Wegen des Rückzugs der USA gewinnt Russland in Syrien an Einfluss

Der Sieg der Konterrevolution

Das syrische Regime und seine Verbündeten haben die Gebiete erobert, in denen 2011 der Aufstand gegen Bashar al-Assad begann. Wegen des Rückzugs der USA gewinnt Russland an Einfluss.

Es war immerhin eine Geste, wenn auch eine mit trauriger Symbolkraft: Für rund 100 Mitglieder der syrischen Zivilschutzorganisation »Weißhelme« und ihre Angehörigen öffnete sich der Grenzzaun auf dem Golan. Sie wurden von den Israel Defence Forces (IDF) nach Jordanien gebracht. Video- und Fotoaufnahmen der Helfer beim ­Bergen und Ausgraben von Opfern russischer Luftangriffe waren in den vergangenen Jahren fast die letzte Erinnerung an den grausamen Krieg gegen die syrische Bevölkerung, die es noch manchmal in die westlichen Medien schaffte. Das erklärt wohl auch den unerbittlichen Hass der Internationale der Freunde Wladimir Putins und Bashar al-Assads, den diese Organisation auf sich gezogen hat. In Syrien hatte das Regime, das derzeit selbst ehemalige Kämpfer des »Islamischen Staats« in seine Armee integriert, die »Weiß­helme« von jeder Amnestie ausgeschlossen. Sie repräsentieren symbolisch und real das Vermächtnis des ursprünglichen Aufstands in Syrien, der 2011 mit der Forderung nach Demokratisierung und Reformen in eben jenem südwestsyrischen Ort Dara’a seinen Anfang nahm, in dem nun wieder die Fahne des Regimes gehisst wurde.

Mit der Kapitulation der ehemaligen »Deskalationszone« im Südwesten des Landes hat der syrische Präsident Bashar al-Assad mehr als einen symbolischen Sieg errungen. Hier lag die letzte Bastion der Rebellen ohne islamistische Dominanz, die Kontrolle über das Grenzgebiet am Golan ist machtpolitisch ­bedeutend und mit einer Öffnung der Grenze nach Jordanien wird sich Geld verdienen lassen. Dass das syrische Regime diesen Sieg wieder einmal ausschließlich seinen ausländischen Verbündeten, der iranischen und diesmal vor allem russischen Intervention verdankt, sollte nicht vergessen werden, wenn es um die Zukunft geht.

Der Sieg Assads ist einmal mehr der Sieg über Flüchtlinge und im Stich ­gelassene Rebellen in einer vielerorts verödeten Geisterlandschaft mit geplünderten Häusern, aus denen selbst die Stromkabel herausgerissen worden sind. Der Vormarsch der Regimetruppen hat nach Angaben der UN 140 000 Menschen zur Flucht gezwungen, für die sich weder der israelische Grenzzaun noch die Grenze nach Jordanien öffnen dürfte. Die »Versöhnungsabkommen« der Regierung mit den ­zurückgebliebenen Rebellen und ­Bewohnern sind de facto Kapitulations­erklärungen. Das Regime ist – zumal unter den Augen der Russen, die derzeit ein Interesse an der Einhaltung des ­Abkommens haben – gezwungen, die Vereinbarungen zu respektieren. Die Entwicklung in den eroberten Gebieten ist jedoch kaum absehbar.

Die Kosten für einen Wiederaufbau Syriens liegen über 250 Milliarden Dollar. Weder Russland noch der Iran kann eine solche Summe aufbringen, sie würden sie auch kaum für Assad ausgeben.

Eine Rolle spielen dabei die divergierenden Interessen der verschiedenen Akteure auf Seiten des syrischen Regimes, also etwa der iranisch kontrollierten schiitischen Milizen, der auf Assad eingeschworenen Warlords, der ­syrischen Armee und der russischen Militärpolizei, die solche Abkommen überwachen soll.

Dadurch entsteht in den ehemaligen Rebellengebieten eine sehr komplexe und durch die jeweiligen lokalen Bedingungen bestimmte Situation. Angesichts der Entvölkerung ganzer Regionen, der Millionen Flücht­linge und der Zerstörung der Infrastruktur ist mittel- und langfristig unklar, wie dieser Sieg über die Rebellen stabilisiert werden könnte.

Die Kosten für einen Wiederaufbau Syriens liegen über 250 Milliarden Dollar. Weder Russland noch der Iran kann eine solche Summe aufbringen, sie würden sie auch kaum für Assad ausgeben. Die Golfmonarchien, deren Intervention in den syrischen Krieg rundweg gescheitert ist, werden sich ebenfalls nicht beteiligen.

Dass die ­Europäer am Ende alles zahlen werden, ist auch unwahrscheinlich, zumal das syrische Regime aus Gründen der Selbsterhaltung das, was den Staaten der EU das wichtigste Anliegen ist, nicht zulassen kann: die Rückkehr von mindestens sieben Millionen Syrern aus dem Ausland, bei denen es sich überwiegend um Sunniten handelt.

 

Der neue Nahe Osten hat sich einmal mehr gewandelt. Die Verhandlungen zwischen Russland und Israel vor der Eroberung der südwestsyrischen ­Rebellengebiete zeugen deutlich davon, wer hier regional gerade die ehemalige Rolle der USA übernommen hat. »Der israelische Ministerpräsident fährt ­öfter nach Moskau als nach Washington«, brachte es Yousef al-Otaiba, der Botschafter der Vereinigten Arabischen Emirate in den USA, auf den Punkt. »Ich sage das, um auf diese Weise deutlich zu machen, wie anders der Nahe Osten geworden ist.« Benjamin Netanyahu reist nach Moskau, um Bedingungen auszuhandeln – etwa den Abstand, den iranisch kontrollierte Truppen und die Hizbollah vom Golan zu halten haben –, an denen sich dann US-Präsident Donald Trump bei seinen Gesprächen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin orientiert.

Die Rolle der USA und deren Interessen bleiben unter Trump so widersprüchlich wie dubios und schwer durchschaubar. Der US-Präsident droht dem Iran polternd per Twitter, doch die Pläne der Machthaber in Teheran werden durch den US-amerikanischen Rückzug gefördert. Das iranische ­Regime hat mehrfach betont, dass es nicht gedenkt, sich aus Syrien zurück­zuziehen, was auch immer Israel und Russland aushandeln. »Die Region ­erlebt eine fundamentale Veränderung der Machtverhältnisse«, dozierte der Hizbollah-Funktionär Ali Damush Mitte Juli. »Die USA haben begonnen, ihre Niederlage in Syrien zu akzeptieren.«

Schiitische Milizionäre und iranische Soldaten kann man schließlich auch in syrische Uniformen stecken. Selbst der US-amerikanische Geheimdienstkoordinator Daniel Coats hat jüngst auf der Sicherheitskonferenz in Aspen die Einschätzung vertreten, Russland habe weder den Willen noch die Möglichkeit, dem iranischen Einfluss in Syrien etwas entgegenzusetzen. In Israel hat man auf die neue Lage pragmatisch reagiert. Wichtig wird beim Abkommen mit Russland vor allem gewesen sein, dass die russische Luftabwehr Angriffen auf die ­Hizbollah auch weiterhin nicht im Weg steht. Die israelische Luftwaffe kann den iranischen Vormarsch bremsen, die Iraner aber nicht aus Syrien ver­treiben. Wie weit die durchaus zynische israelische Realpolitik wirklich trägt, ist eine offene Frage.

Mit der Aufgabe des syrischen Südwestens haben die USA deutlich ­gemacht, wohin trotz aller widersprüchlichen Wendungen die Syrien-Politik der Regierung Trumps als Nächstes führen dürfte: zum Rückzug auch aus dem Osten des Landes, wo sich die ­kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF) ohne Unterstützung der USA gegen die stärkeren Kriegsparteien nicht halten könnte. Soweit bisher bekannt, könnte ein zukünftiges russisch-US-amerikanisches Abkommen über Syrien schlichtweg die Übergabe der SDF an Russland und Assad sowie den Rückzug der rund 2 000 US-Soldaten aus dem Norden Syriens vorsehen.

Auch die Zukunft der mit über drei Millionen Flüchtlingen völlig überbevölkerten Region um Idlib im Norden des Landes ist ungewiss. Hier herrschen Islamisten unter dem Schutz der ­türkischen Armee in einer Art neoosmanischem Protektorat. Erobern ließe sich dieses Gebiet kaum, zumal die Frage wäre, was das Regime in Damaskus mit den vielen überwiegend sunnitischen Flüchtlingen anfangen soll, die man ja zuvor aus anderen Landesteilen vertrieben hat. Ein erstes unheilvolles Zeichen haben die USA auch hier ­gesetzt, indem sie im März die Zahlung von 200 Millionen Dollar zur Finan­zierung von 150 syrischen NGOs in Idlib plötzlich aussetzten. Die Ersparnis für die USA ist gering, der Zusammenbruch dieser Hilfsinfrastruktur aber spielt den Islamisten in die Hände, an die sich die Menschen nun wenden müssen. »Jeder von uns, der in den vergangenen Jahren in die Syrien-Politik involviert waren, muss in den Spiegel schauen und das Scheitern erkennen«, sagte Tony Blinken, der unter US-Präsident Barack Obama stellvertretender Außenminister war. »Wir haben versagt. Und das Versagen geht weiter. Das Leiden geht weiter.«