Die deutsche Autoindustrie sieht wegen ihrer Exportorientierung und mafiöser ­Machenschaften schlechten Zeiten entgegen

Der Motor stottert

Der Rekordumsatz des vergangenen Jahres kann nicht darüber hinwegtäuschen: Der deutschen Autoindustrie stehen schwere Zeiten bevor. Ihre Probleme hat sie mit teils mafiösen Methoden selbst verschuldet.

»Am Ende zählt Existenz« – so zitierte das Handelsblatt kürzlich einen hochrangigen Manager eines deutschen Autokonzerns. Es sei »nicht gottgegeben«, dass die deutsche Autoindustrie für immer bestehe. Dieser mahnende Tonfall mag erstaunen, haben die deutschen Automobilfirmen im vergangenen Jahr doch einen Rekordumsatz von 424,8 Milliarden Euro erzielt.

Allerdings sank im vergangenen Jahr die Zahl der weltweit verkauften Autos zum ersten Mal seit 2009. Und nicht nur deswegen sieht die Zukunft der deutschen Autoindustrie derzeit ziemlich düster aus. Die Handelsstreitigkeiten zwischen den USA und der EU sowie China bedrohen das globalisierte Geschäft der deutschen Konzerne, die juristischen Folgen des Skandals um manipulierte Dieselabgaswerte sind noch lange nicht ausgestanden, und es vollziehen sich enorme technologische Entwicklungen, bei denen die hiesige Autoindustrie hinter die Konkurrenz zurückzufallen droht.

Besonders Letzteres könnte langfristig gefährlich werden. Mit hochentwickelten Verbrennungsmotoren stehen die deutschen Autohersteller zwar immer noch an der Weltspitze, doch nicht einmal der Dieselskandal 2015 ließ im Management die Einsicht reifen, dass das Geschäftsmodell der Zukunft anders aussieht. Elektroautos, Plattformen für Carsharing und selbstfahrende Autos – um auch in Zukunft global mitspielen zu können, wird ein Konzern jeden dieser drei Bereiche abdecken müssen.

In den nächsten Monaten werden in weiteren deutschen Städten Dieselfahrverbote in Kraft treten. Auch das dürfte die Lage der Autohersteller nicht gerade verbessern. Doch sollten die EU-Behörden die deutsche Autoindustrie ernsthaft unter Druck setzen, könnte diese auch politische Unterstützung erhalten.

Die dafür erforderlichen Entwicklungskosten sind gewaltig. Dem Verband der Automobilindustrie (VDA) zufolge wird die deutsche Industrie in den nächsten Jahren fast 60 Milliarden Euro in Elektromobilität und Digitalisierung investieren. Der Technologiekonzern und Autozulieferer Bosch forciert die Entwicklung der künstlichen Intelligenz, die für selbstfahrende Autos benötigt wird. Gemeinsam mit Daimler will Bosch gegen die US-amerikanische Konkurrenz antreten, die schon einige Schritte weiter ist. Waymo, ein Tochterunternehmen von Google, begann im Dezember den weltweit ersten kommerziellen Taxidienst mit selbstfahrenden Autos.

Auch in der Elektromobilität versuchen die deutschen Konzerne aufzuholen, doch noch ist das Angebot spärlich, die Verkaufszahlen sind niedrig. Besonders in China, einem der wichtigsten Märkte für deutsche Autohersteller, wird das immer mehr zum Problem. Die chinesische Regierung verlangt von Autoproduzenten, weniger Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren zu produzieren. Zudem boomt in China der Verkauf von Elektroautos, während die Verkaufszahlen für Autos insgesamt zum ersten Mal seit 20 Jahren zurückgegangen sind. Auch in den USA gehen die Absätze deutscher Firmen zurück, in Europa sieht es ähnlich aus.

Die Bedeutung der Autoindustrie für die deutsche Wirtschaft ist nach wie vor enorm. Sie beschäftigt direkt und indirekt über 800 000 Menschen und erwirtschaftet etwa 7,7 Prozent der Wirtschaftsleistung Deutschlands. Seit 2010 sind Autos und Autoteile die wichtigsten Exportgüter Deutschlands, im vergangenen Jahr erreichten die Exporte einen Wert von 229,7 Milliarden Euro.

Die große Exportabhängigkeit wird zur Gefahr. Der wichtigste Markt für deutsche Autoexporte bleiben die USA. Dementsprechend groß dürfte der Schock in den Konzernzentralen gewesen sein, als das US-amerikanische Handelsministerium im Februar deutsche Autoexporte als »Bedrohung der nationalen Sicherheit« einstufte. Bis zum 18. Mai hat US-Präsident Donald Trump noch Zeit, um zu entscheiden, ob er die angedrohten Strafzölle von 25 Prozent auf europäische Autos erlassen wird. Möglicherweise will Trump die Zölle nicht einführen, sondern nur als Drohkulisse für anstehende Verhandlungen nutzen. So werden bislang US-amerikanische Autos in Europa mit einem Zoll in Höhe von zehn Prozent belegt, während es in den USA für europäische Autos nur 2,5 Prozent sind – das würde die US-Regierung wohl gerne ändern.

In jedem Fall bedroht der Trend zum Protektionismus das globale Geschäftsmodell der deutschen Konzerne. BMW hatte schon Einbußen hinzunehmen, als China vorübergehend Zölle in Höhe von 40 Prozent auf US-amerikanische Autos erhob – die auch für Autos galten, die BMW in den USA herstellen ließ. Mit einem möglichen hard Brexit droht ein herber Schlag für BMW, da die Tochtermarken Mini und Rolls-Royce in England ansässig sind. Die Volkswagen AG verkauft fast die Hälfte ihrer Autos in China, auch für sie wäre eine Verschärfung der globalen Handelsspannungen fatal.

Zu diesen globalen Gefahren kommen weitere Widrigkeiten: Die Justiz beschäftigt sich mit den Machenschaften deutscher Autohersteller. In einem Verfahren vor dem Landgericht Wuppertal musste der VW-Konzern kürzlich zugeben, dass er die Abgaswerte eines weiteren neueren Motormodells manipuliert hatte. Das Oberlandesgericht Karlsruhe erklärte jüngst die Klage eines VW-Kunden wegen »vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung« für begründet. Die Klage richtet sich gegen VW selbst; sollte dieses Urteil Bestand haben, würden sich für VW-Kunden neue Möglichkeiten eröffnen, Schadensersatz einzuklagen.

Noch ernster sind jedoch die Ermittlungen auf europäischer Ebene, die nicht nur Volkswagen betreffen. Noch dieses Jahr wird die europäische Wettbewerbsbehörde voraussichtlich formelle Beschwerdemitteilungen an die drei großen deutschen Autokonzerne schicken. Die EU-Behörden werfen BMW, Daimler und Volkswagen illegale Absprachen in der Dieselaffäre vor.
Dem Handelsblatt liegen Ermittlungsakten deutscher Staatsanwälte vor. Sie zeichnen ein geradezu mafiöses Bild. Den Unterlagen zufolge fand 2007 ein geheimes Krisentreffen statt, bei dem Vertreter der drei Unternehmen darüber berieten, wie mit dem Dieselproblem umzugehen sei. Dass die Dieselmotoren zu viel Stickoxid ausstießen, war bekannt, doch eine technische Lösung fanden die Konzerne nicht. Der Zusatzstoff Adblue reduzierte zwar die Schadstoffmenge, doch führte dieser zu Motorenschäden.

Und so kamen die Verantwortlichen zu dem Urteil: »Ganz ohne Bescheißen werden wir es nicht schaffen« – wie ein Audi-Manager 2008 an seine Kollegen schrieb. Gemeinsam entschied man, die verwendete Menge Adblue zu reduzieren, auch wenn damit die Stickoxidgrenzwerte überschritten würden. Die Konzerne taten sich außerdem zusammen, um den Behörden eine untereinander abgestimmte »Plausibilisierung der Deckelung der Adblue-Dosierung« zu verkaufen, wie es in einer internen E-Mail hieß – also einer Erklärung dafür, warum man so wenig Adblue verwendet. In anderen Worten: BMW, Daimler und VW haben geheime Absprachen getroffen, um den von ihnen begangenen Betrug zu vertuschen.

Zum möglichen Straftatbestand des Betrugs kommt damit noch der Vorwurf der illegalen Kartellbildung hinzu. Die von der europäischen Wettbewerbsbehörde zu verhängenden Strafen könnten sich auf zehn Prozent des jährlichen Umsatzes der Konzerne belaufen, das wären ungefähr 50 Milliarden Euro. Angesichts des schwächelnden Absatzes und der enormen Investitionskosten, die in den nächsten Jahren fällig werden, könnte eine solche Summe die Unternehmen durchaus in Bedrängnis bringen.

In den nächsten Monaten werden in weiteren deutschen Städten Dieselfahrverbote in Kraft treten. Auch das dürfte die Lage der Autohersteller nicht gerade verbessern. Doch sollten die EU-Behörden die deutsche Autoindustrie ernsthaft unter Druck setzen, könnte diese auch politische Unterstützung erhalten. Ein erstes Anzeichen dafür war kürzlich die Kontroverse über das fehlerhafte Gutachten einiger Lungenärzte, die die EU-Grenzwerte für Stickoxid in Frage stellten. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) forderte die EU-Kommission Ende Januar auf, die Grenzwerte zu senken. Gerade die Dieselfahrverbote könnten die öffentliche Debatte in eine populistische Richtung treiben. Die Feindbilder stehen schon bereit: Es geht gegen die EU-Bürokratie mit ihren vermeintlich überzogenen Umweltvorschriften, die den Deutschen ihre Autos und ihre Industriearbeitsplätze wegnehmen wolle. Angesichts der globalen Konkurrenz, die dem deutschen Exportnationalismus das Fundament zu entziehen droht, hat das durchaus populistisches Potential.