Die Retrospektive der Berlinale zeigt Filme von Regisseurinnen aus West- und Ostdeutschland

Filme von Frauen

Unter dem Titel »Selbstbestimmt – Perspektiven von Filmemacherinnen« widmet sich die Retrospektive der 69. Berlinale dem Filmschaffen von Regisseurinnen in der ehemaligen DDR und in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Übersicht.

In Irene Rakowitz brodelt es. »Die sehen einfach nicht, dass unser Familienproblem kein Einzelproblem ist. Oder nichts, was wir jetzt persönlich verbockt haben … Unsere Familie in unserer Gesellschaft ist so!« sagt sie mit einer Mischung aus Kampfgeist und Erschöpfung. Rakowitz, 48 Jahre, Sozialhilfeempfängerin, Mutter von vier Kindern und nach 20 Jahren aus einer »vergammelten Ehe« ausgestiegen, ist die Hauptfigur eines Dokumentarfilms, der für die Politik der ersten Person (»Das Private ist politisch«) geradezu exemplarisch steht. Die Kinder der Protagonistin sahen das anders – »radikaler Käse« sei ­dieser Film, berlinert die älteste Tochter in einer Szene, mit der die Mutter gleich am Anfang im Schneideraum konfrontiert wird.

»Von wegen Schicksal« von 1978, gefilmt auf körnigem 16mm-Film, ist nicht leicht zu verdauen. Denn in Irene Rakowitz brodelt es oft und die Beschädigungen, die sie durch ­Gewalt, Lieblosigkeit, freudlosen ehelichen Sex und das normierte Konstrukt »Familie« erlitten hat, sind mit der Scheidung nicht aus der Welt. Manchmal, wenn sie die Anforderungen an sie als Mutter und Hausfrau nicht mehr aushält, explodiert sie wie ein Dampfkessel.

Trotz der unterschiedlichen Produktionsbedingungen auf beiden Seiten der Mauer lassen thematische Parallelen auf geteilte Erfahrungen schließen. Die Figuren sind Arbeiterinnen und Herumtreiberinnen, ­alleinerziehende Mütter und Frauen, die mit den Lebensbedingungen ­hadern, aus dem Alltag ausbrechen oder einfach »nicht wissen, wie das Leben geht«.

Dann schreit sie auch mal die Regisseurin Helga Reidemeister an, mit der sie im Film im ständigen Dialog steht: »Ich kann nicht gegen ein ganzes Umfeld anrennen … Ich erreiche nichts. Sag mir bitte ganz konkret: Was soll ich ­machen?« »Von wegen Schicksal« ist das Dokument eines schmerzhaften Emanzipationsprozesses, der sich kaum unter so schöne Begriffe wie Selbstermächtigung und Handlungsmacht fassen lässt. Denn sich zu ermächtigen und zu handeln, das kann Rakowitz schließlich nur innerhalb einer Gesellschaft, die für sie als Frau, zumal ohne Berufsausbildung, wenig Möglichkeiten ­offenlässt. In der letzten Szene des Films wird dieser Widerspruch ­direkt ins Bild gesetzt. Während die Mutter einen Korb Wäsche wegbügelt, hält sie im Beisein ihrer jüngsten Tochter eine agitatorische Rede über die Notwendigkeit ökonomischer Unabhängigkeit.

»Von wegen Schicksal«

Der Dokumentarfilm »Von wegen Schicksal« zeigt das Leben von Irene Rakowitz (rechts)

Bild:
DEFA-Stitung / Dietram Kleist

Unter dem Titel »Selbstbestimmt – Perspektiven von Filmemacherinnen« widmet sich die Retrospektive der 69. Berlinale dem Filmschaffen von Regisseurinnen in der ehemaligen DDR und in der Bundesrepublik Deutschland von 1968 bis 1999. Die Reihe spannt einen Bogen von May Spils' Erfolgsfilm »Zur Sache, Schätzchen« (1968) und Klassikern des ­feministischen Kinos wie Helke Sanders »Die allseitig reduzierte Persönlichkeit – Redupers« (1978), über wenig bekannte Arbeiten wie Iris Gusners »Die Taube auf dem Dach« (1973/2010) bis hin zu Martina Döckers und Crescentia Dünßers Dokumentarfilm »Mit Haut und Haar« (1999).

Der Aufbruch der Regisseurinnen stand in der Bundesrepublik im ­Kontext der Neuen Frauenbewegung, künstlerisch wichtig war außerdem der Neue Deutsche Film – auch wenn der wirkliche Durchbruch für Filmemacherinnen erst in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre erfolgte. Zu den »Oberhausenern«, also den Unterzeichnern des wichtigen Oberhausener Manifest von 1962, in dem eine Erneuerung der deutschen Film­produktion gefordert wurde, gehörte keine einzige Frau. In der DDR entstanden dagegen alle Filme im Rahmen eines staatlich gelenkten Studiosystems. Emanzipative Forderungen wurden selbstverständlich auch hier gestellt, aber stets im Kontext des »sozialistischen Fortschritts«, wie beispielsweise Gitta Nickels »Sie« (1970) zeigt, ein Kurzdokumentarfilm, im dem berufstätige Frauen in der DDR porträtiert werden.

Trotz der unterschiedlichen Produktionsbedingungen auf beiden Seiten der Mauer lassen thematische Parallelen auf geteilte Erfahrungen schließen. Das Interesse an der Arbeit und das Verhältnis von Reproduktions- und Erwerbsarbeit sind ein wiederkehrender Gegenstand sowohl in Spiel- als auch in Dokumentar­filmen, ebenso die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und das Zusammenleben. Die Figuren sind Arbeiterinnen und Herumtreiberinnen, ­alleinerziehende Mütter und Frauen, die mit den Lebensbedingungen ­hadern, aus dem Alltag ausbrechen oder einfach »nicht wissen, wie das Leben geht«. So nannte es die lesbische Filmemacherin Maria Lang in ihrem Text zu Ula Stöckls »Neun Leben hat die Katze« (1968).

Auch Susanne Becker (Heidemarie Schneider), Hauptfigur in Evelyn Schmidts Defa-Film »Das Fahrrad« (1982), weiß nicht, wie das Leben geht. Und wie Irene Rakowitz wirkt die alleinerziehende Mutter mit­unter wie eine »Frau unter Einfluss«. Der Fabrikjob deprimiert sie, die schlechten Gefühle im Nachtleben wegzutrinken, hilft aber auch nicht. Nach einem kleinen Nervenzusammenbruch an der Stanzmaschine schmeißt Susanne den Job hin und meldet aus der bald folgenden Geldnot heraus ihr Fahrrad als gestohlen. Von der Versicherungssumme bezahlt sie die Kinderbetreuung – und eine Dose Ananas für 12,50 Mark. Eine neue Liebe in Gestalt eines ­Maschinenbauingenieurs bringt vorübergehend etwas Stabilität in ihr wankelmütiges Leben – bis ein Verfahren wegen vorsätzlichen Betrugs gegen sie eröffnet wird. Nun findet der Geliebte ihre Dysfunktionalität doch nicht mehr so anziehend. »Das Fahrrad« wurde in der DDR verrissen, die Kritik richtete sich vor allem gegen Susannes Einstellung zur ­Arbeit. Erst kurz vor der »Wende« erfuhr Schmidts Film in der DDR eine Neubewertung, nicht zuletzt durch die positive Kritik in der Bundes­republik.

Mit dem Vorwurf, »das Bild der ­Arbeiterklasse entstellt« zu haben, wurde Iris Gusners Film »Die Taube auf dem Dach« erst gar nicht freigegeben. Die Geschichte kreist um eine junge Bauleiterin (Heidemarie Wenzel), die in ihrem Beruf bestimmt ist und in ihrem Liebesleben vage. Zwischen dem auf ihrer Baustelle tätigen Studenten Daniel und dem Brigadier Böwe will sie sich aber ganz bewusst nicht entscheiden. Das mitunter steife Spiel der Darsteller und die wie gestanzt wirkenden Dialoge stehen bei Gusner in einer merkwürdigen Spannung zu der brüchigen, sprunghaften Form des Films, dessen Szenen einer fast arhythmischen Ordnung folgen. Christine Lang vergleicht diesen Rhythmus in ihrem Katalogtext – zur Retrospektive erscheint eine sorgfältig zusammen­gestellte Publikation – mit den Kompositionsprinzipien des Jazz.

»Zärtlichkeiten«

Leben in der Bar: Maria Langs Film »Zärtlichkeiten« porträtiert eine bestimmte Lesbenszene in West-Berlin

Bild:
Deutsche Kinemathek / DFFB

Das Aufbrechen der dramaturgisch geschlossenen Form lässt sich in ­vielen Arbeiten der Reihe beobachten. Nonlineare Erzählstrukturen, das Aufgeben von Kausalität und unhierarchische Erzählperspektiven lassen sich zwar nicht unbedingt als spezifisch weibliche Sprache klassifizieren. Aber selbstverständlich hat die Kritik an bestehenden Macht- und Geschlechterverhältnissen auch zu Innovationen in der Form geführt.

Ula Stöckls »Neun Leben hat die Katze« (1968) irritiert beispielsweise durch stilistische und erzählerische Brüche, wenn etwa unvermittelt opulente, kitschige Traumsequenzen in die Handlung hineingrätschen oder räumliche und perspektivische Sprünge den Erzählfluss stören. Diese Löcher in der Textur des Films ­finden in den wiederholten Kommunikationsverfehlungen der Frauenfiguren ihre Entsprechung, eine Sprachlosigkeit, die sich nicht zuletzt gegen den Paternalismus der anwesenden Männer und ihre geschwätzigen Rationalisierungsversuche richtet.

Auch Maria Lang, die mit »Zärtlichkeiten« (1985) das Porträt einer b­estimmten lesbischen Subkultur im Berlin der achtziger Jahre drehte, stellte sich Formfragen sehr bewusst. Auf der Suche nach Bildern, die nicht »dem Zwang einer Sache dienen«, fand sie zu einer sehr eigenen, experimentell ausgerichteten Filmsprache – und zu Bildern, die sie »glücklich« nannte. In ihrem Text »Glückliche Bilder« schrieb sie: »Glückliche Bilder treten ein in die Welt des Dialogs mit jenen, die sie herstellen, auf die gleiche Art wie mit jenen, die sie sehen. Und als Bilder im Dialog mit anderen Bildern lassen sie die Zwischenräume, die Leere der Mitte, das Geheimnis des Lebens erscheinen.«