Diana Rosdolsky, Herausgeberin von »Der Briefwechsel zwischen Ernst Federn und seinem Vater Paul aus den Jahren 1945 bis 1947«, im Gespräch

»Formen der Abwehr«

Interview Von David Hellbrück

Der Briefwechsel zwischen Paul und Ernst Federn aus den Jahren 1945 bis 1947 bietet nicht nur per­sönliche Einblicke in eine durch den Holocaust zerrissene Familie, die sich nach der Befreiung wiederfand, sondern ­erinnert auch an den Beitrag Paul Federns zur Psychoanalyse. Ein Gespräch mit der Herausgeberin Diana Rosdolsky über den schwierigen Umgang des Buchenwald-Überlebenden Ernst Federn mit seinen Erfahrungen im KZ und die Rolle des Vaters Paul bei der Aufarbeitung.

Wie sind Sie in den Besitz des Briefwechsels zwischen Paul und Ernst Federn gekommen?
Ich kannte Ernst Federn sehr gut, da er mit meinen Großeltern befreundet war. Er hat mir die Briefe ungefähr ein Jahr vor seinem Tod gegeben, vermutlich im Jahr 2006. Die Briefe ­befanden sich völlig ungeordnet in einer Schachtel. Nicht nur gab es darin Briefwechsel zwischen Vater und Sohn, sondern auch Briefe von Ernsts Mutter, Bruder und Onkel, denen die Emigration in die USA gelungen war. In diesem ungeordneten Zustand blieben die Briefe über mehrere Jahre in einer Schreibtischschublade. Nachdem ich für eine Festschrift, die zum 100. Geburtsjahr Ernst Federns veröffentlicht wurde, einen Aufsatz geschrieben hatte, ­entschloss ich mich, die gesamten Briefe zu veröffentlichen.

Handelt es sich dabei ausschließlich um Briefe aus den Jahren 1945 bis 1947?
Ja, die Briefe stammen aus der Zeit unmittelbar nach der Befreiung des KZ Buchenwald durch die US-amerikanische Armee und Ernst Federns Emigration in die USA im Januar 1948. Mit Hilfe der Militärpost konnte Ernst bereits am 14. April 1945 seinen Eltern schreiben. Der letzte Brief im Band wurde von Paul Federn am 19. Dezember 1947 verfasst.

1938 wurde Ernst Federn erst in das KZ Dachau, dann in das KZ Buchenwald deportiert. Er überlebte die sieben Jahre grausamer Gefangenschaft und behielt dennoch seinen Optimismus. Was haben Sie über ihn herausfinden können?
Ernst Federn wurde sowohl wegen seiner Tätigkeiten als Sozialist als auch wegen seiner jüdischen Herkunft verhaftet. Ich glaube, dass er aufgrund positiver Kindheitserfahrungen bestimmte Formen der Abwehr entwickeln konnte, die es ihm ermöglichten, diese sieben Jahre zu überleben. Dazu gehörte auch sein Optimismus, den er sogar in Buchenwald beibehalten konnte. Es gibt eine Geschichte, die das sehr gut illustriert. Die bekannte Strafe des Baumhängens wurde über ihn verhängt. Er scherzte, dass das Herunterkommen so schön sei, dass es das Hängen wieder aufwiege. Ernst Federn hat nicht viel über diese Zeit gesprochen, aber ich erinnere mich sehr gut, wie er mir diese Geschichte erzählt hat.

»Ich habe Ernst Federns Schrift mit vielen anderen aus der unmittelbaren Nachkriegszeit verglichen und bin so darauf gekommen, dass er das Lagerleben in ganz anderer Weise als andere Häftlinge beschrieb.«

Kann man Optimismus demzufolge als Abwehrmechanismus betrachten?
Ich glaube, dass es darauf ankommt, in welcher Situation man sich befindet. Vielleicht muss jeder Optimismus die negativen Seiten des Lebens bis zu einem gewissen Grade ausblenden, aber das müssen wir auch, um zu überleben. Ernst Federn musste aber nicht bloß negative Seiten ausblenden, sondern die gesamte Realität des Lagerlebens. Daher würde ich sagen, dass sein Optimismus während seiner Haft als Abwehrmechanismus gelten könnte, da er für sein Überleben äußert wichtig war. Hätte er die Realität in ihrer Brutalität wirklich wahrgenommen, hätte er wohl kaum überleben können.

Ist das im Briefwechsel ein Thema?
Nein, es wurde nicht thematisiert, dafür aber in den Schriften, die Ernst Federn unmittelbar nach seiner Befreiung verfasste. In einem Aufsatz befasse ich mich mit seiner »Buchenwald-Broschüre«, mit der Federn zwar versuchte, die Zeit seiner Haft möglichst objektiv zu beschreiben, diese offenbar aber verharmloste. Ich habe seine Schrift mit vielen anderen aus der unmittelbaren Nachkriegszeit verglichen und bin so darauf gekommen, dass er das Lagerleben in ganz anderer Weise als andere Häftlinge beschrieb. Viele der ungeheuerlichen Brutalitäten ließ er einfach aus oder verzerrte sie in verharmlosender Weise. Zum Beispiel schrieb er vom Krematorium so, als ob eine solche Einrichtung eine völlig natürliche Sache sei, erwähnte aber nicht, dass die Todesrate natürlich viel höher war als außerhalb des Lagers.

Die »Buchenwald-Broschüre« schickte er auch seiner noch rechtzeitig in die USA geflohenen Familie. Wie reagierte sie auf die von ihm geschilderten Erlebnisse?
Ernst Federns Vater nahm die »Buchenwald-Broschüre« sehr ernst, lektorierte sie, fand einen Übersetzer und veröffentliche sie schließlich auch, meinte aber, dass sich Ernst keine allzu großen Hoffnungen auf ihren Erfolg machen sollte. Tatsächlich scheint man in den USA nur unmittelbar nach Kriegsende an den Erlebnissen der Überlebenden interessiert gewesen zu sein. Danach stellte sich Desinteresse ein. Oft glaubte man den Überlebenden nicht und wandte sich von ihnen ab. In die­sem  Kontext muss man Paul Federns Versuche verstehen, seinen Sohn vom Schreiben der Broschüre abzuhalten. Paul scheint auch keine wirk­liche Vorstellung vom Lagerleben gehabt zu haben. In einem Brief schreibt er Ernst, dass dieser die Erfrierungen, die er im Lager erlitt, mit Olivenöl hätte behandeln sollen. Diese falschen Vorstellungen konnte er vermutlich unter anderem deshalb beibehalten, weil Ernst das Lagerleben in seiner Broschüre weitgehend verharmlost. Insgesamt war Pauls Re­aktion also recht kompliziert.

 

Sorgte sich der Vater, dass die ­Beschäftigung mit Buchenwald seinen Sohn zu sehr mitnahm?
Ja, natürlich war Paul besorgt. Dabei lässt sich aber eine Ambivalenz feststellen. An manchen Stellen seiner Briefe ermutigt Paul seinen Sohn zu schreiben, weil es ihn sicher ent­lasten würde, andererseits wollte er nicht, dass er durchs Schreiben alles »gründlich wiederholt«. Damit ­bezog er sich auf Freuds Wiederholungszwang, nach dem Traumatisches zwangsweise wiederholt wird. Ich glaube, dass Ernsts Gemütsschwankungen zwischen Euphorie und Depression diese Ambivalenz unterstützten. Paul war nicht klar, ob das Schreiben Ernst gut tun würde oder nicht, da er nicht genau wusste, welche Gefühle und Stimmungen dadurch entstehen würden. In welchem Ausmaß Ernst seine KZ-Er­fahrungen verharmloste, ahnte Paul nicht.

Welche Rolle spielt Paul Federns Ich-Psychologie im Umgang mit seinem Sohn?
Sicherlich war der Umgang von der Psychoanalyse bestimmt. In den Briefen wirft Paul oft einen psychoanalytischen Blick auf die besprochenen Themen, wobei mir wichtig erscheint, dass er von seinem Sohn ein Interesse daran zu erwarten schien. Auch war sich Paul Federn bewusst, dass die Vater-Sohn-Beziehung nicht nur von Liebe, sondern auch von Rivalität geprägt ist. Dennoch würde ich nicht sagen, dass Pauls Ich-Psychologie seinen Umgang mit Ernst prägte. Die Ich-Psycho­logie wurde von ihm konzipiert, um Psychosen besser verstehen und ­behandeln zu können. Das hatte aber für seine Beziehung zu Ernst kaum Relevanz.

Was zeichnet Paul Federns Ich-Psychologie genau aus?
Sie zeichnet sich durch seine bestimmte Betrachtung des Ichs aus, wobei er Begriffe wie Ichgrenzen und Ichgefühl neu anwendete. Sie unterscheidet sich von der bekannten Ich-Psychologie von Hartmann, Kris und Löwenstein und scheint eine Art Werkzeug für ihn gewesen zu sein, mit psychotischen Menschen zu arbeiten. Darin vor allem unterscheidet sich Federn von an­deren Psychoanalytikern seiner Zeit, die fast alle Freuds Meinung teilten, dass man mit diesen Patienten psychoanalytisch nicht arbeiten könne.

Federn konnte mit seiner Methode aber tatsächlich erfolgreich mit psychotischen Patienten arbeiten. Auch die inzwischen vergessene psychiatrische Krankenschwester Gertrud Schwing hat sich bei ihrer Arbeit an seiner Theorie orientiert. Inwieweit Federn tatsächlich Patienten heilte, kann man nicht mehr nachvollziehen, dennoch scheint er vielen sehr geholfen zu haben. Er war auch sehr engagiert, ließ einmal eine Patientin bei sich wohnen und behandelte auch öfters in der eigenen Praxis, ohne Geld dafür zu verlangen.

Ernst Federn plante, ein Buch über das Verhältnis von Karl Marx und Sigmund Freud zu schreiben, wozu es allerdings nie kam und wovon sein Vater auch abgeraten hatte. In den Briefen über Ernsts Vorhaben wird deutlich, welchen Bruch die Shoah für das Denken Paul Federns bedeutete. Er, dem die USA Zuflucht geboten hatten und der dort mittlerweile assi­miliert war, betrachtete das Land mit anderen Augen als Ernst. Paul sympathisierte zudem mit dem Zionismus als Antwort auf die antisemitische Raserei. Ernst Federn hingegen dachte noch in einem anderen politischen Koordinatensystem und war Sozialist geblieben.
Man muss bedenken, dass Vater und Sohn die Kriegsjahre in völlig unterschiedlichen Welten verbracht hatten, so unterschiedlich, dass wir es uns eigentlich nicht vorstellen können. Ernst hat trotz – oder vielleicht gerade wegen – des durchlebten Horrors an seinen sozialistischen Idealen fest­gehalten, während Paul durch die Emigration und Assimilation eine Art Realitätsprüfung durchgemacht hatte. Dazu kam natürlich der Altersunterschied. Paul war nicht mehr für Ideale zu gewinnen. Und Ernst wollte unbedingt die gesamte Welt verbessern.

Ernst emigrierte schließlich in die USA, und damit reißt der Briefwechsel dann auch ab. Wie ging das Leben der Federns ­weiter?
Ernst musste sehr lange auf ein Visum warten. Was sich damals genau abspielte, geht leider aus den Briefen nicht ganz eindeutig hervor. Offenbar konnte Paul hilfreiche Kontakte in den USA knüpfen. Ernst studierte dann social work an der Columbia University und arbeitete sowohl in New York als auch in Cleveland, Ohio, als psychoanalytisch orientierter Sozialarbeiter. Er heiratete Hilde noch in Brüssel und emigrierte dann gemeinsam mit ihr. Beide kehrten 1972 zurück nach Wien, da Ernst von Christian Broda eingeladen worden war, sich an der damaligen Reform des Strafvollzugs zu beteiligen. In Wien half er auch, eine psychoanalytisch orientierte Sozialarbeit mit Häftlingen zu etablieren. Ich habe ihn selbst noch als Supervisor für ehrenamtliche Mitarbeiter der katholischen Seelsorge für Häftlinge an der Justizanstalt in der Josefstadt erlebt, da er mich mehrmals bat, ihn mit dem Auto hin und wieder zurück nach Hause zu bringen. Es war sehr eindrucksvoll, ihn als Supervisor in diesem Rahmen zu sehen und zu hören.

 


Diana Rosdolsky (Hg.): Der Briefwechsel zwischen Ernst Federn und seinem Vater Paul aus den Jahren 1945 bis 1947. Psychosozial-Verlag, Gießen 2018, 319 Seiten, 36,90 Euro