Das australische Parlament hat dafür gestimmt, medizinische Evakuierungen von Flüchtlingen zu vereinfachen

Kranke Asylpolitik

Das australische Parlament hat mit den Stimmen der Opposition beschlossen, Evakuierungen von kranken in Lagern auf Pazifikinseln internierten Flüchtlingen nach Australien zu vereinfachen. Die ­konservative Regierung schürt nun mit Blick auf die bevorstehenden Wahlen erneut die Angst vor Flüchtlingen.

Es war eine schwere Niederlage für die konservative Regierung unter Premierminister Scott Morrison. Am Dienstag vergangener Woche beschloss das aus­tralische Repräsentantenhaus mit knapper Mehrheit, unter anderem mit den Stimmen der Labor-Partei und der Grünen, das Migrationsgesetz von 1958 um einen Zusatz mit dem Namen medevac bill (von medical evacuations) zu erweitern; dieser erlaubt in medizinischen Notfällen die Evakuierung von Flüchtlingen von den Pa­zifikinseln Manus und Nauru nach Australien. Später stimmte auch der Senat zu. Der Gesetzentwurf war von der parteilosen Abgeordneten Kerryn Phelps Ende 2018 ins Parlament eingebracht worden. Es war das erste Mal in 77 Jahren, dass eine Regierung eine Abstimmung über ein Gesetzesvorhaben im Repräsentantenhaus verloren hat. Die Minderheitsregierung, bestehend aus der Liberalen Partei und der Nationalen Partei, fürchtet nun um ihre Wiederwahl bei den in diesem Jahr anstehenden Parlamentswahlen.

Seit 2011 interniert die australische Regierung auf Manus, das zu Papua-Neuguinea gehört, und im Pazifikstaat Nauru über 1 000 Asylsuchende und anerkannte Flüchtlinge. In den Camps herrschen ausgesprochen schlechte Lebensbedingungen. Die Internierung dient in erster Linie der Abschreckungen anderer potentieller Bootsflüchtlinge in der Region, die eine irreguläre Weiterreise nach Australien erwägen könnten. Um die Abschreckung aufrechtzuerhalten, hat die aus­tralische Regierung wiederholt Angebote von aufnahmewilligen Drittländern, wie zum Beispiel Neuseeland, abgelehnt. In den vergangenen fünf Jahren starben zwölf Flüchtlinge auf Manus und ­Nauru, nicht zuletzt weil es dort an medizinischer Grundversorgung mangelte und Politiker den Transfer von Kranken in mehreren Fällen verhindert beziehungsweise verzögert haben.

Einer, den diese Politik das Leben kostete, war der 24jährige Hamid Kehazaei aus dem Iran, der an einer Blutvergiftung starb, weil er zu spät die notwendige medizinische Behandlung bekam. Dem Bericht der Gerichts­mediziner zufolge wäre der Tod Kehazaeis zu verhindern gewesen, wäre er rechtzeitig ausgeflogen worden. Seit Jahren wenden sich medizinische Experten an die australische Regierung, um eine bessere Versorgung in den Lagern zu erreichen. Kritiker hielten ihnen entgegen, dass Mediziner keine gewählten Volksvertreter seien und daher keine Entscheidungsgewalt darüber haben sollten, wer nach Australien kommt und wer nicht. Doch die Behauptung, dass Ärzte den Grenzschutz und die australische Abschreckungspolitik untergraben könnten, ist absurd.

Das nun beschlossene neue Gesetz sieht vor, dass die betreuenden Ärzte an Ort und Stelle die Evakuierungen initiieren können. Allerdings kann der australische Innenminister diese nach wie vor mit einem Veto verhindern. Als Nichtexperte hat der Minister also das Recht, die medizinische Expertise in Frage zu stellen. In diesem Fall wird die Entscheidung an einen medizinischen Schlichtungsausschuss weitergegeben. Darüber hinaus kann der Minister Evakuierungen auch wegen potentieller Sicherheitsrisiken für die australische ­Bevölkerung oder früherer Straftaten des Patienten unterbinden. Patienten, die dennoch für eine me­dizinische Behandlung nach Australien ausgeflogen werden, werden dort weiterhin interniert.

Obwohl das neue Gesetz zu begrüßen ist, wurde die Originalvorlage in letzter Minute noch in vielen Punkten abgeschwächt, um die notwendigen Stimmen der Labor-Partei zu bekommen. Labor liegt in den derzeitigen Wahlprognosen knapp vor den Liberalen. In ihrer Asylpolitik unterscheidet sich die Partei nur wenig von der ­Regierung. Ohnehin geht die Wiedereröffnung der Internierungscamps im Pazifik 2013 auf die damalige Labor-­Regierung unter Kevin Rudd zurück, nachdem die Lager 2008, in Rudds ­erster Amtszeit, geschlossen worden waren. Jahrelang weigerten sich sämtliche australische Regierungen, für die von ihnen finanzierten Camps Verantwortung zu übernehmen, weil sie diese den Regierungen in Nauru und Papua-Neuguinea zuschieben wollten – was aber nicht aufging.

Zu den ersten Reaktionen Morrisons auf den jüngsten Parlamentsbeschluss gehörte die Wiedereröffnung der Flüchtlingslager auf Christmas Island, die erst Ende 2018 geschlossen worden waren. Vor Journalisten verkündete Morrison am Mittwoch vergan­gener Woche, dass die Wiedereröffnung einerseits der Aufnahme von neu zu erwartenden Flüchtlingen aus Indonesien, andererseits den zu erwartenden medizinischen Patiententransfers diene. Beides sind maßlose Übertreibungen, denn nicht alle der knapp 1 000 Flüchtlinge in Manus und Nauru dürften aus medizinischen Gründen evakuiert werden, wenngleich ein Großteil von ihnen an Depressionen und anderen psychischen Störungen wegen der langen und unmenschlichen Inhaftierung leidet (Jungle World 39/2018). Die Vereinten Nationen und vor allem deren Sonderberichter­statter über Folter hatten Australien wiederholt dafür kritisiert, dass die Haftbedingung auf den Pazifikinseln gegen die Internationale Konvention gegen Folter verstießen.

Es ist unwahrscheinlich, dass die Gesetzesänderung Flüchtlinge, die seit Jahren in Indonesien und Malaysia ausharren, in Bewegung setzen wird. Morrison behauptet, Schleuser hätten nun leichtes Spiel, ihre Kundinnen und Kunden davon zu überzeugen, dass der Weg nach Australien wieder offen sei. Das Land fängt seit 2013 Boote mit Asylsuchenden an Bord in interna­tionalen Gewässern ab. Von Dezember 2013 bis Juni 2018 hat Australien aktuellen Berichten zufolge mindestens 33 Boote mit etwa 810 Asylsuchenden nach Indonesien, Sri Lanka und Vietnam zurückgeschickt, was gegen die Genfer Flüchtlingskonvention verstößt. Sollten sich Flüchtlinge in Indonesien dennoch entscheiden, auf Booten die Überfahrt zu wagen, dann liegt das nicht am neuen Gesetz, das medizinische Evakuierungen vereinfacht, ­sondern vor allem daran, dass Australien seine Hilfszahlungen für die Versorgung von Flüchtlingen in Transitländern wie Indonesien deutlich ­reduziert hat.

Nach der Niederlage im Parlament vergangene Woche bemüht sich die ­Regierung nun, Angst vor neuen Bootsflüchtlingen zu schüren. Die neue ­Gesetzeslage schwächt ihr zufolge die Grenzsicherung, eine falsche Behauptung, die sich wahlpolitisch dennoch auszahlen könnte. Es wäre nicht die erste Wahl in Australien, die mit der Panikmache vor Flüchtlingen gewonnen würde, wie die Wahlausgänge von 2001 und 2013 besonders deutlich vor Augen führten.