Ein tödlicher Dammbruch in Brasilien

Tödlicher Schlamm

In der brasilianischen Kleinstadt Brumadinho ist der Damm eines Klärteichs der Mine Córrego do Feijão gebrochen und hat Hunderte Menschen unter sich begraben. Das lag an laxen Kontrollen und der geringen Regulierung, der Unternehmen in Brasilien unterliegen.

»Jemand wird dafür bezahlen müssen!« sagte der seit dem 1. Januar amtierende Präsident Brasiliens, Jair Messias Bolsonaro, nachdem er in einem Hubschrauber die brasilianische Kleinstadt Bruma­dinho im Bundesstaat Minas Gerais überflogen hatte. Weite Gebiete der Stadt lagen unter rotbraunem Schlamm begraben, weil es in einer nahegelegenen Eisenerzmine zu einem schweren Unfall gekommen war.

Am Nachmittag des 25. Januar brach der Erdschüttdamm des Klärteichs 1 der Eisenerzmine Córrego do Feijão. Nach Angaben der brasilianischen Bergbaufirma Vale, die die Mine betreibt, flossen plötzlich etwa 14 Millionen Kubikmeter Erzschlamm aus dem Rückhaltebecken. Die Schlammlawine begrub die Kantine des Bergwerks, wo zu dem Zeitpunkt viele Beschäftigte des Unternehmens zu Mittag aßen, zerstörte einen Zug und eine Brücke und fraß sich durch Viertel der nahen Kleinstadt Brumadinho, in der etwa 36 000 Menschen leben, bis sie den Fluss Paraopeba erreichte. Bislang wurden 134 Tote gefunden, von denen 120 identifiziert wurden. 199 Personen werden immer noch vermisst. Inzwischen geht man davon aus, dass die Bergungsarbeiten abgebrochen werden müssen, ohne dass alle Vermissten aufgefunden werden.

Die Schlammlawine fließt weiterhin den Paraopeba hinab. Die Fließgeschwindigkeit liegt den Behörden zufolge mittlerweile bei einem Kilometer pro Stunde, demnach würde sie am 15. Feb­ruar den Staudamm Três Marias erreichen. Alexandre Vidigal de Oliveira, ein Sekretär des Ministeriums für Bergbau und Energie, sagte der Presse, die Schlammlawine werde sich wohl in dem Stausee absetzen, einem der größten der Welt, wenn sie nicht vorher vom kleineren Staudamm Retiro Baixo aufgehalten werde. »Dieser Fall unterscheidet sich stark vom Unfall in Mariana. Man kann das Unglück von Mariana nicht als Referenz für den Unfall in Brumadinho nehmen«, sagte Vidigal de Oliveira, an ein anderes Staudammunglück erinnernd.

Nach Angaben des Leiters der brasilianischen Umweltbehörde Ibama sind über 300 Dämme von Klärteichen in Brasilien unsicher. 35 Millionen Menschen leben in der Nähe solcher Bauwerke.

Im Bezirk Mariana in Minas Gerais war im November 2015 der Damm des Klärteichs der Eisenerzmine von Fundão des Unternehmens Samarco Mineração gebrochen. Dieses Unternehmen gehört zur Hälfte Vale, die anderen Anteile hält das britisch-australische Bergbauunternehmen BHP Billiton. Beim Unglück von Mariana waren 19 Menschen ums Leben gekommen, die Schlammlawine war den gesamten Rio Doce hinab bis ins Meer geflossen. Der giftige Schlamm verseuchte den Fluss völlig, der Unfall galt bislang als die schlimmste ökologische Katastrophe der brasilianischen Geschichte. Da die damalige Schlammlawine dünnflüssiger war, bewegte sie sich schneller und floss deshalb wesentlich weiter als die derzeitige.

Viele Menschen in Brasilien sind wütend, weil gut drei Jahre nach der Kata­strophe von Mariana erneut ein Damm des Unternehmens Vale brach. In Rio de Janeiro haben Umweltschützerinnen und -schützer vor der Konzernzentrale von Vale, das zu den drei größten Bergbauunternehmen der Welt gehört, protestiert und Schlamm auf den Treppen verteilt. Leidtragende des Unglücks von Mariana erklärten ihre Solidarität mit den Opfern von Brumadinho und verlangen eine angemessene Entschädigung sowie das Ende der Straflosigkeit. Bislang wurden kein Verantwortlicher bei Vale für den Unfall in Mariana bestraft und die versprochenen Entschädigungen stehen weiterhin aus. Die Protestierenden skandierten: »Dies war kein Unfall, sondern ein Verbrechen!« Vale hätte vom Unglück in Mariana lernen und seine Dämme mit größerer Sorgfalt warten müssen, so der Tenor. Einem Bericht des Magazins Istoé zufolge haben externe Gutachter bereits 2015 und 2016 auf strukturelle Mängel des Damms und fehlerhafte Mess­geräte zur Überprüfung des Drucks im Damm hingewiesen und dabei explizit auf das Risiko für die Belegschaft und die Anwohner hingewiesen. Doch die Unternehmensführung habe darauf nicht reagiert.

 

Immerhin hat Vale nun angekündigt, alle sogenannten upstream tailings ­abzubauen, denn diese Dammform für Klärteiche gilt als besonders riskant. In den Klärteichen von Eisenerzminen werden die Reste der Aufbereitung aufgefangen. Um das Erz zu konzentrieren, muss das in den Minen geförderte Material sehr fein gemahlen und in Wasser aufgeschlämmt werden. Während das angereicherte Erz zu Pellets weiterverarbeitet wird, leitet man die Aufbereitungsreste in Klärteiche, die von Erdschüttdämmen zurückgehalten werden, wo der Schlamm sich dann absetzt. Upstream tailing ist ein besonders billiges, aber auch gefährlicheres Verfahren, solche Dämme zu bauen. Um sie zu erweitern, muss lediglich Erdreich entgegen der Fließrichtung aufgeschüttet werden.

Um die Sicherheit solcher Dämme zu gewährleisten, müssen sie kontinuierlich entwässert und gewartet werden. Feuchtigkeit erhöht zunächst die Stabi­lität dieser Erdschüttdämme, da das Wasser sie schwerer macht. Erreicht der Wassergehalt des Erdreichs aber einen bestimmten Punkt, verflüssigt es sich schlagartig und der Damm bricht, wie es in Mariana und Brumadinho ­geschah. Nach Angaben des Leiters der brasilianischen Umweltbehörde Ibama, Júlio Cesar Dutra Grillo, sind über 300 Dämme von Klärteichen in Bra­silien unsicher. 35 Millionen Menschen leben in der Nähe solcher Bauwerke. Vale betreibt nach eigenen Aussagen derzeit zehn weitere upstream tailings. ­Deren Abbau würde umgerechnet knapp 1,2 Milliarden Euro kosten. Am Montag vergangener Woche sank der Aktienwert des Unternehmens um annähernd 20 Prozent im Vergleich zur Vorwoche, das entspricht knapp 13 Milliarden Euro.

In den kommenden Monaten werden zudem erhebliche Schadensersatzforderungen auf Vale zukommen. Das Staatsanwaltschaft für Arbeitsrecht von Minas Gerais hat bereits verlangt, dass Vale für den erlittenen immateriellen Schaden der Beschäftigten beziehungsweise der Angehörigen umgerechnet jeweils mindestens 500 000 Euro Schadenersatz zahlen soll. Um die Zahlungen garantieren zu können, hat die Behörde bereits juristisch veranlasst, dass umgerechnet 188 Millionen Euro des Unternehmens Vale auf verschiedenen Konten eingefroren werden.

Schadensersatzforderungen könnten auch deutsche Unternehmen treffen. Die brasilianische Filiale des TÜV Süd hatte noch im September die Sicherheit des Damms überprüft. Zwei Mitarbeiter des Unternehmens wurden am Dienstag vergangener Woche verhaftet. Der Jungle World sagte ein Firmen­sprecher, dass die Überprüfung auf Grundlage gesetz­licher Vorgaben von Vale in Auftrag gegeben worden sei. Der TÜV Süd könne »aufgrund der laufenden Ermittlungen zurzeit keine weiteren Auskünfte geben«, unterstütze die Untersuchung aber »vollumfänglich«.

Die Überprüfung durch den TÜV Süd könnte wichtig sein, da erst im Dezember die Umweltbehörde von Minas Gerais eine Ausweitung der Aktivitäten der Mine Córrego do Feijão erlaubt hatte. Dabei wurde in einer Sitzung der zuständigen Kommission der Risiko­status des Klärteichs von Stufe sechs auf vier herabgesetzt. Tchenna Maso von der Bewegung der Staudammbetroffenen (MAB) schrieb in einer E-Mail an die Jungle World: »Wir vom MAB glauben, dass die externen Unternehmen, die die Sicherheit von Dämmen überprüfen, Verantwortung in diesem Fall tragen, denn es war ja mutmaßlich die Studie des TÜV Süd, die dazu beigetragen hat, dass der Damm im Dezember als sicher eingestuft und eine Erweiterung der Mine genehmigt wurde. Wir glauben, dass diese Unternehmen zu dem Netz gehören, das Straflosigkeit für Unternehmen garantiert, und zu dem auch die staatlichen Behörden zählen, die ihrer Pflicht zur Kontrolle der Wirtschaft nicht nachkommen.«

Dass beim Unglück so viele Arbeiterinnen und Arbeiter ums Leben kamen, liegt auch daran, dass der Damm oberhalb der Verwaltungsgebäude und der Kantine der Mine angelegt worden war. Diese Gebäude lagen also direkt im Weg der Schlammlawine. Das könnte auf den deutschen Konzern Thyssen-Krupp zurückfallen, denn der Klärteich wurde 1976 von dessen Tochterunternehmen Ferteco Mineração S.A. angelegt. 2001 kaufte Vale Ferteco auf.

Das Unglück ist die direkte Folge der laxen Überprüfung von Sicherheits- und Umweltstandards bei Unternehmen durch brasilianische Behörden. Die ­Politik in Brasilien folgt weiterhin der Maxime, dass die exportorientierten Wirtschaftszweige wie der Bergbau und die industrielle Landwirtschaft keinesfalls durch Regulierungen behindert werden dürfen. Bolsonaro kündigte in seinem Wahlkampf an, die Vergabe von Umweltlizenzen für den Bergbau und die Agrarindustrie noch zu vereinfachen, und kritisierte die Umweltbehörden als zu streng im Umgang mit »dem produktiven Sektor«. Kurz vor dem Unfall hatte er die Aufgabe, Schutzgebiete für Indigene zu markieren, von der Indigenenbehörde Funai auf das Agrarministerium übertragen. Er begründete den Schritt damit, das Wachstum des Bergbaus und der Landwirtschaft im Amazonasgebiet fördern zu wollen. Wenn Bolsonaro seine Forderung, jemand müsse für das Unglück bezahlen, wahrmachen und weitere solche Katastrophen verhindern will, dann müsste er grundlegend von seiner bisher angekündigten Politik abrücken.