Der Lehrerberuf hat ein Imageproblem

Beneidet und tierisch uncool

Der grassierende Lehrermangel ist eines der wichtigsten Themen zu Beginn des neuen Schuljahres. Daran sind nicht nur der demographische Wandel und ein hoher Numerus clausus Schuld. Der Beruf hat auch ein Imageproblem.

»Lehrer haben vormittags recht und nachmittags frei« – die Postkarte mit diesem Spruch dürfte wohl mindestens 50 Jahre alt sein. Immer wieder wurde sie von Lehrern gekauft oder Lehrern als Witzgeschenk überreicht. Nur hat sich in diesen 50 Jahren einiges verändert, auch im Lehrerberuf. Geblieben ist der milde Neid, der auf dieser Karte ausgedrückt wird. Ergänzend wird ­gerne auf die hohe Anzahl der Ferientage und die gute Bezahlung von Lehrern verwiesen.

Kaum ein Lehrer hat heutzutage den Nachmittag noch frei. Neben dem Ausbau der Ganztagsschulen hat es diverse Arbeitszeiterhöhungen und einen ­Anstieg an qualitätssteigernden Maßnahmen wie Konferenzen, Fachgruppen und Arbeitsgruppen gegeben. Und die finden nach dem Unterricht am Nachmittag statt. »Es gibt Phasen, in denen ich zwischen 50 und 60 Stunden pro Woche arbeite, weil an jedem Nach­mittag Konferenzen, Förderplanbesprechungen und Elterngespräche statt­finden«, sagt Edith Kropp im Gespräch mit der Jungle World. Sie arbeitet an ­einer Hamburger Stadtteilschule.

Neben der vermeintlichen Hochachtung schwingt auch immer noch etwas anderes mit: etwas Neid und die Vorstellung, Lehrer seien uncool.

Im autoritären Sinne recht haben die Pädagogen vormittags auch immer ­seltener. Gerade Lehrer an Schulen in problembehafteten Stadtteilen oder mit vielen Inklusionsverpflichtungen stöhnen über die sich verändernde Schülerschaft. Die Inklusion fordert den Lehrenden viel ab. Langsam ist es auch gesellschaftlich durchgesickert, dass Inklusion eben nicht nur den netten jungen mit Down-Syndrom oder die sympathische Schülerin im Rollstuhl bedeutet. Die Mehrzahl der zu inkludierenden Schülerinnen und Schüler haben Probleme mit dem Lernen oder dem Verhalten. »In unserer Klasse wurde die Lehrerin mehrmals pro Woche von einem Schüler körperlich attackiert. Das war schlimm. Manchmal flogen auch schwere Bücher oder Ordner quer durch den Klassenraum«, erzählt Matteo R., der die siebte Klasse einer Stadtteilschule in Hamburg besucht.

Die Schulen haben wenig Einfluss auf die Zusammensetzung der Klassenstufen, da der Elternwille wichtiger geworden ist. »Manchmal bin ich schon davon genervt, dass wir für die Eltern nur noch ein Dienstleister sind«, klagt ­Joachim Folkerts, der eine Förderschule in Ostwestfalen leitet. Den Schulnamen möchte er ebenso wenig nennen wie seine Hamburger Kollegin. Die Schulaufsicht würde sofort anklopfen, Kritik sei nur bedingt erwünscht. Die nächste Schulinspektion stehe bevor und schon setze die Schere im Kopf an. Aus diesem Grund möchte auch der Schulleiter ­einer Hamburger Stadtteilschule nicht mit seinem vollen Namen in der Zeitung erscheinen. »Wir stehen als Stadtteilschulen oft mit dem Rücken zur Wand. Und vor dieselbige fährt das System langsam, aber sicher. Der Elternwille ist gut und richtig, aber wenn bei jedem Elterngespräch über einen schwierigen Schüler ein Anwalt der Eltern dabei sitzt, ist die Atmosphäre vergiftet«, berichtet Peter N. von seinem Alltag.

Wenn man sich die Zahlen zum derzeitigen Lehrermangel anschaut, erkennt man schnell, dass dieser nicht nur durch den demographischen Wandel oder den zu hohen Numerus clausus bedingt ist. Der Ruf nach mehr Lehrerausbildung und vereinfachtem Zugang zu den entsprechenden Studiengängen betrifft nur einen Teil des Problems. Der Lehrerberuf hat nicht nur ein Nachwuchs-, sondern auch ein Imageproblem. Schließlich ist es ein Knochenjob. »Deinen Job möchte ich nicht machen« – wer hat den Spruch nicht schon einmal gehört, wenn ein Lehrer oder eine Lehrerin Teil der Runde sind? Doch ­neben der vermeintlichen Hochachtung für einen herausfordernden Beruf schwingt auch immer noch etwas anderes mit: etwas Neid und die Vorstellung, Lehrer seien uncool.

 

»Werd’ doch Grundschullehrer« – kriegen junge Menschen zu hören, die noch nicht so recht wissen, was sie werden sollen, für den Beruf Wirt überqualifiziert sind und sich bei einem Chemie- oder Physikstudium überfordert fühlen. Spricht aus diesem Spruch gesellschaftliche Wertschätzung? Eher nicht. Lehrer ist ein geringgeschätzter Beruf. Irgendwas mit Medien ist cooler.

Dieses Imageproblem hat der Lehrer­beruf in Deutschland schon länger. Nach dem Bruch mit dem Herrn Studienrat der Kaiserzeit ging es peu à peu bergab mit dem Ansehen der Pädagogen. Sie gelten als Pedanten, Nörgler und Outdoorjackenträger. Alle Versuche, dem entgegenzuwirken, sind bislang erfolglos geblieben. Auch deshalb hat Hamburg vor über zehn Jahren ein ­Arbeitszeitmodell für Lehrer eingeführt. Es sollte der Bevölkerung zeigen, wie viel ein Lehrer eigentlich arbeitet. Jede Tätigkeit – vom Unterricht bis zum Korrigieren der Klassenarbeiten – wurde dafür faktorisiert. Dem Ansehen hat es wenig genutzt, für die Lehrer war es eine zusätzliche Arbeitszeiterhöhung.

Der Blick wandert bei diesem Thema gern in Richtung Skandinavien. In Finnland beispielsweise ist der Lehrerberuf gesellschaftlich bedeutend angesehener. Sucht man im Internet die Begriffe »Finnland« und »Lehrer«, erhält man sofort viele Treffer, die sich genau mit dieser Frage beschäftigen. In Finnland gilt der Lehrerberuf nicht als uncool. Der Bildung von Kindern wird ein hoher Stellenwert eingeräumt. Verständlich, denn die Grundschul­lehrer legen die Basis für Erfolg in der Arbeitswelt. In Deutschland ist diese Wertschätzung zwar immer mal im Gespräch, gesellschaftlich durchgesetzt hat sie sich hingegen nicht.

Und so entscheiden sich stets weniger junge Menschen für den Lehrerberuf, obwohl er vergleichsweise gut bezahlt und die Anzahl der Ferientage wirklich ein Argument ist. Wenn man verbeamtet wird, locken ein gutes Gehalt und Absicherung. Angestellte Lehrer verdienen im Schnitt jedoch 600 bis 800 Euro weniger im Monat. Ähnlich geht es in vielen Bundesländern den Grundschullehrern, die anstatt der Besoldungsstufe A 13 nur A 12 erhalten. Zwischen den ­liegen ebenfalls 600 bis 700 Euro Gehaltsunterschied.

40 000 Lehrer, so hat es der Deutsche Lehrerverband vor kurzem erfasst, fehlen in diesem Schuljahr. 30 000 Stellen können nur notdürftig mit Quereinsteigern besetzt werden. Der emeritierte Bildungsforscher Klaus Klemm kritisiert im Berliner Tagesspiegel, die Bedarfsplanung der Länder sei problematisch gewesen. Allerdings sei die genaue Stellenplanung schwierig.

Die Auswirkungen von Pillenknick und Wiedervereinigung ließen sich bildungspolitisch in der Tat nicht genau abschätzen. Da die Lehrerausbildung gut sechs Jahre dauert, gibt es für kurzfristige Maßnahmen wenig Spielraum. Und so werden womöglich in sechs Jahren wieder sehr viele ausgebildete Lehrer auf dem Arbeitsmarkt zu ­finden sein, weil jetzt viele Pädagogen ausgebildet werden. Ob man aus­reichend viele Menschen durch die veränderten Rahmenbedingungen des Lehrerberufs begeistern kann, sei dahingestellt. Schon jetzt wird in vielen Reportagen und Berichten die Geschichten von Quereinsteigern erzählt, die schockiert von der harten Realität gerade an Schulen in sozialen Brennpunkten berichten. »Ich mag diesen Job, aber ich weiß nicht, ob ich ihn bis 67 durchhalte. Und viele Alternativen hält der Lehrerberuf nicht bereit«, sagt ­Joachim Folkerts aus Ostwestfalen resigniert. Auch das ist eine Tatsache, die vielen Angst macht: Der Beruf hat eine hohe Burn­out-Rate. Verlockend sind diese Aussichten nicht. Um in Zukunft wirklich genug engagierte und geeig­nete Lehrer zu gewinnen, bedarf es größerer Anstrengungen. Mehr Ferien muss man Lehrern dafür nicht ver­sprechen, aber vielleicht ein wenig mehr Wertschätzung.