Der Kapitalismus ist nicht innovativ genug für die Energiewende

Energie!

Kommentar Von Jörn Schulz

Erst Wohlstand für alle, dann Surfen auf den Saturn-Ringen – die Kernfusion könnte den zivilisatorischen Fortschritt erheblich fördern. Doch im real existierenden Kapitalismus hält man lieber am Althergebrachten fest.

Man muss kein stalinistischer Nostalgiker sein, um festzustellen, dass der Zusammenbruch der realsozialistischen Staaten ein großes Problem mit sich brachte. Denn es war der Wettbewerb der Systeme gewesen, der den Kapitalismus auf Trab gebracht hatte, auch im technologischen Bereich. Ohne die Herausforderung durch die frühen Erfolge der sowjetischen Raumfahrt hätte US-Präsident John F. Kennedy sich nicht zum Projekt der Mondlandung entschlossen – das dann bewies, wie effizient und innovativ eine staatliche Behörde, die Nasa, arbeiten kann.

Für die erste Phase des Kampfes gegen den Klimawandel kommt die Kernfusion zu spät, da konservative wie sozialdemokratische Regierungen der kapitalkräftigen westlichen Staaten ihre Aufgabe nur darin sahen, die Kapitalverwertungsbedingungen zu verbessern, nicht aber darin, Investitionen zu lenken oder in ausreichendem Maß selbst zu tätigen.

Kapitalisten preisen sich und ihr Wirken gerne als kreativ, doch heutzutage dominiert nicht nur in Hollywood das Sequel. Ein iPhone und eine Windows-Version folgt der nächsten, besonders reaktionäre Branchen wie die deutsche Autoindustrie halten eisern an veralteten Technologien fest, während andere Konzerne unterbezahlte Dienstboten durch die Straßen wieseln lassen oder es als Innovation preisen, wenn statt Taxifahrern übermüdete Amateure im Drittjob die Leute durch die Stadt kutschieren. Sie nennen es Fortschritt, und sie können nicht anders. Denn Investoren verlangen einen sicheren Profit. Jede wirkliche Innovation aber kostet viel Geld und ist ein Risiko. Etwa die Kernfusion, für die sich die Bourgeoisie erst jetzt interessiert, nachdem mit öffentlichen Mitteln die Hauptarbeit getan wurde.

Für die erste Phase des Kampfes gegen den Klimawandel kommt die Kernfusion zu spät, da konservative wie sozialdemokratische Regierungen der kapitalkräftigen westlichen Staaten ihre Aufgabe nur darin sahen, die Kapitalverwertungsbedingungen zu verbessern, nicht aber darin, Investitionen zu lenken oder in ausreichendem Maß selbst zu tätigen. Die Kernfusion könnte jedoch in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts eine nicht zwingend notwendige, aber sinnvolle Ergänzung der erneuerbaren Energien sein.

Gäbe es Strom im Überfluss, wäre es wesentlich leichter, etwa gänzlich elektrische Verkehrs- und automatisierte Recyclingsysteme zu betreiben. Auch Raumschiffe kämen im Sonnensystem viel schneller voran.

Unerwartete Probleme können auftauchen, andere sind bereits bekannt. Die Strahlungsbelastung beschränkt sich im Wesentlichen auf das Kraftwerk, kann aber eine Gefahr für die dort Beschäftigten darstellen. Der anfallende Atommüll ist viel weniger gefährlich als bei gängigen Kernspaltungskraftwerken, aber auch nicht harmlos und der Praxistest steht noch aus. Eine der Kernschmelze vergleichbare Katastrophe ist jedoch ausgeschlossen und die Fusionstechnologie stellt, anders die herkömmliche Nukleartechnologie, keine Grundlage für ein militärisches Atomprogramm bereit.

Die Gefahren wären abzuwägen gegen die einer fast ausschließlich auf erneuerbaren Energien basierenden Versorgung, die ebenfalls nicht ohne Umweltprobleme zu haben ist. So weit muss die Menschheit aber erst einmal kommen, nachdem viel Zeit vertrödelt wurde. Und ein Beitrag zum zivilisatorischen Fortschritt wird die Kernfusion nur sein, wenn ihre Nutzung unter demokratischer öffentlicher Kontrolle steht, was im Kapitalismus nicht unmöglich, aber schwer zu bewerkstelligen ist. Eignen Privatkonzerne sich die Fusionstechnologie an, wird sie nicht rechtzeitig in ausreichendem Maß zur Verfügung stehen, da ein großer Teil der Menschheit nicht profitabel genug ist, als dass der Bau von Kraftwerken sich lohnen würde.