Ein Bericht über die Proteste im Hambacher Forst

Braunkohle und Brandschutz

Reportage Von Sebastian Weiermann

Gegen den geplanten Braunkohleabbau auf dem Gebiet des Hambacher Forsts protestieren Menschen seit Jahren. Einige von ihnen leben dort in hohen Baumhäusern, um eine Rodung des Waldes zu verhindern. Nun räumt die Polizei das Gelände.

Mehrere Tausend Braunkohlegegner demonstrierten am vergangenen Sonntag am Hambacher Forst gegen die Räumung und geplante Rodung des uralten Waldes. Die Proteste dauern bereits seit Jahren an. Der Energiekonzern RWE will im Herbst weite Teile des Hambacher Forstes abholzen, um weiter Braunkohle abbauen zu können. Bereits am 5. September kreiste über dem Hambacher Forst ein Helikopter. Bei Sonnaufgang näherten sich aus verschiedenen Richtungen Kolonnen von Polizeimannschaftswagen dem Waldstück. Neben schwerem Gerät wie Räumpanzern gehörten auch eigens für solche Einsätze ausgebildete Kletterspezialeinheiten und Sprengstoffexperten zum Tross der Polizei. An diesem Morgen sollte die Räumung des seit Jahren von Klimaaktivisten besetzten Waldes beginnen. Von der Polizei Aachen, die den Einsatz leitete, hieß es, die Beamten würden RWE-Mitarbeiter nur dabei beschützen, Müll und Hindernisse aus dem Wald zu räumen. Aber für die Besetzer war klar: Mit diesem Einsatz beginnt die Räumung, auf die sie sich seit Wochen und Monaten vorbereitet hatten.

Sechs Jahre lang war der Hambacher Forst mehr oder weniger kontinuierlich besetzt. Zunächst bauten etwa 50 Aktivisten ein Camp und erste Baumhäuser. Nach vier Monaten der Besetzung räumte die Polizei. Ihre größte Herausforderung damals war ein Mensch, der sich in einem sechs Meter tiefen Erdloch eingegraben hatte. Ihn zu entfernen dauerte vier Tage. Auch in den folgenden Jahren gab es immer wieder Besetzungen und Räumungen von Camps im Wald. Seit nunmehr drei Jahren wurden die Waldbesetzter allerdings von den Sicherheitsbehörden weitgehend in Ruhe gelassen.

Einen wichtigen Sieg errangen die Protestierenden im Herbst des vergangenen Jahres. Der Energiekonzern RWE, der den benachbarten Tagebau Hambach betreibt, hatte schon alles für die Rodungen vorbereitet. Das Oberverwaltungsgericht in Münster legte fest, dass über eine Klage des Bundes Umwelt und Naturschutz (BUND) ordentlich und mit gutachterlicher Expertise entschieden werden müsse. RWE verzichtete zunächst auf die Rodungen.

Aus Naturschutzgründen darf der Wald nur zwischen Oktober und März abgeholzt werden. Vor Gericht verlor der BUND dann zwar, doch die Umweltschutzorganisation zog neuerlich vor das Oberverwaltungsgericht. Die aktuellen Genehmigungen für den Betrieb des ­Tagebaus werden vom BUND vor dem Verwaltungsgericht Köln beziehungsweise dem Oberverwaltungsgericht Münster beklagt. Eine Eilentscheidung, ob RWE roden darf oder nicht, wird laut BUND erst Mitte Oktober erwartet.

Im Hambacher Forst herrschte indessen im vergangenen Winter Hochstimmung. Der vorläufige Rodungsstopp gab den Besetzern Auftrieb und immer mehr Menschen merkten, dass da im Wald »was geht«. Parallel zur Bonner Weltklimakonferenz organisierte das Bündnis »Ende Gelände« einen Akt kollektiven zivilen Ungehorsams. Vom nahegelegenen Köln aus machten sich Hunderte von Menschen auf die halbstündige Bahnfahrt zum Hambacher Forst, umgingen zahlreiche Polizeieinheiten oder nutzten Lücken und schafften es schließlich, einen der riesigen Schaufelradbagger im Tagebau Hambach zu blockieren. Eine gelungene Aktion, die der Klimabewegung viel Aufmerksamkeit verschaffte.

Doch es sind nicht nur Linksradikale, die sich für den Hambacher Forst engagieren. Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen auch lokale Initiativen und Einzelpersonen, darunter der Natur­pädagoge Michael Zobel, der monatlich durch den Wald führt und Tausenden Besuchern erklärt, wie wertvoll das seit 12 000 Jahren bestehende Waldgebiet ist. Die Besetzer hatte Zobel in seine Führungen integriert. Einige von ihnen seilten sich von ihren Baumhäusern ab, erklärten, warum sie im Wald lebten, und entschwanden wieder in die Baumwipfel. Eine weitere Unterstützerin ist Antje Grothus, mit ihrer Initiative »Buirer für Buir«. Das Dörfchen Buir soll, wenn es nach den Plänen der RWE geht, bald unmittelbar an der Abbruchkante des Tagebaus liegen. Grothus ist in zahlreichen Fernsehdokumentationen aufgetreten, gibt Zeitungsinterviews und spricht auf Demonstrationen. Als Tagebauanwohnerin ist sie Mitglied der von der Bundesregierung eingesetzten Kohlekommission, die über den Strukturwandel und ein Datum für den Ausstieg aus der Braunkohleverstromung beraten soll.

Baumhaus

So gemütlich wie im autonomen Zentrum. Die sogenannten Dörfer bestehen aus drei bis zehn Baumhäusern

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Als es Anfang September im Hambacher Forst ernst wurde, eilte auch Antje Grothus in das Baumhausdorf »Oaktown«. Die Polizei hatte am Morgen gemeinsam mit Mitarbeitern der RWE-Security am Rand des Walds Stellung bezogen, die Polizisten waren mit Schilden ausgestattet, Pfefferspray und Schlagstöcke griffbereit. Auf Kommando ging es dann in den Wald, begleitet von RWE-Mitarbeitern. Nach gut 100 Metern trafen sie auf das erste Hindernis, zumindest für Fahrzeuge. An einem Tripod, drei zu einer Pyramide aufgestellten Holzstämmen, hatte sich eine Waldbesetzerin festgekettet. Das Tripod wurde kurz beäugt, aber zunächst für uninteressant befunden. Über einen kleinen Waldweg näherten sich die Einsatzkräfte dem Baumhausdorf »Oaktown«. Hier schwärmten die Polizisten aus und behielten die Umgebung im Auge, während RWE-Mitarbeiter und Subunternehmer einsammelten, was sich auf dem Boden befand: Küchen, Sitzgruppen, einen Infostand. Alles landete in den Lademulden von Baumaschinen, die dem Tross folgten. Währenddessen beschimpften die Waldbesetzter die ­Polizeibeamten und RWE-Mitarbeiter.

Nach wenigen Stunden war »Oaktown« nicht mehr wiederzuerkennen. Bevor RWE-Mitarbeiter und Polizei kamen, sah es dort aus wie in einem autonomen Zentrum unter freiem Himmel. Transparente gegen Staat und Kapitalismus hingen zwischen den Bäumen, auf dem Boden fanden sich allerhand Möbelstücke, die teilweise selbstgebaut waren oder schon bessere Tage gesehen hatten. Flyer kündigten Aktionen zum Erhalt des Autonomen Zentrums in Köln an oder informierten über den Klimawandel.

Während die RWE-Mitarbeiter den Wald säuberten, beäugten am Infostand auch einige Polizisten das ausliegende Material. Sie wirkten interessiert. Kein Wunder, schließlich gehörte der Hambacher Forst zu den Orten, in denen Bereitschaftspolizisten aus Nordrhein-Westfalen in den vergangenen Wochen ständig im Einsatz waren. Immer wieder zog die Aachener Polizei Hundertschaften für Einsätze im Wald und der Umgebung zusammen. Mal wollte sie eine Bombenattrappe auf einem Waldweg entschärfen, dann ein Aktivistencamp auf einer Wiese am Waldrand durchsuchen. Bei ­diesen Einsätzen kam es manchmal zu Auseinandersetzungen. Mehrfach ­bewarfen Waldbesetzer Polizisten mit Steinen. Die Polizei berichtete darüber hinaus, dass Beamte mit Molotowcocktails angegriffen und mit Zwillen beschossen worden seien. Aktivisten hingegen berichteten von Einsatzfahr­zeugen, die über Lautsprecher die Geräusche von Kettensägen abgespielt hätten. Auch mit Richard Wagners »Ritt der Walküren« sollen Polizisten den Wald beschallt haben. Im Film »Apocalypse Now« begleitet das Stück den Angriff US-amerikanischer Kampfhubschrauber auf ein Dorf in Vietnam, dessen zivile Bevölkerung im Verlauf des Angriffs rücksichtslos niedergemetzelt wird.

 

Wie im Vietnamkrieg muss sich auch ein Polizeibeamter gefühlt haben, der der Rheinischen Post Auskünfte über ein »Tunnelsystem« gab, mit dem die Aktivisten Menschen und Waffen in den Wald schmuggeln würden. Die Aachener Polizei dementierte diesen Bericht umgehend, ebenso wie die über Twitter verbreitete Meldung von tödlichen Fallen im Wald.

Die Auseinandersetzungen begleitete die Polizei mit intensiver Propaganda. Zwei Tage vor Beginn der Räumung Anfang September hatte der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) die Presse eingeladen. Er präsentierte Waffen, die die Polizei im Wald sichergestellt habe. Reul vergaß aber zu erwähnen, dass diese Waffen, darunter auch Äxte und Messer, die in einem Waldcamp durchaus banale ­alltägliche Verwendung finden, schon bei einer Durchsuchung vor zwei Jahren sichergestellt worden waren. Auch sonst nutzte Reul den Pressetermin, um ein Horrorszenario auszumalen. Im Wald befänden sich etwa 70 Menschen, davon seien 20 Prozent gewaltbereit; der Innenminister und die Polizeiführung bemühten Vergleiche mit den Ausschreitungen während des G20-Gipfels in Hamburg. Zudem interessierten sich europaweit »Extremisten« für den Wald, hieß es. Mittlerweile hat die Polizei das Gebiet um den Hambacher Forst sogar zum »gefährlichen Ort« erklärt, somit sind nun jederzeit Personalienkontrollen und Durchsuchungen von Taschen und Autos möglich. Journalisten beklagten, dass Polizisten auch ihre Tätigkeit während der Räumungen der Baumhäuser behindert hätten.

Oben_bleiben
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sebastian weiermann

RWE-Mitarbeiter und Subunternehmen arbeiteten bereits Anfang September im Wald daran, sämtliche Bauten, die die Waldbesetzer selbst als »Bodenstrukturen« bezeichen (im Unterschied zu den Baumhäusern), aus dem Wald zu entfernen. Klimaaktivisten von der »Aktion Unterholz« riefen daraufhin den »Tag X« aus und zu Protesten im Wald auf. Wenige Tage nach Räumungsbeginn nahmen mehr als 1 000 Menschen an einem Waldspaziergang teil. An anderen Tagen wurden die zuvor von Polizei und RWE-Mitarbeitern entfernten Bodenbauten und Barrikaden erneut errichtet. Ein Gespräch zwischen RWE und den Umweltverbänden Deutscher Naturschutzring, BUND und Greenpeace am 10. September blieb ergebnislos.

Mehrere Hundert Polizisten begannen daraufhin am 13. September dennoch mit der Räumung der Baumhäuser. Mit SEK, Wasserwerfern und Baumfällmaschinen versuchte die Landesregierung, Fakten zu schaffen. Begründet wurde der Einsatz jedoch nicht mit der Braunkohleförderung. Vielmehr argumentierte das NRW-Bauministerium unter anderem mit dem fehlenden Brandschutz in den Bauten. Die Polizei erwartete zunächst einen langwierigen Einsatz, bei dem auch auf Polizeikräfte aus ganz Deutschland zurückgegriffen werden müsse. Wasserwerfer und schwere Räumgeräte waren im Einsatz. Über 50 Baumhäuser gab es im Wald. Teilweise verfügten sie über sogenannte Lock-ons, in denen sich die Waldbewohner festschließen können. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur standen für die Räumung der Baumhütten spezielle Höheninterventionsteams bereit, die für derartige Einsätze ausgebildet sind. Neben den Besetzern selbst hatten zahlreiche Gruppen dezentrale Aktionen und Demonstrationen angekündigt um die Räumung zu stören. Bislang blieb der Protest allerdings friedlich. Zu Redaktionsschluss waren bereits 28 der 50 Baumhäuser geräumt.