Ägyptens Präsident Abd al-Fattah al-Sisi regiert mit eiserner Hand

Al-Sisi, der Alternativlose

Seit dem Sturz seines Vorgängers, des Muslimbruders Mohammed Mursi, regiert Ägyptens Präsident Abd al-Fattah al-Sisi das Land extrem repressiv. Nun strebt er eine zweite Amtszeit an.

Die Entscheidung zur Rückgabe der Leichen fiel nur wenige Tage vor der Präsidentenwahl. Man werde die sterblichen Überreste der 21 Kopten, die 2015 von Kämpfern der Terrorgruppe »Islamischer Staat« (IS) an der Mittelmeer­küste geköpft wurden, bald an Ägypten übergeben, teilte der libysche Generalstaatsanwalt Mitte März mit. Darauf hatte die ägyptische Regierung lange gedrungen, nicht zuletzt, um die christliche Wählerschaft zu besänftigen. Denn die vom IS im Internet per Video verbreitete Hinrichtung der in orangefarbene Kutten eingehüllten Kopten am Strand von Sirte hatte vor drei Jahren einen Schock in der koptischen Bevölkerung ausgelöst.

Die Symbolik der Rückgabe der Leichen ist deutlich: Die Führung um Präsident Abd al-Fattah al-Sisi will damit ­beweisen, dass sie bis zum letzten Atemzug um alle von Terroristen getöteten Ägypter kämpft. Der Kampf gegen den Terror spielt für den einstigen Ober­befehlshaber der ägyptischen Streitkräfte, der fünf Jahre nach dem Sturz des Muslimbruders Mohammed Mursi und vier Jahre nach seinem Einzug in den Präsidentenpalast bei den Wahlen vom 26. bis 28. März ein zweites Mal für das höchste Staatsamt kandidiert, die entscheidende Rolle bei der Legitimierung seiner repressiven Politik. Die Ermordung der koptischen Gastarbeiter an der libyschen Küste bildete dabei ein Schlüsselereignis: Unmittelbar ­danach wies al-Sisi die Luftwaffe an, Stellungen von Jihadistenmilizen im Nachbarland zu bombardieren.

Seitdem hat der 63 Jahre alte Machthaber den Krieg gegen bewaffnete ­Islamisten in Ägypten wie in der Region ausgeweitet. Seite an Seite mit Russland und den Vereinigten Arabischen Emiraten, die bereits 2014 Stellungen in Bengasi angriffen, unterstützt er in Libyen die Kräfte um General Khalifa Haftar. Vor der Küste Jemens ist die ägyptische Marine seit 2015 im Einsatz, um Waffenlieferungen an die vom Iran unterstützten Houthi-Milizen zu verhindern, im Bündnis mit Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain.

Gemeinsam mit den autoritären Golfmonarchien setzte al-Sisi im vergangenen Sommer auch den Boykott gegen Katar durch – mit dem Ziel, die Unterstützung von Terrorgruppen durch das reiche Emirat zu unterbinden. Die ­konterrevolutionäre Achse versucht, die bis 2011 herrschende Ordnung in Nahost und Nordafrika wiederherzustellen – unter undemokratischen ­Vorzeichen, ohne völkerrechtliches Mandat. Dass es Katar trifft, hat einen einfachen Grund: Der Staat beherbergt mit Al Jazeera jenen Fernsehsender, der dem Aufstand gegen al-Sisis Vorvorgänger Hosni Mubarak 2011 medial den ­Boden bereitete. Wie die Türkei unter ­Recep Tayyip Erdoğan unterstützte ­Hamad bin Khalifa al-Thani, der Vater des heutigen Emirs Tamim bin Hamad al-Thani, die Regierung Mursi zwischen 2012 und 2013.

Ohne die Milliardentransfers und Gaslieferungen aus Katar wäre Ägypten vielleicht bereits damals bankrott gewesen. Nach dem Sturz Mursis im Juli 2013 übernahmen die Emirate, Kuweit und Saudi-Arabien die Rolle der groß­zügigen Finanziers des mit fast 100 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichsten arabischen Staats: Mehr als 30 Milliarden Dollar an Hilfszahlungen und Krediten flossen seitdem an ­Ägypten.

 

Zehntausende politische Gefangene sind neben dem Antiterrorkampf zum prägenden Merkmal der Herrschaft al-Sisis geworden.

 

Doch in die Knie gezwungen hat die konterrevolutionäre Achse Katar bislang nicht, im Gegenteil. Denn was für das vom saudischen Kronprinzen ­Mohammed bin Salman und dessen Entsprechung in Abu Dhabi, Mohammed bin Zayed, geführte Bündnis auf der arabischen Halbinsel gilt, gilt auch für Ägypten. Weil die Antiterrorkoalition in ihrem Kampf gegen islamistische Milizen allein auf militärische Mittel setzt, ist der Krieg gegen die stetig wachsende Zahl an Kämpfern nicht zu gewinnen. Mehr als 1 000 Tote haben Ägyptens Streitkräfte seit 2013 auf der Sinai-Halbinsel zu beklagen – gefallen im Kampf gegen die Terrorgruppe Wilayat Sina’ (Provinz Sinai), die sich 2014 dem Islamischen Staat anschloss; bis dahin hatte sie Ansar Beit al-Maqdis geheißen.

Wilayat Sina’ und verbündeten Terrorgruppen ist es seit dem Sturz Mursis 2013 gelungen, große Gebiete in der Grenzregion zu Israel im Nordosten des sozial und politisch von der Regierung im Stich gelassenen Sinais unter ihre Kontrolle zu bringen. Das Ziel ist es, nach dem Verlust der IS-Hochburgen im Irak und Syrien den Sinai zum neuen Rückzugsgebiet aufzubauen. Das belegt auch ein »Flammen des Krieges II« betiteltes Video des zum IS gehörenden Al Hayat Media Center, veröffentlicht nur wenige Tage nach dem verheerenden Angriff auf eine Moschee in al-Rawda im Nordsinai mit 311 Toten im vergangenen November. Nach dem Anschlag wies al-Sisi die Ordnungskräfte an, »mit aller brutalen Gewalt«, vorzugehen, um das Gebiet wieder ­unter Kontrolle zu bringen. Bislang jedoch vergebens, wie die im Februar ­begonnen »Operation Sinai« mit mehr als 35 000 Soldaten zeigt.

 

 

 

Schon seit dem Putsch gegen Mursi versucht al-Sisi erfolglos den jihadistischen Aufstand auf dem Sinai gewaltsam niederzuschlagen. Doch statt ­Konsequenzen aus dem Scheitern seiner Antiterrorstrategie zu ziehen, weitet er die Verfolgung mutmaßlicher islamistischer Kämpfer und das Bombardement von Wohngebieten im verarmten Grenzgebiet zum Gaza-Streifen und ­Israel immer weiter aus. Überraschend ist das nicht. 45 Jahre stand al-Sisi in Diensten des Militärs, Eliteausbildung an Militärschulen in Großbritannien und den USA inklusive. Hinzu kamen Jahre als Militärattaché in Riad sowie in Spitzenpositionen auf dem Sinai.
Nüchterne Statistik belegt das staatliche Versagen, die Zahl der Angriffe auf Polizisten und Soldaten im Nordsinai stieg von elf pro Monat im Jahr 2014 auf zuletzt 32. Doch die Kumpanei westlicher Regierungen mit seinem Regime ermöglicht es al-Sisi, sein Image als vermeintlich einzige Alternative zu den Jihadisten weiter zu pflegen – trotz der Unfähigkeit offizieller Stellen, religiöse Minderheiten zu schützen, trotz des anhaltenden Abbaus rechtsstaatlicher Verfahren.

Wie ein roter Faden zieht sich die Ausweitung der Repression durch die postrevolutionäre Phase, die mit dem Sturz Mubaraks im Februar 2011 begann. Dass dieser im März 2017 vor Gericht von dem Vorwurf freigesprochen ­wurde, für die Tötung von Regimegegnern während der Revolution verantwortlich gewesen zu sein, markierte deshalb nicht nur symbolisch den Sieg des tiefen Staats über die zersplitterte Aufstandsbewegung. Die reaktionäre Justiz, Armee, Polizei und die Geheimdienste verfügen inzwischen über noch mehr Macht als unter Mubarak. Al-Sisi selbst verkörpert dieses Bündnis wie kein Zweiter. Noch unter dem heute 89jährigen ehemaligen Machthaber war er zum Leiter des militärischen Nachrichtendienstes ernannt worden, Mursi beförderte ihn 2012 dann zum Oberbefehlshaber der ägyptischen Streitkräfte.

Neben dem Sicherheitsapparat standen al-Sisi bei Mursis Sturz ein Jahr später die religiösen Spitzen von al-Azhar-Moschee und koptischer Kirche zur Seite. Zehntausende politische Gefangene sind neben dem Antiterrorkampf zum prägenden Merkmal der Herrschaft al-Sisis geworden. Hinzu kommt das lautlose Verschwindenlassen von Dissidenten – auch wenn das von offizieller Seite geleugnet wird. Der UN-Ausschuss gegen Folter kam 2017 zu dem »unausweichlichen Schluss«, dass »Folter in Ägypten eine systematische Praxis ist«. Der Minister für ­Parlamentsangelegenheiten, Omar Marwan, hingegen behauptete noch Mitte März, lediglich in 72 Fällen sei seit 2014 auf Polizeiwachen Gewalt angewendet worden, und das auch nur, weil Inhaftierte auszubrechen versucht hätten.

Wie sehr die Staatsspitze ein neues Aufbegehren fürchtet, zeigt sich daran, dass langjährigen Elitenangehörigen wie Sami Anan und Ahmed Shafik nicht erlaubt wurde, bei der Präsidentenwahl anzutreten. Anan war einst Leiter des Generalstabs unter al-Sisi, Shafik unterlag 2012 bei den ersten freien Präsidentenwahlen dem später wegen Spionage und Landesverrats zu 45 Jahren Haft verurteilten Mursi. Sie stehen für vieles, sicherlich aber nicht für eine Fortsetzung des Kampfes, den die inhaftierten, getöteten oder ins Exil gezwungenen Angehörigen der Protestbewegung 2011 mit ihrer Forderung nach Brot, Freiheit und sozialer Gerechtigkeit begonnen hatten.