Die Geschichte von CSU-Bayern neigt sich nun dem Ende zu

Bayern schafft sich ab

Essay Von Georg Seeßlen

Der Sonderweg Bayerns neigt sich dem Ende zu. Der Niedergang der CSU kann auch durch den innerparteilichen Rechtskurs nicht auf­gehalten werden. Allein die Grünen profitieren vom freigewordenen Platz auf der Bierbank.

Von Bayern kann man dies und jenes behaupten, nur eines gewiss nicht, nämlich dass es ein Bundesland wie jedes andere sei. Es war von der Gründung der Bundesrepublik an ein Sonderfall. Man pflegte innerhalb wie außerhalb Bayerns den Sonderstatus, und der trug auf seine vertrackte, paradoxe Art zur Stabilität der Bonner und dann der Berliner Republik bei. Unter anderem dadurch, dass in die Geschichte der Demokratie in Deutschland nach dem Krieg neben einem rechten Untergrund von Anbeginn ein Element des Populismus eingebaut war und dass der Kapitalismus in Nachkriegsdeutschland von Anbeginn ein Experimentierfeld der später neoliberal genannten Deregulierung war und politisch-ökonomischen Hybride hatte. Die Geschichte von CSU-Bayern, so scheint es, neigt sich nun dem Ende zu.

Was mag das bedeuten? Dass der Sonderweg Bayerns zu Ende ist? Dass Bayern als Ausnahme überflüssig ist, weil ganz Deutschland die Demokratie in Ausnahmezustand und Deregulierung verkommen lässt? Wird, paradox genug, ein wenig mehr Demokratie in Bayern möglich, weil in ganz Deutschland weniger Demokratie praktiziert wird? Oder aber hat nur eine Führungsriege abgewirtschaftet und wird demnächst von einer Partei ausgetauscht, die bei derlei nie besonders zimperlich war?

 

Die CSU als politischer Zustand: Zwischen Größenwahn und narzisstischer Kränkung

Es ist schließlich eine Konstante der bayerischen Geschichte, von der Tragödie zur Farce geworden unter den Wittelsbachern, dass ein Herrscher das Land in Größenwahn und Machtgier an den Rand des Ruins führt und der nächste das, was davon übrig geblieben ist, in reduzierter und bescheidener Form wieder konsolidieren muss. Die Abfolge von Größenwahn und Rückzug in narzisstischer Kränkung jedenfalls hat immer auch die Beziehung zwischen Bevölkerung (ein bajuwarisches Volk hat es noch weniger gegeben als andere Volksgruppen) und Regierung bestimmt.

Die »absolute Mehrheit« für die CSU bei Wahlen bedeutete die magische Verschmelzung von Volk und Herrschaft, ihr Verlust schien stets auf Chaos, Katastrophe, Untergang hinzudeuten. Selbstverständlich gibt es die CSU nicht ohne Bayern, alle entsprechenden Versuche, insbesondere auch nach der Wiedervereinigung, mussten kläglich scheitern. Aber gibt es denn überhaupt ein Bayern ohne die CSU?

Die Könige mussten ein Bayern verkörpern, das es immer nur in der Phantasie gab, und diejenigen Könige, die einfach nur eine gute Arbeit zu machen versuchten, wurden so sehr verachtet wie diejenigen Politiker in Bayern, die ohne Inszenierung der Besonderheit auftreten wollen. Wer weiß denn noch von einem Ludwig III., der zäh und vergeblich versuchte, »hinter den Kulissen« die Eigenständigkeit Bayerns zu erhalten, bevor es im Deutschen Reich zum Genesungsraum, dann mitsamt der »Hauptstadt der ­Bewegung« zum Faschismusbeschleuniger und nach dem Krieg zur reinen, ländlichen Unschuldsprojektion wurde?

Unter vielem anderen waren die CSU und ihre Repräsentanten immer auch die Fortsetzung der Wittelsbacher Monarchie und ihrer Entdeckungen populistischer Methoden mit anderen Mitteln. Und ein Ministerpräsident wurde stets gemessen an seiner Fähigkeit, einer in sich widersprüchlichen, zerrissenen und ungleichzeitigen Lebensweise eine mythische Integration anzubieten. Die CSU war lange Zeit nicht eine Partei im demokratischen Sinne, sondern ein politischer Zustand, der von einer repräsentativen Spitze, einer Herrscherkonstruktion, bis in die feinsten Verästelungen von Wirtschaft, Kultur und Alltag reichte. Nur ganz am Anfang dieses Freistaats und nur für kurze Zeit gab es eine Regierung ohne CSU. Die »absolute Mehrheit« für die CSU bei Wahlen bedeutete die magische Verschmelzung von Volk und Herrschaft, ihr Verlust schien stets auf Chaos, Katastrophe, Untergang hinzudeuten. Selbstverständlich gibt es die CSU nicht ohne Bayern, alle entsprechenden Versuche, insbesondere auch nach der Wiedervereinigung, mussten kläglich scheitern. Aber gibt es denn überhaupt ein Bayern ohne die CSU?

Die CSU bildete sich im Jahr 1945 aus einer Art politischem Fleckerlteppich; einerseits sollte sie die Nachfolge der Zentrumspartei, der konservativen Mitte, antreten, andererseits wollte man deren Fehler vermeiden (zu denen das enge Bündnis mit dem Katholizismus gehörte). Verschiedene Gründungsgruppen hatten durchaus verschiedene Vorstellungen von der Zukunft des Landes, einiges aus der frühen CSU würde bei ihren derzeitigen Repräsentanten zu bedrohlicher Schnapp­atmung führen: der blanke Sozialismus!

Das Überkonfessionelle gehörte zu den Gründungsideen wie das Soziale, denn auch hier wollte man den Fehler einer zu engen Bindung an eine Klasse des besitzenden Bürgertums nicht wiederholen. In München, Würzburg, ­Coburg und anderswo bildeten sich zunächst kleinere Gruppen, die sich im Jahr 1946 bei einer gemeinsamen Veranstaltung ein erstes Programm gaben. Die mähliche Verbindung der christlich-konservativen Gruppen in den anderen Ländern der Bonner Re­publik lehnte die CSU ab. Sich der Vereinigung zur CDU anzuschließen, kam nicht in Frage. Der Grund war, folkloristisch gesehen, der altbekannte: Ein Führungsanspruch einer deutschen Zentrale, sei es Berlin oder Bonn, wird nicht anerkannt. Mia san mia.

 

Laptop und Lederhosen

Weniger folkloristisch gesehen ging es vor allem darum, der starken Konkurrenz der mehr oder weniger separatistischen Bayernpartei das Wasser abzugraben. Aber die Vorteile einer solchen Konstruktion einer Schwesterpartei wurde auch von der anderen Seite gesehen. Mit der CSU, die zugleich Verbindung und Differenz zur Zentralmacht der Republik bedeutete, schuf sich die CDU einen verlässlichen Mehrheitsbeschaffer, ohne sich dem performativen Provinzialismus anschließen zu müssen. Die CSU bekam dafür die Garantie eines mehr oder weniger kontrollierten Sonderwegs. So wiederholte sich auf Parteiebene das bayerische Dilemma: Zu mächtig, um sich mit einer bloßen Teilhabe zufrieden zu geben, zu schwach, um sich zum eigenen autonomen Territorium aufzuschwingen.

Der Geburtsfehler der CSU, nämlich zugleich integrative und separatistische Elemente zu enthalten, setzte sich als Geburtsfehler der konservativen Volkspartei der Bonner Republik und schließlich als Geburtsfehler der Republik selbst fort. Allerdings schienen sich daraus zunächst viel Vorteile zu ergeben. Die Doppelgesichtigkeit hatte eine paradoxe Stabilisierung zur Folge. Die bayerischen Verhältnisse dienten zur gleichen Zeit der Sicherung und als abschreckendes Beispiel. Denn durch die Fähigkeit, die beiden widersprüchlichen Impulse des Landes zu vereinen, die Sehnsucht danach, wenigstens Teil einer Großmacht zu sein, und die danach, sich als eigenständigen Kultur- und Wirtschaftstraum zu verstehen, hatte die CSU in diesem Land einen Alleinvertretungsanspruch errungen, der durch die Strauß-Doktrin (»Rechts von der CSU darf es keine wählbare Partei geben«) noch verstärkt wurde. Da es eine nennenswerte Opposition von links außerhalb der Städte nicht gab, die Sozialdemokratie bestens eingehegt war, konnte sich die Parteiführung nach der Erledigung der offen separatistischen Konkurrenz ganz der »rechten Flanke« widmen (ein Ausdruck von Horst Seehofer). Die CSU bot den Rechten immer eine »Heimat«.

Dass die CSU zwei einander ausschließende Ansprüche verkörperte, ließ sich nur im Mythos aufheben. Dieser wurde als work in progress in eine ­Folklorisierung der Politik und eine Politisierung der Folklore gebracht. Man ließ gerne urbane und preußische Menschen über die Bierzelt- und Stammtischpolitik, das System der Spezlwirtschaft (eine, nun eben, folklorisierte Form von Korruption, Kleptokratie und mafiösen Verbindungen von Politik und Wirtschaft) und die Undemokratie im angewandten Seppl­tum spotten, solange das System im Großen und Ganzen erfolgreich war.

Die Doppelgesichtigkeit setzte sich im Slogan »Laptop und Lederhosen« fort, in dem sich die Folklorisierung der Lebensqualität als Anreiz für techno­logisch-ökonomische Eliten auszudrücken versuchte. Das Ergebnis waren BMW und Trachtenjanker, Folklorisierung wiederum zugleich als Auflösung und Verschärfung des Klassenkampfs.

 

»Heimat« als Ideologie

All das indes hat eine lange Geschichte. Bayern als Mittelmacht hat über Jahrhunderte hinweg ständige Schwankungen zwischen Größenwahn und Schrumpfung erlebt. Der eine Herrscher wollte unbedingt Bayern in die Riege der europäischen Großmächte bringen, der nächste musste mit einem Restgebiet auskommen, der dritte schließlich sah sich zu ungeliebten ­Allianzen gezwungen und opferte Menschen und Material für Interessen, die nicht die Bayerns und der Bayern sein konnten. Die Folklorisierung der Politik war schon unter den Wittelsbachern ein probates Mittel, die Widersprüche zwischen Regierung und Alltag, zwischen Ausdehnung und Abschottung aufzulösen. Das zweite Mittel, das ­übrigens derzeit von der CSU unter Markus Söder eher unbeholfen wiederaufgegriffen wird: Da man weder die Macht in einem großen »Reich« übernehmen noch sich von ihm vollständig loslösen kann, erklärt man sich zum Muster und Vorbild. München, das vergisst man leicht, sollte nach dem Willen der Wittelsbacher zum Muster einer »teutschen« Stadt werden.

Die »Tracht«, die es gerade wieder zum jugendlichen Dresscode für Suff, Blödheit und Reaktion zu bringen scheint, war und ist ein politisches Statement. Nirgendwo sonst musste »Heimat« so umfassend und militant zur Ideologie werden.

Das Ganze funktionierte, weil es »uns« im Großen und Ganzen gut ging. Übrigens ging es »uns« im Großen und Ganzen gut, weil der CSU-Staat die Transferleistungen der anderen Bundesländer einsetzte, um eine sehr spezielle Industrialisierung und Postindustrialisierung zu fördern. Dabei entstand allerdings auch eine neue He­gemonie. Der Süden wurde reicher, im Norden und Osten entstanden »abgehängte Regionen«. Die Folklorisierung der Politik, die unter den Wittelsbachern als kultureller Binnenzwang begonnen hatte und unter der CSU me­dialisiert worden war, kam mählich an ihre Grenzen, ihre Hysterisierung ist ein deutliches Anzeichen. Es ist eine gern kolportierte Legende, dass bayerisches Brauchtum einst »authentisch« von »unten« gekommen und dann erst von Tourismus und Medien »verschandelt« worden sei. Es handelte sich in Wahrheit von Beginn an um ein politisch-ökonomisch-touristisches Konstrukt von vollendeter Künstlichkeit, und seine semantische Exportierbarkeit entsteht gerade aus dieser Künstlichkeit. In der verklärten »Prinzregentenzeit« wurden weit hinein in den protestantischen Norden Trachten- und Heimatvereine gegründet, in denen man sich »alpenländisch« zu inszenieren hatte. Die »Tracht«, die es gerade wieder zum jugendlichen Dresscode für Suff, Blödheit und Reaktion zu bringen scheint (allerdings ohne eindeutig an die Ein- und Allpartei CSU gebunden zu bleiben), war und ist ein politisches Statement. Nirgendwo sonst musste »Heimat« so umfassend und militant zur Ideologie werden.

Die CSU war selbst unter Franz Josef Strauß eine »Volkspartei«, insofern sie sehr unterschiedliche Strömungen zuließ, von einer liberal-christlichen bis zu einer katholisch-reaktionären Fraktion, von den aufgesaugten Kräften aus der Bayerischen Volkspartei und der Bayernpartei, (die man in einer dubiosen »Spielbankaffäre« erledigte – das Musterbeispiel eines rücksichtslosen politischen Rankünespiels) bis zu harten ökonomischen Modernisierern.

 

Das Wir gibt es nicht mehr

Laptop und Lederhosen

Tradition trifft Moderne. Die Geschichte der CSU ist auch eine Geschichte des Aufstiegs Bayerns zum Industriestandort

Bild:
mauritius images / Marc Gilsdorf

Wenn Markus Söder nun beschwört, die CSU sei die letzte Volkspartei, beschreibt er unwillentlich ihren Niedergang. Sowohl die durch die Strauß-Doktrin erzwungene stete Wanderung nach rechts als auch die Hegemonie der reichen »Oberbayern« und der Reaktion machte genau diese Kraft der Vereinigung der Gegensätze, das Besetzen einer undisputablen »Mitte« unmöglich. Seehofer und Söder wurden aus verschiedenen Gründen zu Politikern, die nicht allein in der Republik, sondern auch in den eigenen Reihen zu Kräften der Spaltung wurden. Ihr Machtwille lässt sich mit den anderen Parametern der bayerischen Politik (­einer bayerischen Biergarten-Liberalität etwa, dem »barocken« Selbstgenuss) nicht mehr verbinden. Seehofer und Söder verhalten sich, wie sich nur Herrscher am Ende einer Herrschaftsform verhalten: wie sterbende Könige, die lieber ihr Land mit in den eigenen Untergang reißen, als die Herrschaft abzutreten.

Bayern war als Insel der Glückseligen verloren, und das wussten die meisten Menschen in Bayern auch, aber bis zu einem gewissen Grad folgten sie den Regierenden noch in der Lust an der Destruktion: Wenn es uns nicht besser gehen kann als den anderen, dann wollen wir wenigstens die anderen gehörig stören. Wo Bayern verlieren muss, da soll Berlin nicht gewinnen!

Unter Edmund Stoiber hatte die CSU noch einmal ein großes politisch-ökonomisches Projekt, dessen wahre Ausmaße sich gerade hinter Stoibers leicht narrenhaftem Folklorismus perfekt verbergen ließen. Mit einer komfortablen absoluten Mehrheit ausgestattet nutzte er die Gelder aus der Privatisierung in einer »Offensive Zukunft Bayern« und »High-Tech-Offensive Bayern« für eine prosperierende Standort­politik. Konnte jemand, der mit Sprache und Logik so auf Kriegsfuß stand, tatsächlich das Gesicht eines Landes verändern? Noch einmal funktionierte die CSU-Kultur der politisch-ökonomisch-folkloristischen Hybride. Wieder konnte, unter anderem durch etliche Großbaustellen, dieses Gefühl des bayerischen Exzeptionalismus bedient werden: Es geht uns gut, weil wir wir sind. Und weil es uns besser geht als den anderen, sind wir auch die Besseren. Aber danach musste die Politik auf Austerität und Reduktion umgestellt werden. Das achtjährige Gymnasium, die Studiengebühren, der ungelöste Konflikt zwischen Landschaftsschutz und Flächenverbrauch, die Mietpreise, und vieles andere machten deutlich: Das »Uns geht es gut« lässt immer mehr Menschen fallen. Es gibt nichts mehr zu verteilen. Das Wir gibt es nicht mehr. Das Paradies hat sich selbst aufgefressen und existiert als solches nur noch für eine Minderheit, während auch das letzte Dorf noch hinter seinem Industriegebiet Nord den Identitätsrest verliert.

Nach Stoiber konnte es nur noch ein Projekt geben: Bayern schafft sich ab. Warum ist das niemandem als Buchtitel eingefallen? Vermutlich, weil bayerische und deutsche Identität eben doch nicht vollkommen synchron und schon gar nicht in harmonischer Einheit funktionieren.

Die Krise jedenfalls war unabwendbar. Bei der Landtagswahl in Bayern am 28. September 2008 verlor die CSU unter einer Doppelspitze mit Erwin Huber und Günther Beckstein satte 17,3 Prozentpunkte und erreichte erstmals seit 1962 bei einer Landtagswahl nicht mehr die absolute Mehrheit. Erst trat der CSU-Vorsitzende Erwin Huber zurück, danach wurde Ministerpräsident Beckstein zum Rücktritt gedrängt, und es begann die vermutlich letzte Episode in der Geschichte von CSU-Bayern unter Horst Seehofer, gekrönt von einer Rückeroberung der absoluten Mehrheit in der Landtagswahl 2013. Sie ist geprägt von defensiven Maßnahmen. Seehofer trat militant für die Senkung der Mehrwertsteuer für Hotels ein, Theodor Guttenberg organisierte die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht, danach ging es um Mautpflicht und die Flüchtlinge. 2016 stand die Abspaltung der CSU von der »Schwesterpartei« CDU im Raum. Selbst Horst Seehofer wollte für die Fraktionsgemeinschaft »keine Ewigkeitsgarantien« abgeben. Was folgte und mittlerweile seinen Höhepunkt überschritten hat, waren eine performative Obstruktionspolitik der CSU in Berlin, und ein zermürbender Machtkampf zwischen Seehofer und Söder in Bayern.

Bayern war als Insel der Glückseligen verloren, und das wussten die meisten Menschen in Bayern auch, aber bis zu einem gewissen Grad folgten sie den Regierenden noch in der Lust an der Destruktion: Wenn es uns nicht besser gehen kann als den anderen, dann wollen wir wenigstens die anderen gehörig stören. Wo Bayern verlieren muss, da soll Berlin nicht gewinnen!

Bei der Bundestagswahl 2017 erzielte die CSU das schlechteste Ergebnis seit 1949, die AfD setzte sich auch in Bayern fest und ließ sich nicht, wie einst die »Republikaner«, die sich für kurze Zeit ebenfalls rechts von der CSU zu etablieren schienen, aufsaugen oder wie die NPD isolieren. Noch am Wahlabend gab Seehofer bekannt, dass sich die CSU nun wieder um »konservative Werte« kümmern werde und die »rechte Flanke« schliessen wolle. Schon damit hatte Seehofer freilich das Konzept einer integrativen, folkloristisch-auf­gelösten Volkspartei aufgegeben. Der Machtkampf zwischen ihm und Söder hörte auch mit seiner Funktion als Bundesinnenminister und Söders Ministerpräsidentschaft nicht auf. Söders groteske Symbolpolitik mit dem Kreuz­erlass und Seehofers rechte Opposition gegen die eigene Regierung in Berlin veränderten die politische Kultur. Es wurde überdeutlich, dass die Einheit von Politik und Folklore nur noch äußerer Habitus war. Sogar Grünen-Politiker und -Politikerinnen trugen »Tracht« überzeugender als CSU-Granden. Und dass das Aufsaugen und Er­drücken des »rechten Rands« diesmal nicht gelingen würde, zeichnete sich schon sehr bald ab.

 

Die drei Gründe des bayersichen Niedergangs

Es gibt also insgesamt drei Hauptgründe für den bayerischen Niedergang: erstens den inneren Zerfall durch die ökonomisch-politische Entwicklung des Neoliberalismus, der das »Leben und leben lassen« als Grundeinstellung und Garant des sozialen Friedens unmöglich macht und kommunitaristische Inseln weitgehend zerstört. Die Umwandlung Bayerns in eine Drei-Drittel-Erscheinung, nämlich Industrie- und Bürowucher, Ödland und Bavaria-Disneyland ist weitgehend abgeschlossen. Es ist unübersehbar: Die CSU hat Bayern verkauft.

Zweitens bringt der äußere Zerfall in der Ära Merkel eine Ausbreitung rechtsextremer und neofaschistischer Gedanken und Verhaltensweisen hervor, die auch von der CSU nicht mehr zu schlucken sind. Zugleich hat die CSU in den vergangenen Jahren im Zug der weiteren Neoliberalisierung nach Stoibers High-Tech-Initiative so viel ökologische, kulturelle und sogar folkloristische Zerstörung zugelassen, dass die Grünen folgerichtig als Konsens- und Konservationskraft nachrücken. Sie sollen, bitteschön, wieder herrichten, was die CSU an und in Bayern letzthin kaputtgemacht hat. Die CSU konnte nie damit rechnen, den Verlust von bürgerlich-liberalem Klientel durch das Fischen am rechten Rand kompensieren zu können. Sie ist mittlerweile nicht mehr allein eine Partei, in der es die Rechten gut haben, sofern sie es nicht übertreiben, sie ist selbst eine rechte Partei.

Drittens fehlt eine ambigue, joviale und folkloristisch-authentische Inte­grationsfigur oder, rundheraus gesagt: ein bayerischer König. Die Spaltung der Figur in den Lear Seehofer und den Hamlet Söder macht den Verlust nur um so deutlicher: Hier sind vor allem Gespenster unterwegs; oder jene Machthaber, die es in der bayerischen Geschichte auch immer wieder gab, die das Land nur als Mittel zur persönlichen Macht und zum persönlichen Besitz machen wollen. So etwas gibt es selbstverständlich auch anderswo, doch am Ort des feudalistischen Urpopulismus wirkt es sich besonders fatal aus. Söder und Seehofer laufen als nackte Könige durch die Straßen eines Landes, das gerade wieder einmal aus einem Traum erwacht.

Fast rührend nehmen sich die Appelle aus, mit dem Niedergang der CSU sei ein »unregierbares« Bayern verbunden. Denn genau das war das klammheimliche Versprechen, das noch die Dissidenten und Grantler in Bayern mit ihrem Land verbunden hatte, das auch immer noch etwas Unregierbares hatte. Mit der Normalisierung Bayerns geht also wahrscheinlich auch der Mythos verloren, dass unter der feudal-mafiösen Oberfläche der Herrschaft ein ganz besonderer Bereich des Anarchismus verborgen wäre. Aber die Jennerweins waren genauso gelogen wie die Märchenkönige.