Roya Hakakian, Autorin und Regisseurin, im Gespräch über die islamische Revolution im Iran

»Das Land war von Euphorie erfasst«

Interview Von Till Schmidt

Roya Hakakian ist eine iranisch-US-amerikanische ­Autorin und Regisseurin. 1984 verließ sie mit ihrer ­Familie Teheran und emigrierte in die USA. Dort arbeitet sie heute als Journalistin und als Dokumentar­filmerin. Ihre Erinnerungen an das Aufwachsen als jüdische Teenagerin während der iranischen Revolution und in den frühen Jahren der Islamischen Republik publizierte sie 2004 unter dem Titel »Journey from the Land of No«. Sie ist außerdem ein Gründungsmitglied des Iran Human Rights Documentation Center, das seit 2004 Menschenrechtsverletzungen im Iran dokumentiert.

Vor 40 Jahren kehrte Ayatollah Khomeini aus dem Pariser Exil in den Iran zurück. Welche Bedeutung hat dieses Jubiläum für Sie?
Ich bin traurig. Wie sehr viele Iraner hatte ich gehofft, dass das Regime nicht derart lange existieren würde. Doch es blieb – wie eine schlimme Grippe, die vor sehr langer Zeit kam. Zugleich gibt es Zeichen, dass sich im Iran Dinge zum Positiven verändern. Das Regime ist nicht dasselbe wie vor 40 Jahren. Anfangs wollte es noch den Westen zerstören und die Welt erobern. Der Revo­lutionsführer Ayatollah Khomeini hatte dafür eine Art Fahrplan ausgegeben: Erst sollte das verfeindete Ba’ath-Regime im Irak gestürzt, dann Jerusalem und schließlich der Rest der Welt erobert werden. Auch wenn das Regime außenpolitisch nach wie vor sehr aktiv ist – dieser größenwahnsinnige Plan scheiterte bereits in seinen Anfängen. Heute gleicht das Regime viel stärker einer ökonomischen Mafia als früher, und ich bin voller Hoffnung, dass die iranische Bevölkerung eine korrupte Mafia leichter los wird als ein lediglich extrem ideologisches Regime, dem derzeit in vielen Bereichen gar nicht mehr Folge geleistet wird.

Wo beobachten Sie Dissidenz?
Vor allem die iranische Frauenbewegung sendet einige wirklich positive Zeichen. Die Unterstützung für den Verschleierungszwang ist bei gewöhnlichen Iranerinnen und Iranern enorm gesunken; sogar Frauen, die selbst verschleiert sind, treten für die Entscheidungsfreiheit ein. In dieser Frage pro choice zu sein, gewinnt an Akzeptanz. Ähnliches zeigt sich in Bezug auf die Religion. Die große Mehrheit der Iraner ist nach wie vor muslimisch, während die Angehörigen religiöser Minderheiten seit der Revolution oft ausgewandert sind. Aber die Iraner sind heutzutage auf eine viel privatere Weise religiös, als vom Regime erwartet wird. Dass gewöhnliche Iraner heute an viel mehr Entscheidungsfreiheit glauben und sich öffentlich gegen staatliche ­Bevormundung wehren, ist ein großer Schritt nach vorne und genau das Gegenteil dessen, was das Regime will.

»Meine Eltern haben – so wie viele andere Juden in Teheran – die politischen Entwicklungen von Anfang an mit Sorge beobachtet.«

Ist man sich dieser Entwicklungen hier im Westen bewusst?
Nein, diese Entwicklungen werden leider nur von wenigen im Westen verstanden. Schon 1978/79 befürworteten Linksradikale die Verschleierung zum Wohle der nationalen Einheit des Iran. Und noch heute gibt es viel zu wenig internationale Unterstützung für die iranische Frauenbewegung, obwohl sich die Parallelen zu historischen feministischen Kämpfen im Westen geradezu aufdrängen. Nach wie vor wird viel zu wenig verstanden, dass der Islamismus und speziell das iranische Regime ein gewalttätiges Übel sind. Das wirft einen Schatten auf heutige Linke und Liberale, die doch eigentlich für sich reklamieren, auf der Seite der Opfer und Unterdrückten zu stehen.

Als Zwölfjährige haben Sie die islamische Revolution in Teheran miterlebt. Wie blicken Sie heute auf diese Zeit zurück?
Nichts war vorhersehbar und alles sehr chaotisch – und gerade als Teenager fand ich alles sehr aufregend. Das ganze Land war damals von großer Euphorie erfasst, denn fast alle sehnten sich nach dem Ende der Herrschaft des verhassten Schahs. Als Zwölfjährige konnte ich gar nicht wirklich einordnen, was um mich herum passierte. Wie so viele meiner Altersgenossen hatte ich gehofft, dass nun die Zeit eines demokratischen Iran anbrechen würde. Meine Eltern aber haben – so wie viele andere Juden in Teheran – die politischen Entwicklungen von Anfang an mit Sorge beobachtet, zu Recht, wie sich herausstellen sollte.

Wodurch wurde Ihre anfängliche Euphorie gebremst?
Schon kurz nach der Revolution setzten Ereignisse ein, die den Iran destabilisierten. Für viele Iraner fand der Traum von einem demokratischen Iran mit der Besetzung der US-amerikanischen Botschaft durch Anhänger Khomeinis im November 1979 ein Ende. Dazu kam dann der Krieg mit dem Irak von 1980 bis 1988. Während der Kriegsjahre gab es besonders viele Verhaftungen von Oppositionellen, Hinrichtungen, Einschränkungen der Pressefreiheit und eine besonders harte Unterdrückung von Frauen. Mir war von Anfang an klar, dass mit der islamischen Re­volution vor meinen eigenen Augen Geschichte geschrieben wurde. Doch es hat etwas gedauert, bis ich begriff, dass sich meine Hoffnungen auf einen demokratischen, gerechten Iran nicht erfüllen würden. In Erinnerung geblieben ist mir vor allem ein Erlebnis an der jüdischen Schule, die ich damals besuchte: Eines Tages stellte sich eine Frau mit Tschador als neue Rektorin vor. Bald stellte sich heraus, dass sie ihre Aufgabe vor allem darin sah, uns zum Islam zu bekehren. Nach Monaten dämmerte es uns, dass diese Frau bleiben und mit ihr der Druck auf uns ­Juden steigen würde.

War das eine neue Erfahrung für Sie?
Zur Zeit der Revolution habe ich mich in erster Linie gar nicht als Jüdin identifiziert, ich verstand mich vor allem als Humanistin. »Jüdisch«, das war häufig ein von außen angeheftetes Etikett. Als im Jahr der Revolution nicht nur die Parole »Juden, geht nach Hause«, sondern auch ein Hakenkreuz auf unsere Hauswand gesprüht wurde, musste ich meinen Vater erst einmal fragen, was für ein Zeichen das überhaupt ist. Antisemitismus kannte ich vor der ­Revolution nur aus Erzählungen: Meine Eltern und meine älteren Geschwister waren noch auf dem Schulweg verprügelt worden, meinem Vater wurde in seiner Schulzeit befohlen, bei Regen nicht zur Schule zu gehen. Juden galten den Muslimen als unrein und mit dem Regenwasser würde diese Unreinheit vermeintlich übertragen. Eine derartig offene Feindseligkeit habe ich in meiner Kindheit und Jugend nicht erlebt.

Wie stellte sich die Situation der ­iranischen Juden unter dem Schah-Regime dar?
Unter der – politisch repressiven – Pahlevi-Herrschaft waren die iranischen Juden in die iranische Gesellschaft eingeladen worden. Der Iran sollte unabhängig von religiösen, ethnischen und geschlechtlichen Differenzen geeint werden. In Teheran hatte sich die Situation wirklich verbessert. Ich habe damals gemeinsam mit Muslimen, Christen oder Bahai auf der Straße gespielt, welche Religion wir hatten, spielte keine Rolle. Mit der Revolution hat sich das geändert. Die Religionszugehörigkeit wurde auf einmal wieder wichtig. Seit 1979 haben mehr als 90 Prozent der iranischen Juden das Land verlassen. Die verbliebenen etwa 10 000 Juden sind weitgehend unsichtbar – eine sterbende Gemeinde.

Welche Bedeutung hat diese kleine Gemeinde für das Regime?
Ab 1979 gab es Restriktionen für Juden zum Beispiel beim Zugang zu höherer Bildung und zu bestimmten Bereichen wie dem Militär, bei politischen Ämtern und an Hochschulen. Mit der Zeit wurden einige dieser Restriktionen wieder zurückgenommen. Ich denke, das liegt daran, dass die Gemeinde so stark geschrumpft ist und das Regime sie nicht mehr als Gefahr betrachten. Im Gegenteil: Es ist für das Regime sehr vorteilhaft, noch eine kleine jüdische Gemeinschaft im Land zu haben, um sich als tolerant und als nicht antisemitisch zu inszenieren. Die iranische Verfassung stuft die Juden als »Volk des Buches« ein und erkennt sie damit – im Gegensatz etwa zu den stark verfolgten Bahai – auf gewisse Weise an. Zugleich gibt es zahlreiche, auch rechtliche Diskriminierungen: So können Juden, wie auch andere Nichtmuslime, vor Gericht nicht gegen einen Muslim als Zeugen aussagen. Die offizielle Position lautet: Man erkenne die Juden gemäß islamischer Doktrin an und habe nur etwas gegen die »blutsaugenden Zionisten«.

Welche Rolle spielte diese Diskri­minierung bei ihrer Entscheidung, 1984 den Iran zu verlassen?
Neben dem ökonomischen Druck in Form der Rationierungen während des Kriegs mit dem Irak bewog mich vor allem die faktische Unmöglichkeit eines Universitätsstudiums dazu, auszuwandern. Für Angehörige religiöser Minderheiten wurde nach 1979 ein Studium immer weniger denkbar. Nicht weil uns das offiziell verboten worden war, sondern durch das Hinzufügen einer moralischen Komponente im Zulassungsverfahren. Als Jüdin wäre es mir unmöglich gewesen, eine ausreichend hohe Bewertung zu bekommen, denn regelmäßige Moscheebesuche oder ein Empfehlungsschreiben eines lokalen Mullahs hätte ich nicht vorweisen können. Nach zehn Monaten in Wien kam ich 1984 dann mit Hilfe der Hebrew Immigrant Aid Society (HIAS) in die USA, wohin bereits meine Geschwister geflohen waren. Hier arbeite ich nun als Autorin, Journalistin und Dokumentarfilmerin. 2004 habe ich das ­Iranische Menschenrechtsdokumentationszentrum (IHRDC) mitgegründet.