Ein Lob auf die Punks von Fucked Up

Punk ohne Arschloch

Die kanadische Band Fucked Up löst ein oft gegebenes, aber nie gehaltenes Versprechen des Punk ein.

Die Band Fucked Up gründete sich als recht gewöhnliche Punkrockband im Jahr 2001 im kanadischen Toronto und schrieb anfangs vornehmlich schnittige Zwei-Minuten-Smasher in der Manier von Poison Idea. Sänger Damian Abrahams Stimme, die nach ausgiebigem Whiskeygenuss klingt, passt perfekt zu seiner massigen, wilden Bühnenpräsenz. Nur wenige Single-Veröffent­lichungen führten dazu, dass die Band in der Punk-und Hardcoreszene in aller Munde war.

Doch schon mit »Hidden World«, dem Debütalbum von 2006, stieß Fucked Up die Hörer vor den Kopf. Die Band war plötzlich der Meinung, Punksongs sollten eher sechs Minuten lang sein und auch Refrains seien zu vernachlässigen. Zwei Jahre später erschien das noch opulentere »The Chemistry Of Common Life«, das überraschend mit dem höchsten kanadischen Musikpreis ausgezeichnet wurde. Spätestens da war die Frage angebracht: Ist das noch Punk?

Fucked Up antworteten auf ihre Art: »David Comes to Life«, 2011 erschienen, ist ein als Punk-Oper angelegtes Konzeptalbum, das von der Kunstfigur David handelt, die in der fiktiven britischen Kleinstadt Brydesdale Spa die Thatcher-Ära miterlebt. Musi­kalisch verfuhr man weiter nach der Formel, in sechs bis acht Minuten möglichst viele Spuren und Ebenen zu verwursten. Das Konzept trieb die Band noch weiter, als sie auf einer als Sampler angelegten zusätzlichen Platte die komplette Punkszene ebenjener Phantasiestadt simulierte, zwölf verschiedene Bands. Wie alle Veröffentlichungen von Fucked Up folgten auch diese beiden einem stringenten ästhetischen Konzept mit hohem Wiedererkennungswert. Die Band bringt es inzwischen auf über 70 Singles, eine davon ist die von Fans ­erfundene EP »Hoxton Cunts«, von der nicht einmal die Band selbst wusste. Beliebige Flohmarkt-Singles wurden in selbst gedruckten Covern verpackt und von ihren Schöpfern verkauft, um sich über Plattensammler lustig zu machen. Andere Veröffentlichungen enthalten fünfminütige Pfeifsoli, eine Kooperation mit der Industrial-Pop-Diva Zola Jesus oder ein 30minütiges improvisiertes Dronestück als Backing Track für die Inuk-Kehlkopfsängerin Tanya Tagaq.

Mit Punk im klassischen, vorhersehbaren Sinne hat das Bandkonzept nichts mehr zu tun. Ihre fürs Genre untypische und unprätentiöse Unauffälligkeit im Auftreten zeigt, das bei der Band der Fokus ganz auf der Klangproduktion liegt.

Das neue Album »Dose Your Dreams« beginnt mit einer zarten Referenz an die Two-Tone-Ära von Ska; »None of Your Business Man« ist der Hit, den die Mighty Mighty Bosstones nie geschrieben haben. Als Gastsaxophonistin ist hier die kanadische Jazzlegende Jane Fair zu hören, sie spielt im darauf folgenden bombastischen »Raise Your Voice Joyce« ein phantastisches Solo – echte Punks haben spätestens hier genug gehört. Die beinahe ein Dutzend Gäste auf dem Album sind übrigens fast ausschließlich weiblich, auch wenn die prominentesten von ihnen doch Owen Pallett und J Mascis heißen. »Dose Your Dreams« bringt es auf stattliche 82 Minuten. Referenzen lassen sich unter anderem finden zu Acid House, 70er-Glam-/Dad-Rock (zum Beispiel das hitverdächtige »Normal People«), North England Rave, Psychedelic Rock, Undertones-mäßigem Pub-Punk, und schließlich klingt »Accelerate« wie eine 2018er-Version des Prodigy-Songs »Smack My Bitch Up« – die Liste ließe sich endlos fortführen. Das mag in Anbetracht der Diversität untertrieben klingen, aber Fucked Up schaffen es dennoch, bei allen Schichten, Dutzenden Tonspuren und Spielereien einen ganz eigenen Sound zu etablieren. Bei ­allem leuchtet eine der Band eigene Wärme und Verbindlichkeit hindurch, die den offensichtlichen Eklektizismus entschuldigt beziehungsweise rechtfertigt: Handwerklich und vor allem dramaturgisch ist alles dermaßen gut gemacht, dass man sich nur wundern kann. Selten klingen bewusste Referenzen so ironisch und ernst gemeint zugleich, und noch seltener gelingt es, solche Vielfalt stimmig in Einklang zu bringen. Spätestens in dem Moment, in dem in der Britpop-Hymne »I Don’t Wanna Live in This World Anymore« mehrstimmige Choräle einsetzen, wird klar: Das ist große Kunst.

Mit Punk im klassischen, vorhersehbaren Sinne hat das Bandkonzept nichts mehr zu tun. Ihre fürs Genre untypische und unprätentiöse Unauffälligkeit im Auftreten zeigt, das bei der Band der Fokus ganz auf der Klangproduktion liegt. So grobschlächtig Abrahams Bühnencharakter wirkt, so reflektiert zeigt er sich in Interviews, in denen er oft zu Rassismus oder Misogynie referiert. Im Gegensatz zu Großteilen der Punkszene schaffen es Fucked Up, in ihrem Konzept Ironie und ­politisches Bewusstsein zu verbinden, Widersprüche zu akzeptieren und sich daran abzuarbeiten. Eine Band, die zwölf Stunden dauernde Konzerte gibt, die gegen den Zigarettenhersteller Camel wegen unerlaubter Verwendung ihres Bandnamens zu Werbezwecken prozessiert (und verliert), die in lokalen Initiativen Programme für nichtweiße Nachwuchskünstler kuratiert, eine solche Band löst ein Versprechen ein, das Punk nie halten konnte: auf Konventionen zu scheißen, ohne an Haltung zu verlieren – also ohne dabei ein Arschloch zu sein.

 

Fucked Up: Dose Your Dreams (Merge Records)