Der Protest gegen das geplante nordrhein-westfälische Polizeigesetz ist groß

Ein Gesetz droht

Ein ungewöhnliches Bündnis organisierte am Wochenende eine Demonstration in Düsseldorf gegen das geplante nordrhein-westfälische Polizeigesetz. Bis zu 18 000 Menschen folgten dem Aufruf.

Kurz bevor die Demonstration sich dem Düsseldorfer Landtag nähert, schallt es durch die Anlage des Lautsprecherwagens: »18 000 Demons­trantinnen und Demonstranten sind heute gegen das neue Polizeigesetz ­unterwegs.« Das Bündnis »Nein zum neuen Polizeigesetz« hatte in den ­Wochen zuvor deutliche Kritik am Gesetzentwurf des nordrhein-westfälischen Innenministers Herbert Reul (CDU) geübt. Dessen Vorhaben hatte so unterschiedliche Gruppen wie die linksradikale Kampagne »Nationalismus ist keine Alternative«, die Partei »Bündnis 90/Die Grünen« und verfeindete Ultragruppen aus Düsseldorf und Köln dazu veranlasst, sich in dem Bündnis zusammenzuschließen.

Vor dem Düsseldorfer Landtag erzählt Paul, ein Mitglied der sozialistischen Jugendorganisation »Die Falken«, von einem Erlebnis auf dem Weg zum G20-Gipfel. Ein Bus der Falken, der Mitglieder mehrerer Jugendorganisationen an Bord hatte, wurde von der Polizei angehalten. »Wir wurden für fünf Stunden festgehalten und in die Gefangenensammelstelle verfrachtet«, sagt Paul. Die Polizei habe die Festgenommenen keinen Anwalt kontaktieren lassen. »Was das mit dem ­Polizeigesetz zu tun hat?« fragt er rhetorisch. »Mit dem neuen Polizeigesetz wäre so etwas legal. Stadtverbote und Hausarreste könnte es geben, ohne dass wir irgendwas geplant oder gemacht haben«, sagt er.

Der junge Mann spielt dabei auf eine Änderung im Polizeigesetz an, mit der der Begriff der »drohenden Gefahr« eingeführt werden soll. Für die Insassen eines solchen Busses könnte in Zukunft bereits die Planung der Anreise eine bis zu vier Wochen lange Ingewahrsamnahme nach sich ziehen, sähe die Polizei eine »drohende Gefahr«.

»Ein Rechtsbegriff, der nach Meinung diverser Juristen völlig unbeschrieben ist«, sagt Frank Nobis, der zweite Vorsitzende der Strafverteidigervereinigung Nordrhein-Westfalens, der ebenfalls an der Demonstration teilnimmt. In Roben tragen die Juristen ein Transparent, »Rechtsstaat verteidigen« ist darauf zu lesen. »Es sind viele rechtsstaatswidrige Dinge, die im Gesetz ­stehen, aber insbesondere die Ausweitung der Ingewahrsamnahme auf bis zu einen Monat und den Begriff der ›drohenden Gefahr‹ kritisieren wir«, sagt Nobis. Der Strafverteidiger führt weiter aus: »Laut Europäischer Menschenrechtskonvention ist präventiver Gewahrsam nur möglich, wenn begründeter Anlass besteht, dass dieser zur Verhütung einer ›konkreten und spezifischen Straftat‹ erforderlich ist.« Nicht zulässig hingegen sei Freiheitsentzug aus präventiven Gründen wegen potentieller Gefahren ohne Bezug zu einer Straftat, so Nobis. Damit verstoße das neue Polizeigesetz gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, die in Deutschland geltendes Recht ist.

 

Das geplante Gesetz hat auch zahlreiche Fußballfans zum Demonstrieren veranlasst. Vier große und verfeindete Fanszenen aus Düsseldorf, Köln, Dortmund und Gelsenkirchen nehmen an ihr teil. »Kontaktverbot? Ich bin doch kein Kind«, steht auf einem Transparent der Dortmunder Ultras. Auf einem anderen ist eine Botschaft an den Landesinnenminister auf Kölsch zu ­lesen: »Ey Reul, bliev locker.« Stellvertretend spricht Julian, ein Vertreter der linken Gruppe »Dissidenti Ultra«, in der Innenstadt vor den Demons­tranten: Polizeigewalt seien viele Fans bereits gewohnt. »Das erwartet uns demnächst nicht nur mit Knüppeln und Pfefferspray, sondern auch in Form von Tasern«, so Julian. Tritt das neue Gesetz in Kraft, sollen die Taser zunächst getestet und dann auch im Polizeialltag eingeführt werden. »Das Ende der Fahnenstange ist damit aber noch lange nicht erreicht«, sagt Julian weiter. Schon in der Vergangenheit seien größere Überwachungsmaßnahmen zunächst an Fußballfans erprobt worden, etwa mit der Datei »Gewalttäter Sport«. In ihr werden seit 1994 ­Daten von Fußballfans gesammelt, gespeichert und herangezogen, etwa um bundesweite Stadionverbote zu verhängen.

Der Gesetzentwurf sieht eine deutliche Ausweitung von Überwachungsmaßnahmen vor. Die Verwendung eines »Staatstrojaners« und die Über­wachung von Kommunikationsgeräten wie Smartphones und Laptops sollen der Polizei präventiv, also ohne Straftat oder Verdacht auf eine solche, ermöglicht werden. Der Strafverteidigervereinigung zufolge wären das geheimdienstliche Befugnisse – was die nach dem Nationalsozialismus eingeführte Trennung von Polizei und Geheimdienst aufheben würde. Julian, der Redner der Ultras, befürchtet, dass solche polizeilichen Maßnahmen zuerst an Fußballfans erprobt werden könnten.

Die Föderation demokratischer Arbeitervereine (DIDF), eine türkisch-kurdische Migrantenorganisation, verweist in diesem Zusammenhang auf die Vorgänge in Köln in der Silvesternacht 2016. »Hunderte Menschen wurden als ›Nafris‹ (interne Arbeitsbezeichnung der Polizei Nordrhein-Westfalen für »Nordafrikanischer Intensivtäter«, Anm. d. Red.) kriminalisiert und stundenlang am Kölner Hauptbahnhof festgesetzt«, so die Or­ganisation. Sie kritisiert die geplante Einführung der »strategischen Fahndung«, mit der das sogenannte Racial Profiling, also Kontrollen anhand äußerer Merkmale wie etwa der Hautfarbe, ­systematisch möglich wäre. Die »strategische Fahndung« würde es der Po­lizei ermöglichen, ohne Verdacht Menschen anzuhalten, ihre Personalien zu überprüfen sowie Fahrzeuge und Taschen zu durchsuchen. Sie müsste nur von einer Polizeibehörde, jedoch nicht von einem Richter schriftlich genehmigt werden. Unter anderem sollen so Personen ausfindig gemacht werden, die sich unerlaubt in Deutschland aufhalten. »Rassistische Kontrollen ge­hören verboten, auch jetzt schon«, fordert die DIDF deshalb.