen ­Behörden die Erlaubnis bekommen, Mobiltelefone von Asylsuchenden auf der Suche nach Hinweisen auf deren Identität zu durchforsten.
Hinter dem schönen Schein der »Willkommenskultur« wurde bereits seit vergangenem Sommer durch die sogenannten Asylpakete I und II das Asylrecht erneut drastisch eingeschränkt. Antirassistische Organisa­tionen kommen kaum noch nach, all die neuen Verschärfungen zu kritisieren oder gar durch Kampagnen angemessen zu beantworten. Vergangenes Wochenende demonstrierten in verschiedenen Städten immerhin tausende Menschen für das Bleiberecht. Auch mehrere Bundesländer erklärten, Abschiebungen nach Afghanistan wegen der dortigen Lage erst einmal auszusetzen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat dafür kein Verständnis, schließlich gebe es dort auch »sichere Regionen«. Der vergangene Woche vorgelegte UN-Bericht zu Afghanistan zeichnet indes ein deutlich anderes Bild. Am Donnerstag, zeitgleich zum Bund-Länder-Beschluss, teilte das Rote Kreuz mit, vorerst seine Arbeit in dem Land einzustellen, nachdem es in einer vermeintlich sicheren Region attackiert worden war.
Der 15-Punkte-Plan ist auch ein Versuch, die Befugnisse bei »Rückführungen« von den Ländern, die in der Abschiebepraxis durchaus unterschiedlich agieren, auf den Bund zu übertragen. Die im Dezember begonnenen Sammelabschiebungen nach Afghanistan sind Teil dieser Strategie. In Zukunft soll ein »Zentrum zur Unterstützung der Rückkehr« (ZUR) in Potsdam Sammelabschiebungen weiter erleichtern. Worin sich Bund und Länder einig sind, ist die rigorose Abschiebung von Straftätern und sogenannten Gefährdern, für die anscheinend das Recht auf ein faires Verfahren oder körperliche Unversehrtheit nicht mehr gilt. Zugleich zeigt sich hieran die nationale Beschränktheit sowohl in der Flüchtlings- als auch in der Terrorismusdebatte. Niemand stellt die Frage, welchen Sinn es ergibt, potentielle Attentäter in ihre Herkunftsländer zurückzuschicken, so dass sie dort Anschläge begehen und noch mehr Menschen in die Flucht treiben. Menschen, denen es dann schwerer bis unmöglich gemacht wird, in Deutschland Schutz zu bekommen.
Mit sinnvollem Schutz gegen Terrorismus hat die verschärfte »Abschiebekultur« (FAZ) ebenso wenig zu tun wie mit der Bewahrung des Grundrechts aus Asyl für »echte« Flüchtlinge, wie die Bundesregierung behauptet. Es ist die Anbiederung an den rechten Rand der Republik, an den Rassismus der »besorgten Bürger«, eine Wiedergutmachung des Merkel-Sommers. Schon die Sprache verrät die Motivation: Die Steigerung der Zahl der Abschiebungen und »freiwilligen« Ausreisen von 27 000 im Jahr 2014 auf 80 000 im vergangenen Jahr wird als »wichtiger Fortschritt« bezeichnet. In Teilen der Medien ist bereits ein Deportationswettkampf eröffnet worden. Der Fernsehsender NTV fragte: »Wer schiebt am schnellsten ab?« Bild veröffentlichte ein Ranking und benennt Hessen als den »Abschiebeverlierer der Nation«. Die Bundesregierung will derweil keine Zeit verlieren: Am Dienstag traf sich Merkel mit dem tunesischen Premierminister Youssef Chahed, um ihm Oppermanns Idee der Auffanglager vorzulegen.