Zu den Protesten der »Gelben Westen« haben russische Accounts Fake News verbreitet

Die Wut und die Trolle

Die Bewegung der »Gelben Westen« ist über die sozialen Medien groß geworden. Zur Eskalation der Proteste trugen unter anderem Fake News bei, die von russischen Accounts verbreitet wurden.

Auf dem Höhepunkt der Proteste der gilets jaunes (Gelben Westen) bewegten vor allem zwei Fragen die internationalen Medien: Wo kommen alle diese Leute plötzlich her? Und was genau wollen sie? Die Forderungen der Protestierenden sind widersprüchlich, und bis auf einige Postings in sozialen Medien waren bis dahin weder nennenswerte Mobilisierungen noch Führungsstrukturen von so etwas wie einer Bewegung aufgefallen. Seit dem »Akt IV« – den Protesten vom 8. Dezember – erhärtet sich der Verdacht, dass die »Gelben Westen« auch von russischer ­Propaganda beeinflusst sein könnten.

Für den Beginn der Proteste waren die Ängste und Sorgen der Französinnen und Franzosen verantwortlich. Doch der findige russische Propagandaapparat nutzt jede Gelegenheit, beim Aufkommen politischer Unruhe Einfluss zu nehmen, um liberale Demokratien und konkurrierende Staaten zu schwächen. Einen Ansatzpunkt dafür bietet etwa die von Teilen der Gelbwesten-Bewegung erhobenen Forderung nach dem Austritt Frankreichs aus der EU, die das russische Regime mit Wohlwollen betrachtet. Der rechtsextreme russische Ideologe Alexander Dugin verkündete bereits am 28. November auf Twitter: »Je suis le gilet jaune.« Auch Putins Vertrauter Dmitrij Kisseljow freute sich: »Es wirkt wie der Todeskampf der Fünften Republik.«

Anders als im Kalten Krieges gehe es heute nicht mehr darum, die Leute mit einer möglichst überzeugenden Version auf seine Seite zu bringen, so Kalenský. Ziel sei vielmehr, Medienkonsumenten durch viele ­unterschiedliche Deutungen, angebliche Augenzeugenberichte und gefälschte Bilder so zu verwirren, dass sie daran zweifeln, jemals die Wahrheit zu er­fahren.

Dass Russland über die sozialen ­Medien zur Eskalation der Proteste in Frankreich beigetragen haben könnte, ist mehr als eine Vermutungt. Bereits vor dem »Akt IV« wurde mehrfach ­berichtet, dass Hunderte Accounts mit Verbindungen zu Russland gezielt ­Botschaften über die Proteste verbreiteten. Ein verlässliches Anzeichen für das vermehrte Aufkommen von Tweets aus der sogenannten russischen Troll­fabrik sind etwa Beiträge, die mit offenkundig gefälschten Bildern Angst und Unsicherheit oder das Gefühl eines ­nahen Triumphs verbreiten sollen. Diese Accounts twittern normalerweise auf Englisch und verbreiten hauptsächlich Botschaften zur Unterstützung Donald Trumps oder Qanon-Verschwörungstheorien (Jungle World 2/2018). Gibt es Anschläge oder regierungskritische Demonstrationen in europäischen Ländern, beschäftigen sich diese Accounts aber auch intensiv mit diesen Themen. Häufig twittern sie dann nicht mehr auf Englisch, sondern in der Landessprache, beziehungsweise in dem Idiom, das Programme wie Bing oder Google Translate als Übersetzung vorschlagen. Ein weiteres Merkmal dieser Accounts ist, dass sie nicht mit anderen Usern kommunizieren, Kritiker umgehend blockieren und in Krisenzeiten rund um die Uhr aktiv sind.

Die Cybersecurity-Firma New Knowledge überwacht solche eindeutigen Propaganda-Accounts. Die Sunday Times berichtete am 8. Dezember, dass eine Gruppe von 200 russischen Trolls im Zusammenhang mit den Protesten in Frankreich aktiv geworden sei, die pro Tag 1 600 Tweets und Retweets absetzten. Ihr Thema war Polizeigewalt, etwas, auf das die meisten User stark reagieren, und so wurden Bilder von prügelnden Polizisten und verletzten Bürgern massenhaft verbreitet – auch wenn sie nichts mit den aktuellen Protesten zu tun hatten. Bereits am 20. November hatte der Facebook-User »Serge Torion« eine Sammlung von Fotos veröffentlicht, auf denen unter anderem blutüberströmte Frauen und von der Polizei verhaftete Menschen zu sehen waren. Die Medien und die französische ­Regierung, so sein Vorwurf, würden diese Bilder misshandelter friedlicher Demonstrierender gezielt unterdrücken. Nach zehn Tagen hatten rund 140 000 Menschen das Posting geteilt. Ob es Serge Torion wirklich gibt und ob er tatsächlich Franzose ist, sei nicht klar. Fest steht, dass dieser Acccount Bilder fälscht, um gezielt Stimmung gegen die französische Presse zu machen. Am 26. November postete »AFP-Factuel«, der mit der Aufklärung von bebilderten Fake News beschäftigte Account der französischen Nachrichtenagentur, woher die Fotos wirklich stammten. Die spektakulärsten wurden nicht in Frankreich geknipst: Eines, das eine junge Frau mit blutüberströmtem Gesicht zeigte, stammte aus dem Jahr 2012 und war während einer Demonstration von Bergleuten in Madrid aufgenommen worden. Das Bild einer älteren Frau mit kurzen grauen Haaren und einer heftig blutenden Platzwunde am Kopf ist vom Herbst 2017 und wird seit dem katalanischen Unabhängigkeitsreferendum in sozialen Netzwerken verbreitet, der Ursprung ist allerdings unbekannt.

Der Zensurvorwurf sei schlicht falsch, resümiert AFP: »Von den sieben Bildern des Postings über Polizeigewalt stammen zwei nicht aus Frankreich, zwei wurden von unseren eigenen Fotografen gemacht, eines ist ein Screen­shot aus einem Beitrag des Fernsehsenders C-News und ein weiteres wurde von vielen anderen Medien verbreitet.« Es sei immer das gleiche Paradox, ­zitiert die Tageszeitung Figaro den Leiter von AFP-Factuel, Guillaume Daudin: »Internetuser benutzen Fotos aus den Medien, um sich darüber zu beschweren, dass eben diese Medien angeblich nicht über Gewalt der Polizei oder den Grad der Mobilisierung berichten.«

 

Allerdings tragen auch Fotografen zur Produktion von Fake News bei: Ein Foto etwa zeigte heftig lodernde Flammen, vielleicht von in Brand gesetzten Barrikaden, unmittelbar vor dem Arc de Triomphe am 8. Dezember. Der Eindruck, dass während der Demonstration auf den Champs-Élysées ein großes Feuer gelegt wurde, das vielleicht schon bald das historische Gebäude beschädigen könnte, war wohl gewollt. Die Zeitung Le Point veröffentlichte auf ihrem Twitter-Account dagegen ein Bild von der Entstehung des Bildes: Vor ­einem auf der Avenue de Friedland in Brand geratenen, auf der Straße liegenden und zu diesem Zeitpunkt schon ziemlich ausgebrannten Kickboard kauern vier Fotografen – weil es nur aus dieser Perspektive möglich war, die kleinen Flammen vor dem Arc de Triomphe abzubilden.

Am 9. Dezember erklärte der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian, dass eine Verwicklung Russlands in die Proteste geprüft werde. 600 Accounts seien mit der Verbreitung von Fake News über die »Gelben Westen« beschäftigt, sagte Bret Schafer, Analyst der »Alliance for Securing Democracy« und dort zuständig für soziale Medien. Eine Szene, die Twitter-User auf der ganzen Welt beeindruckte, kam aber vom russischen Sender RT: Auge in Auge protestierenden gilets jaunes gegenüberstehend, nahmen französische Polizisten ihre Helme ab – die Polizei soli­darisiere sich bereits mit den Protestierenden, lautete die Schlagzeile.

Das Video zeigt allerdings nicht die ganze Wahrheit. Die Polizisten in der südwestfranzösischen Stadt Pau hatten nach Berichten von französischen Journalisten vor Ort ihre Helme nicht abgenommen, um sich den Protesten anzuschließen, in Wirklichkeit waren sie nur kurz entfernt worden, um ­Anweisungen weiterzugeben. Dass die Falschmeldung sich so rasch verbreitete, liegt unter anderem daran, dass vor ­allem RT (in Deutschland Ruptly) oft zu den wenigen Sendern gehört, die ­Demonstrationen von Rechten und Linken live übertragen und sich bewusst meistens mitten ins Geschehen begeben, um möglichst spektakuläre Bilder zu liefern. Dazu passt, dass bis zum 10. Dezember zwölf Mitarbeiter russischer Fernsehstationen bei den Protesten verletzt wurden, mehr als Journalisten von ­allen anderen Sendern und Publika­tionen.

Am Beispiel des Mordversuchs an Sergej Skripal und seiner Tochter im Frühjahr schilderte die Washington Post vergangene Woche, wie die Desinformationskampagnen der russischen Regierung funktionieren. 46 verschiedene Versionen, von wem und wie der ehemalige Agent vergiftet worden sein könnte, wurden demnach von im Ausland ausgestrahlten Regierungssendern wie RT und Sputnik verbreitet, dazu ­kamen Geschichten, die Diplomaten und Propaganda-Accounts auf Twitter verbreiteten.

Dass solche Versionen einander ­widersprechen, sei den Verbreitern dabei ziemlich gleichgültig, wie Peter ­Pomerantse, ein ehemaliger russischer Fernsehproduzent, in seinem Buch »Nothing Is True and Everything Is Possible: The Surreal Heart of the New Russia« ausführt. Das Ziel sei vielmehr, Menschen zu verunsichern, bis sie nicht länger glauben, dass die Medien in ihrem Land ihnen die Wahrheit sagten. Das bestätigt auch Jakub Kalenský, der bis vor kurzem für die von der EU betriebene East Stratcom Task Force tätig war, die russische Desinformationen untersucht. Anders als im Kalten Krieges gehe es heute nicht mehr darum, die Leute mit einer möglichst überzeugenden Version auf seine Seite zu bringen, so Kalenský. Ziel sei vielmehr, Medienkonsumenten durch viele ­unterschiedliche Deutungen, angebliche Augenzeugenberichte und gefälschte Bilder so zu verwirren, dass sie daran zweifeln, jemals die Wahrheit zu er­fahren. 1,3 Milliarden US-Dollar lässt sich die russische Regierung die Propagandaverbreitung jährlich kosten, sagt Kalenský. Das Geld sei gut angelegt: »Das ist schon eine sehr kostengünstige Methode, zu stören und zu unterwandern.« 293 Millionen US-Dollar werden dazu jährlich für den Betrieb des Auslandssenders RT aufgewendet. In den meisten europäischen Ländern im Kabelnetz eingespeist, ist das Programm bei den Zuschauern ­allerdings nicht sonderlich beliebt. In sozialen Medien werden die RT-Videos dagegen besonders nach Anschlägen und anderen Ereignissen, die die Menschen bewegen, massenhaft verbreitet – dafür sorgen unter anderem die großen US-amerikanischen Alt-Right- und Verschwörungstheorie-Webseiten, die RT ideologisch nahestehen. Womit immerhin geklärt wäre, woher so einiger Zulauf der »Gelben Westen« kam.