In Bremen werden Arbeiten der Fotokünstlerin Cindy Sherman gezeigt

Herrin über ihr eigenes Bild

In der Bremer Weserburg werden derzeit Fotografien der Konzeptkünstlerin Cindy Sherman gezeigt. Deren Methode besteht darin, sich für Fotoserien immer wieder aufs neue selbst zu inszenieren. Sherman ist die heimliche Erfinderin des Selfie.

Die Bremer Weserburg zeigt noch bis zum Februar kommenden Jahres Arbeiten der Fotografin Cindy ­Sherman aus der Sammlung von Thomas Olbricht. Im Prinzip eine schöne Sache. Jedoch, um es gleich zu Beginn zu sagen: Zeigen ist buchstäblich der passende Begriff, kuratiert wurde hier nichts. Man scheint genommen zu haben, was zu kriegen war, und hat dann damit uninspiriert die Wände vollgehängt. Wenigstens wurden die meisten Arbeiten nach Serien sortiert und gemeinsam gezeigt, ansonsten scheint man nach dem Prinzip »Hier an die Wand muss noch ein großes Foto, da drüben in die Ecke passt noch was Kleines!« vorgegangen zu sein. Dass es keiner Fotografie guttut, in einer kleinen, dunklen Nische direkt neben einem Feuer­löscher präsentiert zu werden, sollte selbstverständlich sein. Am Katalog hat man mehr Freude als an diesem Museumsbesuch. Apropos Katalog: Die Weserburg produzierte keinen eigenen, sondern verkauft einen ­älteren aus Dänemark, der mit einer deutschsprachigen Einlage bestückt wurde. Auf dem Deckblatt schrieb man den Namen der Künstlerin falsch – Shermann. Das ist ärgerlich. Cindy Sherman ist eine der erfolgreichsten und bekanntesten lebenden Künstlerinnen. Die Tatsache, dass man sie ausstellt, scheint mittlerweile wichtiger als eine echte Auseinandersetzung mit ihrem Werk.

Cindy Sherman wurde 1954 im US-Bundesstaat New Jersey geboren, studierte zusammen mit den ebenfalls wichtigen Konzeptkünstlern ­Robert Longo und Richard Prince und wurde mit ihnen und anderen vom Kurator Douglas Crimp 1977 in der sagenumwobenen Ausstellung ­»Pictures« in New York präsentiert. Die sogenannte »Pictures Generation«, die daraufhin entstand, zeichnete sich dadurch aus, dass ihre ­Vertreterinnen und Vertreter medial vermittelte Bilder wie die der Werbung einer kritischen Überprüfung unterzogen.

Die feministische Kunstkritik erkannte in der jungen Künstlerin ­daraufhin ihr neues Postergirl. Dieses wollte diese Rolle aber nicht ­erfüllen und lehnte dieses Label für ihre Kunst ab.

Noch während ihres Studiums entwickelte Sherman ihre bis heute ­aktuelle, zwischen Performance und Fotografie pendelnde Methode. Sherman nutzt ihren Körper einerseits, um mit ihm weibliche Rollen­klischees durchzuspielen, andererseits fotografiert sie diese angenommenen Identitäten dann in einer Weise, die den männlichen Blick zum Thema macht. Ihren Durchbruch schaffte sie 1977 mit der Serie ­»Untitled Film Stills«, die in Teilen auch in Bremen zu sehen ist. In 70 Schwarzweißbildern erscheint sie als Schauspielerin in verschiedenen Szenen. Szenen aus Filmen, die es nicht gibt, aber hätte geben können, alle im Stile des amerikanischen ­Autorenkinos. Sherman räkelt sich, weint, lacht, öffnet Briefe, geht durch die Straße, raucht, ist einsam. Die Inszenierungen von Frauen im Film werden von ihr minutiös ein zweites Mal in Szene gesetzt.

Die feministische Kunstkritik erkannte in der jungen Künstlerin ­daraufhin ihr neues Postergirl. Dieses wollte diese Rolle aber nicht ­erfüllen und lehnte dieses Label für ihre Kunst ab. Wer da wen missversteht oder verkennt, lässt sich wohl nicht klären. Schließlich sind Shermans Themen klassisch feministische: Sex, Gewalt, die Zurichtung von Frauen auf eine bestimmte Rolle. Dabei ist Sherman stets Herrin über den Blick auf den Körper, den sie jeweils für sich erfunden hat. Der Kunstmarkt goutiert das, zwingt sie aber gleichzeitig, ihre Selbstinszenierungen immer weiter fortzusetzen. Die Serie »Broken Dolls« von 1999, in der Sherman wohl absichtlich auf sich selbst verzichtete und stattdessen zerstückelte Puppen fotogra­fierte, ist eher ein Nebenschauplatz in ihrem Werk, nicht echt Sherman.

In der folgenden Reihe »Head Shots (Hollywood /Hampton-Types)« aus den Jahren 2000 bis 2002 zeigt sie sich wieder selbst. Hatte jeder Körper der »Film Stills« an sich etwas Glaubhaftes und Natürliches, ist jeder Körper, jedes Gesicht der »Head Shots« eine Farce. Man sieht grotesk überzeichnete Damen der Gesellschaft: Da rutschen Brustprothesen aus dem Negligé, die Nase ist offensichtlich angeklebt und die Zähne strahlen viel zu weiß. Man kann sich sicher sein, dass jedes dieser Bilder genau so aussieht, wie es aus­sehen soll, dass jede Prothese genauso sichtbar ist, wie sie sein soll, dass ­jedes Detail geplant ist. So unecht die Körper wirken, so wahrhaftig sind die Posen. Diese Figuren sind Frauen, die ihre Jugendlichkeit verloren ­haben, sie aber verzweifelt versuchen aufrechtzuerhalten. Die Blicke sind aufrichtig und voller Unsicherheit, manchmal Trauer. Diesen Blicken merkt man an, dass diese Frauen längst wissen, dass sie zum alten Eisen gehören und sich mühen und plagen können, wie sie wollen: schöner wird’s nicht mehr. »Altern in Würde« wird als das gezeigt, was es ist: ein schwer zu erreichendes Ideal, bei dem Frauen, die ihm nacheifern, oft ­entweder unsichtbar oder lächerlich werden.

 

Altern bleibt, auch angesichts des Alterns der Künstlerin, ein Thema. Aber es scheint fast so, als hätte Sherman ihre einst bei dem Thema ­empfundene bittere Wut hinter sich gelassen, als hätte sie sich ausgesöhnt. Ihre jüngsten Arbeiten von 2016 zeigen in die Jahre gekommene Hollywood-Diven im Stil der sech­ziger Jahre. Die Prothesen sind weg, unter der durchsichtigen Haut der Hände zeigen sich blaue Adern. Auch sie ­haben ihre Jugendlichkeit verloren, auch sie versuchen immer noch dem Schönheitsideal zu entsprechen und auch sie legen keinen Wert auf Authentizität und schminken weg, was wegzuschminken ist. Aber – und hier zeigt sich die neue Zärtlichkeit, mit denen diese Figuren entwickelt wurden – ist es für den Zuschauer nicht notwendig oder gewollt, sich von ihnen abzuwenden oder abzugrenzen: es sind stolze Damen, sich ihrer selbst bewusst und ja, sie sind schön.

Cindy Sherman, die immer darauf beharrte, nicht sich selbst zu zeigen, sondern nur ihren Körper als Werkzeug zu nutzen, liegt nun, wie auf ­einem Instagram-Bild zu sehen, in ­einem Krankenhausbett, ein Schlauch in ihrer Nase, Elektroden auf ihrer Brust.

Vor ziemlich genau einem Jahr überschlugen sich die Feuilletons: Cindy Sherman auf Instagram! 600 neue Bilder! Was für eine Überraschung! Es ist eine etwas absonderliche Mischung aus privaten Aufnahmen ihrer Urlaube, Museums­besuche, Abendessen und etwas, das man Arbeitsskizzen nennen könnte. Cindy Sherman, die immer darauf beharrte, nicht sich selbst zu zeigen, sondern nur ihren Körper als Werkzeug zu nutzen, liegt nun, wie auf ­einem Instagram-Bild zu sehen, in ­einem Krankenhausbett, ein Schlauch in ihrer Nase, Elektroden auf ihrer Brust. Das ist sie, in einem realen Moment ihres Lebens, aber es ist auch eben nicht sie, denn ihr Gesicht ist durch den Gebrauch von Apps und Filtern entstellt. Gegen Entstellung als subversive Methode der Abgrenzung wäre nichts zu sagen. Aber hier wird nichts unterlaufen. Über das Genre wird hinweggetrampelt. Der Begriff des Selfie ist seit seinem Aufkommen in fast jedem medienwissenschaftlichen Text mit Sherman verknüpft worden. Und auch ohne Sherman hat das Medium längst für seine eigene Ironisierung gesorgt. Man hätte sich gewünscht, dass die Pionierin etwas Neues zu erzählen hätte, stattdessen wirken Shermans liederliche Skizzen wie ein mütter­licher, pädagogischer Appell zu mehr Natürlichkeit.

Selbstredend sind aber auch die »Töchter« nicht originell: Shermans Bilder nachzustellen, scheint eine Art Sport unter kunstaffinen Mittzwanzigerinnen zu sein. Besonders »Untitled Film Still #3« hat es den Userinnen angetan, ein Foto, auf dem Sherman vor einer Spüle posiert. Die Neigung, dieses Bild nachzustellen, mag daher rühren, dass alles andere zu aufwendig wäre: Eine ­Küche mit Abwasch hat hingegen jeder. Im Original steht vor jenem ­Abwasch eine junge Frau mit Pagenkopf, eine Schürze umgebunden, ihr Körper zur Seite gedreht, eine Hand liegt auf ihrem Bauch, die andere stützt sich auf der Küchenzeile ab, der Kopf dreht sich über die Schulter weg und der Blick geht an der ­Kamera vorbei, hin zu irgendetwas rechts außerhalb des Bildes. Die Frauen, die dieses Bild in Scharen kopieren, scheinen an der Intimität des Raumes interessiert zu sein, an den Details wie der Flasche mit dem Spülmittel. Doch im Vorbild ist diese Intimität gebrochen. Die Frau, die da steht und schaut, wartet, erwartet etwas. Es wird nicht klar, was da außerhalb des Bildes ist, in ihrem Blick könnte antizipiertes Begehren, aber auch Furcht liegen. Das eigene Heim als eines, das kein sicherer Zufluchtsort ist, eines, in dem man seinen Bauch schützen muss. Oder halt eines, in dem Passanten nicht glotzen, wenn man den Selbstauslöser sucht.

Woher kommt dieser Wunsch, die Identitätsspielerin nachzuspielen? Es einfach auf etwas wie kindliche Freude an der Verkleidung zu reduzieren, griffe zu kurz. Natürlich geht es um Identifikation mit Sherman als Künstlerin, dass dafür die relativ natürlichen »Film Stills« ausgewählt werden, ist kein Zufall. Es scheint sich aber ebenso um eine neoliberale Lesart Shermans zu handeln. Nachgestellt wird von den jungen Fans der Traum, dass man sich immer wieder neu ­erfinden könne. Dass man nicht durch die Umwelt geworden ist, was man ist, und damit umgehen lernen muss, sondern dass man durch reine Willenskraft, eine innere Regie­anweisung, alles wieder wegwischen und immer wieder etwas Neues sein kann: zum Beispiel auch endlich Herrin im eigenen Haus.