Die CSU will mit Politik gegen Flüchtlinge Stimmen sammeln

Untertöne für Untertanen

Isolieren, denunzieren, abschieben – die geplante Kasernierung von Flüchtlingen untergräbt deren Grundrechte. Die CSU erhofft sich freilich genau davon den Sieg bei der Landtagswahl in Bayern.

Es ist ein Vorhaben von höchster Priorität. Im Herbst sollen die ersten von CDU, CSU und SPD im Koalitionsvertrag vereinbarten sogenannten Ankerzentren eröffnet werden. »Anker« ist dabei ein Akronym und steht für »Ankunft, Entscheidung, Rückführung« – da klingt die »strategische Topmanagement-­Beratung auf höchstem Niveau« der Unternehmensberatung McKinsey durch, die auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in ­Anspruch nimmt. Es bedeutet: Bis zu 1 500 Geflüchtete pro Zentrum sollen für die gesamte Dauer ihrer Antragsprüfung kaserniert werden. Erst mit positivem Asylbescheid erfolgt die Verteilung auf Städte und Gemeinden. Wer keinen solchen erhält, wird direkt abgeschoben. Diese schnelle und vor ­­allem der Wahrnehmung der Öffentlichkeit entzogene Abschiebung ist das Hauptziel der neuen, hochgesicherten Lagerhaft, die sich »Bleibepflicht« nennt. Außerdem sollen hier alle zuständigen Behörden unter einem Dach arbeiten und so die Verfahren beschleunigen. Je nach »Bleibeperspek­tive« sind dennoch Aufenthalte bis zu 24 Monate möglich.

Wer wissen möchte, wie es in den Ankerzentren aussehen wird, dem sei ein Besuch in der »Aufnahmeeinrichtung Oberfranken« (AEO) in Bamberg oder im »Transitzentrum« Manching bei Ingolstadt empfohlen. Beide funktionieren bereits weitgehend nach dem angestrebten Prinzip. Die Zustände dort sind für die Flüchtlinge verheerend. Die Bewohner sind mit verschärfter Residenzpflicht hinter Stacheldraht isoliert, von Teilhabe am gesellschaftlichen ­Leben und Bildungsmöglichkeiten ausgeschlossen. Türen können nicht abgeschlossen werden, die Zimmer werden regelmäßig vom Sicherheitsdienst durchsucht, und um der gesetzlichen Schulpflicht für Kinder Genüge zu tun, gibt es reduzierte Unterrichtseinheiten direkt im Lager.

Schon in der vorherigen Großen Koalition hatte die CSU auf gesicherte ­Massenunterkünfte als Generallösung gesetzt. Damals scheiterte sie noch am Widerstand der SPD. Nun, da die Ankerzentren auf Bundesebene Regierungswille sind, ist Widerstand in den Ländern gefragt. Und tatsächlich arti­kuliert sich hier und dort vorsichtig Unmut. So wundern sich etwa Mit­arbeiter der Aufnahmestelle im saarländischen Städtchen Lebach laut über die Ankündigung ihres Ministerpräsidenten Tobias Hans (CDU), in der Pilotphase mitzuwirken. Selbst als 2015 bis zu 5 000 Flüchtlinge in Zelten kampieren mussten, habe man sich stets auf die Akzeptanz der Menschen im Ort verlassen können. Es gibt dort weder Zäune noch Kontrollen – und keinen Bedarf an einer Veränderung des Systems.

600 Kilometer weiter östlich hält Sachsens Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) die Pläne ihrer Landes­regierung gar für eine Gefährdung der inneren Sicherheit. Man müsse darauf achten, Bundes- oder Landespolizisten »in solchen selbst geschaffenen Gefährdungspunkten nicht zu verheizen«. Ähnlich sieht es Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU): Die Kapazität von 1 000 bis 1 500 Bewohnern sei »zu hoch, da es bei ­dieser Größe viel Konfliktpotential geben könnte«.

Horst Seehofer hat mit dem Thema Ankerzentren vor allem eines klargestellt: Wer CSU wählt, wählt Abschiebung.

In solchen Kritiken schwingt stets ein hässlicher Unterton mit. Schließlich ist auch die AfD der Ansicht, dass die neuen Massenunterkünfte »den Frieden in der Region gefährden« könnten und plädiert deshalb dafür, sie ins Ausland oder wenigstens in unmittelbare Grenzlage zu verlegen. Und weil weiterhin die Devise gilt, die AfD sei nur zu besiegen, indem man ihre Themen übernimmt, traut sich kaum ein Landespolitiker neben Sicherheitsaspekten auch den »massiven Eingriff in die Grund- und Menschenrechte« zu kritisieren, den die Landesflüchtlingsräte in den Ankerzentren sehen.

 

Nur aus der CSU gibt es keine Untertöne mehr. Begeistert von der eigenen Regierungspotenz pöbelt man in zünftiger Offenheit fröhlich vor sich hin. Etwa beim Beispiel Ellwangen, wo sich Migranten mit einem jungen Mann aus Togo solidarisierten und kurzfristig dessen Festnahme verhinderten. Der 23jährige sollte nach der Dublin-Verordnung, also ohne inhaltliche Prüfung seines Asylantrags, nach Italien überstellt werden. Dort leben nach Angaben von »Ärzte ohne Grenzen« bereits ­Tausende wohnungslose Flüchtlinge unter widrigsten Bedingungen am Rande der Gesellschaft. »Unser Protest war bestimmt, aber zu jedem Zeitpunkt friedlich«, sagten die ungehorsamen Mitbewohner in Ellwangen anschließend. Für Bundesinnen- und -heimatminister Horst Seehofer (CSU) war es dennoch ein »Schlag ins Gesicht der rechtstreuen Bevölkerung«. Dass diese prompt zurückschlug, indem sie dem Rechtsanwalt des jungen Togoers Morddrohungen schickte, wurde indes von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt übertönt, der eine veritable ­Verschwörung herbeifantasierte: »Die Antiabschiebeindustrie nutzt die Mittel des Rechtsstaates, um ihn durch eine bewusst herbeigeführte Überlastung von innen heraus zu bekämpfen.« ­Tatsächlich dürfte eher das Gegenteil der Fall sein, denn viele Negativbescheide des BAMF scheinen weniger der Rechtslage als politischem Druck zu folgen. Anders ist kaum zu erklären, dass 2017 rund 44 Prozent der Verfahren ­gegen BAMF-Bescheide zugunsten der Asylsuchenden ausgingen. Wie hoch wohl die Fehlerquote in den neuen Ankerzentren sein wird? Man wird es vielleicht nie erfahren.

Schließlich soll die Isolation der Asylsuchenden auch die Rechtsberatung erschweren, während zugleich die zivilgesellschaftlichen Helfer der einst von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ausgerufenen Willkommenskultur mit immer neuen Abschreckungsmaßnahmen traktiert werden. Wie im Fall einer Gießener Gruppe von Flüchtlingspaten, die vom Jobcenter für den Unterhalt ihrer Schützlinge zur Kasse gebeten werden.

Mit den Ankerzentren soll derartiges solidarisches Handeln von vornherein unterbunden werden. Unklar ist noch, wer die Lager sichern und kontrollieren soll. Seehofer sieht diese Aufgabe bei der Bundespolizei. Deren Interessenvertretungen sind gar nicht begeistert von der Idee. »Mit uns nicht«, sagte beispielsweise Jörg Radek, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), die ein zehnseitiges Protestschreiben an die Bundestagsfrak­tionen von CDU/CSU, SPD, Linkspartei und Grünen verschickte. Unter anderem heißt es darin, die Ankerzentren seien mit dem deutschen Recht unvereinbar. Eine »Haft ohne richter­lichen Vorbehalt« verstoße gegen Artikel 104 des Grundgesetzes. Auch bringe die »Internierung oder Freiheitsent­ziehung« letztlich keine schnelleren Asylentscheidungen. Davon abgesehen wolle man nicht zur »Lagerpolizei« werden, so Radek.

Seehofer dürften solche Einwände einerlei sein. Er hat mit dem Thema Ankerzentren vor allem eines klargestellt: Wer CSU wählt, wählt Abschiebung. Das freut den deutschen Untertan: Dem jüngsten »ARD-Deutschlandttrend« zufolge hat der CSU-Vorsitzende bei der Zufriedenheit der Wählerschaft im Vergleich zum März zwölf Prozentpunkte hinzugewonnen und liegt nun bei satten 47 Prozent. Angst machen, Stimmen fischen, denunzieren. Rechts von der CSU die Wand. Die nächste Wahl steht an.