In Frankreich streiken die Eisenbahner, aber auch in Bildungseinrichtungen erhebt sich Protest

Schleppende Dynamik

Die Streiks bei der französischen Bahn und eine studentische Bewegung kommen nur schwer in Gang. Nach einer gewalttätigen Attacke in Montpellier spitzt sich die Lage an den Universitäten zu.

In Frankreich ist die Protestsaison eröffnet. An einem Aktionstag am Donnerstag voriger Woche nahmen öffentlich Bedienstete, Eisenbahner und Studierende aus je eigenen Motiven teil. In ganz Frankreich waren gut 200 000 Menschen auf der Straße. Das ist nicht besonders viel, doch örtlich waren die Demonstrationen teils gut besucht. Aus dem südfranzösischen Draguignan etwa erfuhr die Jungle World, es handele sich um die stärkste Protestdemonstration seit rund zehn Jahren. In Paris kam es zu Auseinandersetzungen zwischen dem autonomen Block und der Polizei.

Vor allem für die Eisenbahner steht einiges auf dem Spiel. Eine im Januar angekündigte, am 20. Februar im Kabinett beschlossene Reform soll die öffentlich-rechtliche Bahngesellschaft SNCF in eine Aktiengesellschaft umwandeln. Das Personalstatut der Eisenbahner, das bislang Laufbahn- und Gehaltsgarantien enthält, soll für alle neu eingestellten Beschäftigten durch privatrechtliche Arbeitsverträge mit mehr oder minder frei verhandelbarem Inhalt ersetzt werden. Zudem planen die Regierung sowie die SNCF-Direktion, 9 000 Streckenkilometer Bahn als »wirtschaftlich unrentabel« stillzulegen. Viele Regionen würden dadurch vom Schienennetz abgeschnitten.

 

In der Universität Montpellier-1 attackierten ein Dutzend vermummter, mit Knüppeln, Brettern und Elektroschockern bewaffneter Männer rund 50 Studierende.


Bei der französischen Eisenbahn gibt es vier als repräsentativ anerkannte Gewerkschaften – das entspricht im deutschen Recht ungefähr der Tariffähigkeit. Nur mühsam konnten sich diese nach zwei Treffen Ende Februar sowie am 15. März auf ein gemeinsames Vorgehen einigen – und dabei handelt es sich derzeit nur um einen Formelkompromiss. Die von bürgerlicher Seite als moderat eingestuften Branchengewerkschaften der Dachverbände CFDT und Unsa befürworten eine »Mobilisierung« der Beschäftigten, nennen jedoch keine genauen Modalitäten und sind gegen allzu kämpferische Streikvorhaben. Die linke Basisgewerkschaft SUD Rail (SUD Schienenverkehr) fordert einen unbefristeten Streik, genauer gesagt eine grève reconductible, einen Arbeitskampf, über dessen Fortführung alle 24 Stunden in Vollversammlungen an den Arbeitsplätzen entschieden wird. Diese Streikform fürchtet die Regierung am meisten, sie führte etwa beim großen SNCF-Streik 1995 zum Erfolg. Zwischen beiden Positionen steht die CGT, deren Branchenverband bei der Eisenbahn innerhalb ihres Dachverbands auf dem Gewerkschaftstag 2016 gegen radikale Positionen opponierte. Beim Arbeitskampf der Bahn 2016 war es dieser Branchenverband der CGT, der die eher merkwürdige Streikform eines Stop and go-Streiks von 48 Stunden pro Woche durchsetzte – mit jeweiliger Wiederaufnahme des Verkehrs nach zwei vorab festgelegten Streiktagen.

Etwas Ähnliches beschlossen die beteiligten Gewerkschaften auch dieses Mal. Gemäß den Entscheidungen vom 15. März soll nun – nach dem ersten Aktionstag mit Demonstrationen am Donnerstag vergangener Woche – von Anfang April bis Ende Juni wöchentlich für zwei Tage gestreikt, dann für je fünf Tage die Arbeit wiederaufgenommen, dann wieder für jeweils zwei Tage gestreikt werden. Die Termine sind bis zum 27. und 28. Juni geplant. Das Ganze bleibt für die Gegenseite vorhersehbar und verhindert vor allem, dass die Beschäftigten statt der Gewerkschaftsvorstände über das Streikgeschehen entscheiden.

Neben dem offiziellen Streikkalender der vier Gewerkschaften hat jedoch die SUD Rail am Freitag vergangener Woche in ihrem eigenen Namen eine Streikvorwarnung auch für die »Tage dazwischen« hinterlegt. Diese Streikwarnung gilt ab dem 2. April und sorgt dafür, dass auch Beschäftigte rechtlich abgesichert sind, die nach der offiziellen Wiederaufnahme der Arbeit weiterhin streiken.

Es könnte also doch noch eine Eigendynamik in dem Streik geben. Einige örtliche CGT-Gruppen geben an, dass sie sich in der Praxis auf die Streikwarnung der konkurrierenden Gewerkschaft SUD Rail berufen könnten.

Neben Beschäftigten anderer Bereiche des öffentlichen Dienstes, die sich unter anderem gegen die Einführung eines Karenztags, eines unbezahlten Krankheitstags und gegen Personalmängel in Krankenhäusern und Pflege wehren, geraten derzeit auch Teile der Studierendenschaft in Bewegung. Es geht um die Einführung von Aufnahmehürden für Universitäten, die bislang nach bestandenem Abitur jedenfalls im ersten Studienjahr für alle zugänglich waren.

Auf nationaler Ebene gab es erstmals im Januar Demonstrationen dazu, die zunächst relativ schwach besucht waren; eine Bewegung kommt bislang nur schleppend in Gang. Örtlich hat die Streikbewegung der Studierenden jedoch begonnen, Fuß zu fassen. In Montpellier besetzten mehrere Hundert von ihnen am vorigen Donnerstagabend voriger Woche nach einer Vollversammlung zum Streik einen Hörsaal.

Gegen null Uhr in der Nacht zum Freitag attackierten ein Dutzend vermummter, mit Knüppeln, von Nägeln durchsetzten Brettern und Elektroschockern bewaffneter Männer die rund 50 besetzenden Studierenden und vertrieben sie aus den Räumen. Sicherheitspersonal soll ihnen applaudiert haben. Mehrere Studierende wurden ernsthaft verletzt. Der Dekan der – an der Universität Montpellier-1 mit soliden reaktionären Traditionen ausgestatteten – juristischen Fakultät, Philippe Pétel, soll ihnen Zugang zum Hörsaal verschafft sowie ihnen applaudiert haben. Dies gab etwa der Augenzeuge »Octave« der Tageszeitung Libération zu Protokoll. In einem Interview hatte Pétel selbst angegeben, seine anständigen Jurastudierenden seien es, die sich gegen die Besetzung »gewehrt« hätten, und er sei »klar stolz« auf diese seine Studierenden. Als Eindringlinge stellte er nicht die Schläger dar, die mutmaßlich aus dem Umfeld der gewalttätigen und vor allem aus Studierenden bestehenden Organisation Groupe Union Défense (GUD) stammen, sondern die »fakultätsfremden« Studierenden von der sozialwissenschaftlichen Universität Montpelliers. Auch wollte er explizit »nicht ausgeschlossen (wissen), dass ein Lehrer der Hochschule« sich unter den Angreifern befunden habe. Am Samstag musste er zurücktreten. Das Dekanat der Gesamtuniversität hat Strafanzeige gegen die Angreifer erstattet.

Studierende aus dem nordfranzösischen Lille riefen unterdessen, auch wegen der Vorfälle in Montpellier, für Mittwoch zu einem landesweiten studentischen Aktionstag auf. An der Fakultät Tolbiac, einer Außenstelle der Sorbonne, stimmte eine studentische Vollversammlung mit 700 Personen am Montag früh für einen Streik mit Besetzung.

Ferner plant die CGT, alle laufenden sozialen Protestbewegungen zu einer Zentraldemonstration am 19. April aufzurufen. Am Montag erklärte jedoch Force Ouvrière (FO), der drittstärkste gewerkschaftliche Dachverband in Frankreich, er sehe »keinerlei Grund«, daran teilzunehmen. Er hatte sich seit 1995 an der Mehrzahl der Streikbewegungen beteiligt, ist jedoch wegen wechselnder Interessen seines Apparats oft unberechenbar.

Die gewerkschaftliche Spaltung vertieft sich derzeit tendenziell. Zwar könnte es zu einigen inhaltlichen Klärungen in den Gewerkschaften kommen, dennoch ist dieser Zustand ein Hemmnis für die Ausweitung der Proteste.