In Köln streiten Anwohner und Stadtplaner wegen des Mahnmals für den NSU-Anschlag in der Keupstraße

Erinnern am richtigen Platz

Reportage Von Dennis Pesch

In Köln soll ein Mahnmal entstehen, das an den Bombenanschlag des »Nationalsozialistischen Untergrunds« in der Keupstraße erinnert. Betroffene, Anwohner, Grundstücksbesitzer und die Stadt Köln streiten allerdings über den genauen Standort.

Wer an der Straßenbahnhaltestelle aussteigt, wird von einem großen Schild begrüßt: »Willkommen in der Keupstraße«. Auf einem Abschnitt von 500 Metern führen überwiegend Menschen mit Migrationsgeschichte 118 ­Geschäfte, vom Obst- und Gemüseladen, der Hochzeitsausstatterin über Döner­lokale bis hin zum Elektrogeschäft. ­Eigentlich beginnt die Straße an einem Seniorenzentrum. Der Abschnitt, der meist gemeint ist, wenn von der Keupstraße die Rede ist, beginnt an der Ecke zur Schanzenstraße.

Zurzeit steht dort noch der ehemalige Güterbahnhof, der abgerissen werden und zwei großen fünfstöckigen Häusern Platz machen soll. Das Grundstück und die Bebauungspläne sind für die Zukunft der Keupstraße von immenser Bedeutung. Im Februar 2014 wurde beschlossen, dass in der Straße ein Mahnmal für die Opfer des NSU entstehen soll. Es folgte ein städtebauliches Werkstattverfahren der Stadt Köln, in dem Experten und Teile der Öffentlichkeit zusammenkamen, um über die ­Architektur der geplanten Gebäude zu entscheiden.

Ein Architekturbüro lieferte einen Vorschlag, der mit einem Preis ausgezeichnet wurde. In dem ­Verfahren ging es auch um einen möglichen Standort für das Mahnmal. Im Dezember 2015 beschloss der Kölner Stadtrat, einen Wettbewerb mit zehn Künstlern zu veranstalten, die einen Gedenkort in der Keupstraße entwerfen sollten. Die Bewohner der Straße hingegen waren anfänglich eher ­skeptisch, ob ein Mahnmal überhaupt errichtet werden sollte.

Mitat Özdemir hat nicht nur diese Entwicklung begleitet. Er ist hier eine bekannte Persönlichkeit. Wer mit ihm über die Keupstraße läuft, merkt das: Özdemir wird ständig aufgehalten, schüttelt dauernd Hände, hält einen kurzen Plausch hier, erledigt ein Telefonat da. Seit 52 Jahren lebt er in Deutschland. Mit 18 Jahren kam er nach Köln, lernte Deutsch, machte Abitur, studierte Maschinenbau, arbeitete in Fabriken und als Ingenieur.

»Dann habe ich mich, wie viele andere Türken damals, selbständig gemacht. So kam ich Anfang der achtziger Jahre in die Keupstraße.« Auch vom Rassismus kann Özdemir erzählen: »In den achtziger und neun­ziger Jahren als Migrant aus der Türkei eine Wohnung in Köln zu finden, war sehr schwer.« In der Keupstraße standen damals viele Wohnungen leer, kurz ­zuvor hatte eine Kabelfabrik mit 18 000 Arbeitern ihren Standort in Köln aufgegeben. »Trotzdem wollten viele Eigentümer Wohnungen vor allem nicht an Türken vermieten«, sagt Özdemir. Wegen der ausbleibenden Einnahmen hätten sie dann doch Türken als Mieter akzeptiert. »So kamen sehr viele türkische Migranten in die Keupstraße. Die Vermieter haben gedacht, wir gehen wieder, aber wir sind geblieben. Pech gehabt«, witzelt er trocken. Die Entwicklung von Mitte der achtziger Jahre bis 2003 sei gut verlaufen, auch wirtschaftlich. Dann habe der NSU den Nagelbombenanschlag verübt und alles habe sich verändert.

Mit einer App sollen Besucher des Mahnmals virtuelle Wände sehen, auf denen wiederum Filme über den NSU-Komplex und Alltagsrassismus informieren sollen.

 

Ein »Ort der Begegnung«

Özdemir engagierte sich mit großem Einsatz für das Mahnmal. Nach der Selbstenttarnung des NSU im November 2011 entstand die Initiative »Keup­straße ist überall«, der er immer noch angehört. »Wir dachten uns, es muss nachhaltig etwas geschehen«, sagt er rückblickend. So sei die Idee zu einem Mahnmal aufgekommen. Am Anfang hätten viele Menschen in der Keup­straße das Vorhaben abgelehnt. »Ich musste mit ihnen kämpfen und erklären, warum das wichtig ist. Aber mir war auch wichtig zu wissen, warum sie dagegen sind«, so Özdemir. Eine Geschichte sei besonders prägend ­gewesen: Ein Geschäftsmann habe sich Sorgen um ihn gemacht, weil er in der ­Öffentlichkeit den allgegenwärtigen Rassismus beklagte. Nach einigem Nachdenken habe Özdemir dann festgestellt: »Die meisten wollen ein Mahnmal, aber einige haben Angst.«

Özdemir war zwischen 2004 und 2011 Vorsitzender der Interessengemeinschaft (IG) Keupstraße, eines ­Zusammenschlusses mehrheitlich von Geschäftsinhabern. Mittlerweile ist Meral Sahin die Vorsitzende. Sie betreibt ein Geschäft für Brautmode und steht häufig in der Öffentlichkeit, wenn es ­darum geht, Interessen der Gewerbe­treibenden in der Keupstraße zu ver­treten. Sie sagt, die anfängliche Skepsis habe auch dem noch nicht bekannten Aussehen des Mahnmals gegolten. »Die Vorstellung war, dass es wie eine Art Stolperstein sein würde, der nicht als Kunstobjekt wahrgenommen wird.« Erst die Zusammenarbeit mit dem ­NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln und die eigenen Ideen hätten den unbedingten Willen der Anwohner hervorgebracht, ein Mahnmal in der Keupstraße zu bauen. Dass die Straße nicht ständig mit dem Nagelbombenanschlag in Verbindung gebracht werden sollte, sei ein weiterer Einwand ­gewesen. »Die Keupstraße ist Leben – wenn man es zu schätzen weiß«, so ­Sahin.

So besonders die Keupstraße selbst ist, so besonders war auch der Wett­bewerb um den Entwurf des Mahnmals. »Es waren zehn Künstler, die wir auch unbedingt hier kennenlernen wollten«, sagt Sahin. Schließlich setzte sich der Berliner Ulf Aminde durch. Die Vorgaben verwirklichte er so bravourös, dass sich die Jury einstimmig für seinen Vorschlag aussprach. »Es sollte nicht nur Kunst sein, sondern etwas, dass in die Zukunft arbeitet«, fasst Sahin zusammen.

Aminde steht in engem Austausch sowohl mit der Initiative »Keupstraße ist überall« als auch mit der IG Keupstraße, die beide die Betroffenen des Nagelbombenanschlags unterstützen und vertreten. »Wenn hier ein Haus ­angegriffen wird, dann bauen wir einfach ein zweites«, sagt er über seine Idee für das Mahnmal. Seinem Entwurf zufolge soll der Grundriss des Gebäudes, vor dem die Bombe explodierte, in der Originalgröße von rund 26 Metern Länge und sechs Metern Breite mit einer Betonplatte in der Keupstraße, Ecke Schanzenstraße, nachgebildet werden. Die abstrakte Form steht nach Amindes Aussage für ein noch zu errichtendes Haus. Mit einer App sollen Besucher des Mahnmals dann die virtuellen Wände des Hauses sehen, auf denen wiederum Filme über den NSU-Komplex und Alltagsrassismus informieren sollen. Der Gedenkort soll sich mit der Zeit verändern und so zur Mitgestaltung einladen. Auf diese Weise möchte Aminde den Auftrag erfüllen, einen »Ort der Begegnung« zu schaffen.

Von Begegnung war nach dem 9. Juni 2004 keinesfalls die Rede. Viele Be­wohner erfuhren in den Monaten und Jahren nach dem Anschlag vor einem Friseursalon, was es bedeutet, einem urdeutschen Phänomen ausgesetzt zu sein: Rassismus. Nach dem Attentat, bei dem 22 Menschen teils schwer verletzt worden waren, vermuteten viele Anwohner schnell, dass es sich um einen rassistischen, rechtsterroristischen Angriff gehandelt haben könnte. Bis zur Selbstenttarnung des NSU ­hörten die Behörden und Medien ihnen allerdings nicht zu. »Die Bombe nach der Bombe«, so nennen Betroffene und Bewohner die sieben Jahre zwischen dem Anschlag und der Selbstenttarnung, in denen sie verdächtigt, stigmatisiert und in manchen Fällen auch traumatisiert wurden.

Auch ein wirtschaftlicher Absturz sei gefolgt, erinnert sich Özdemir: »Nach der Bombe war es monatelang still auf der Straße. Die Miete, die Angestellten und auch unser eigenes Leben mussten wir trotzdem finanzieren. Wir lagen am Boden und hatten auch Angst vor weiteren Bomben.« Er habe sein Vertrauen in die Gesellschaft verloren. Doch nicht nur wirtschaftlich sei es schwer gewesen. »Auch das lebendige Gefühl in der Straße wurde gestoppt. Sieben Jahre lang hat man uns beschuldigt, wir seien kriminell. Das war sieben Jahre lang die Hölle.« Özdemir versuchte 2006 als Vorsitzender der IG Keupstraße, mit Nachbarn, Vereinen, Behörden und der Politik in Kontakt zu kommen – jedoch vergeblich. Selbst 14 Jahre ­später habe sich an seiner Wut über diese Zeit nach dem Anschlag nur ­wenig geändert. »Der einzige Trost war damals, dass hier niemand getötet worden war«, sagt er.

 

Die Atmosphäre ist bedroht

Nun drohen der Keupstraße möglicherweise erneut schwierige Zeiten. Denn der Bau des Mahnmals ist zwar beschlossen, doch der Standort und damit auch die Zukunft der Straße sind ungewiss. Dabei spielt der Ort, der von den Anwohnern in der Keupstraße gewünscht ist, eine entscheidende Rolle. Im Vorschlag von Künstler Aminde ist vorgesehen, dass die große Bodenplatte an die Keupstraße, Ecke Schanzenstraße, gesetzt wird. So würde ein öffentlicher Platz entstehen, der die Besucher in die Straße und zur Kommunikation einlädt. »Die Keupstraße soll ein Teil des Mahnmals sein und die Anwohner ­sollen mitbekommen, wenn die Leute hierhin gehen«, sagt Sahin. Auch ­Özdemir wünscht sich das Mahnmal direkt am Eingang der Keupstraße: »Da ist ein Platz – so erträume ich mir das – für meine Enkel und Urenkel, die sich irgendwann dorthin setzen und informieren.«

Für die Eigentümer des Grundstücks hingegen kommt das nicht in Frage. Bernd Odenthal ist einer von ihnen und vertritt die Eigentümer öffentlich. Sie stünden dem Denkmal positiv gegenüber, »auch wenn dies von einigen ­Beteiligten hartnäckig anders dargestellt wird«, sagt er. In den Entstehungsprozess seien die Eigentümer nicht eingebunden worden. »Wir wurden Anfang 2017, bei der Vorstellung des ­Ergebnisses und des Standorts, vor vollendete Tatsachen gestellt«, kritisiert Odenthal. Das wiederum bestreiten die IG Keupstraße und die Initiative »Keupstraße ist überall«: Seit dem Beschluss im Kölner Stadtrat im Februar 2014 habe Odenthal von den Plänen gewusst.

Anwohner der Keupstraße kritisieren den städtischen Bebauungsplan vor allem wegen der geplanten Gebäude, die den Zugang zur Straße abschneiden würden.

Diese Aussage wird vom Sachstandsbericht der Stadt Köln vom März 2018 bestätigt. Aus ihm geht hervor, dass die Eigentümergemeinschaft die architektonischen Vorschläge des öffentlichen Werkstattverfahrens von eigenen ­Architekten überarbeiten ließ. In dem Verfahren suchte die Stadt Köln nach ­einer städtebaulichen Lösung für den ehemaligen Güterbahnhof Köln-­Mülheim, der zwischen dem Stadtteil Mülheim, der Keupstraße und der Schanzenstraße liegt. Im Werkstattverfahren wurde das Mahnmal nicht an der Ecke Schanzenstraße eingeplant, sondern in einem Boulevard zwischen den zwei geplanten Gebäuden.

Odenthals Architekt stellte im Oktober 2017 seine Überarbeitung vor, in der das Mahnmal an die Straßenbahnhaltestelle verlegt wird. Obwohl der Platz auf dem Boulevard im Werkstattverfahren seit Dezember 2015 vorgesehen ist, sagt Odenthal, er habe dies bislang nur »vertraulich mit einem Beteiligten andiskutiert«.

Anwohner der Keupstraße kritisieren den städtischen Bebauungsplan vor ­allem wegen der geplanten Gebäude, die den Zugang zur Straße abschneiden würden. Özdemir befürchtet neben wirtschaftlichen Nachteilen, dass die lebhafte Atmosphäre, die seit 2011 allmählich in die Keupstraße zurück­kehrte, wieder verschwindet. Der Mahnmalkünstler Aminde formulierte es auf einer Podiumsdiskussion Ende März noch drastischer: »Das ist eine geschlossene Wohnungsfront.« Der Besucherstrom würde durch sie von der Keupstraße weggelenkt.

Am wahrscheinlichsten scheint derzeit eine Variante zu sein, die die ­Kölner Stadtverwaltung mittlerweile einbrachte. Demnach sollen die Fassaden der Neubauten fünf Meter weiter zurückgesetzt werden als ursprünglich geplant, das Mahnmal soll im Boulevard zwischen den Gebäuden bleiben, aber bis an die Straße reichen. Wirklich zufrieden sind mit dem Plan jedoch weder die Eigentümer des Grundstücks noch die Vertreter der Anwohner. »Du hast keinen Kontakt zur Keupstraße, wenn du dort stehst«, sagt Sahin. »Wir wollen die Begegnung schaffen, es wird auf dem Boulevard nur eine Betonplatte sein, die Funktion wird kaum ersichtlich und dem Anspruch des Mahnmals überhaupt nicht gerecht.« Aminde sieht in der Variante hingegen auch Potential, allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen. »Es muss eine gute Sichtachse zur Keupstraße gewähr­leistet sein. Es wäre möglich, diese Ausgrenzung der Keupstraße zu überwinden. Das wäre dann wie ein Stachel im Fleisch«, sagt er. Die Hoffnung, dass das Mahnmal trotzdem noch an der Ecke Schanzenstraße gebaut wird, hegen die Anwohner jedoch weiterhin.