Die »paneruopäische« Bewegung DiEM25 will eine Partei werden

Total transnational

In Berlin diskutierten Mitglieder des »Democracy in Europe Move­ment 2025« über neue Modelle von Demokratie und Strategien für eine Revolutionierung Europas.

Lorenzo Marsili hat ein klares Ziel. Für den Mai 2019 strebt er nichts Geringeres als eine »politische Revolution« an. Ein möglichst breites Bündnis »linker, grüner, progressiver, kommunistischer und postkommunistischer Kräfte« müsse die dann stattfindenen Europawahlen »hacken« und das Europaparlament auf ähnliche Weise zur Verkündung einer neuen Vision für Europa nutzen, wie es Nigel Farage für die »nationalistische Internationale« vorgemacht habe.

Vorerst kann Marsili, ein Mittdrei­ßiger aus Italien, der in London Philosophie studiert hat, seine Vision eines sozial gerechten Europas offener Grenzen nur den etwa 40 Teilnehmenden eines Workshops an der Technischen Universität Berlin mitteilen. Hier haben sich zwischen dem 9. und 11. Februar anlässlich des zweiten Jahrestags der Gründung des »Democracy in Europe Movement 2025«, besser – falls überhaupt – bekannt unter dem Kürzel DiEM25, etwa 80 Personen aus zumeist europäischen Ländern zu einem internationalen Treffen eingefunden. Den Einzug ins Europaparlament beschreibt Marsili als eines der wichtigsten Etappenziele für DiEM25 auf dem Weg zu einer radikalen Umgestaltung der EU. Er hofft, dem gegenwärtigen nationalistischen Trend mit einer europaweiten Linkswende zu begegnen. Das klinge zwar »völlig verrückt«, aber angesichts der globalen Bedrohung durch den Klimawandel und ökonomische Krisen sei eine solche Wende absolut notwendig.

Wie zunächst einmal der Einzug ins Europaparlament erreicht werden soll, wird während des Workshops heiß diskutiert. Mit welchen linken Parteien in Europa kann man zusammenarbeiten? Besteht die Gefahr, die europäische Linke ungewollt zu fragmentieren, statt sie zu vereinen? Klar ist, so Marsili, dass es »rote Linien« geben müsse. Dazu gehöre neben einer grundsätzlich ­kapitalismuskritischen Einstellung auch ein klares Bekenntnis zum Verbleib der Mitgliedstaaten in der EU.

Auf Sahra Wagenknecht, Oskar Lafontaine und die »nationale Linke« ist Masilis Mitstreiter, der Kroate Srećko Horvat, gar nicht gut zu sprechen. Wie Marsili ist auch Horvat Philosoph, Mitte 30 und hört sich ebenso wie der Erst­genannte offensichtlich gerne selbst reden und Marx zitieren. Vor zwei Jahren hat er gemeinsam mit dem ehe­maligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis DiEM25 gegründet. In Griechenland plant Varoufakis, DiEM25 in Konkurrenz zu Syriza bei Wahlen als Partei antreten zu lassen, in manchen anderen Ländern gibt es hingegen bereits eine enge Kooperation mit linken Parteien. Die deutsche Linkspartei ist in der Haltung zu DiEM25 gespalten.

 

Lorenzo Marsili hofft, dem gegen­wärtigen nationalistsichen Trend mit einer europaweiten Linkswende zu begegnen.

 

Bei der Gründung der Organisation schwebte Varoufakis und Horvat eine transnationale Alternative zu den nationalstaatlich organisierten linken Parteien vor. Horvat redet davon, das »unfertige« politische Projekt Europa neu zu erfinden und bei Wahlen auf europäischer Ebene neue Wählergruppen zu erschließen. Seine Hoffnungen liegen nicht zuletzt bei einem internationalen, oft prekär beschäftigen, aber gut ausgebildeten »neuen urbanen Proletariat«, das durch die europäische Rechtsentwicklung viel zu verlieren habe und oft an seinem Wohnort weder an den nationalen Wahlen teilnehmen noch zur Wahl antreten dürfe.

Anders als im Vorjahr ist Varoufakis dieses Jahr nicht zum Jahrestag der Organisationsgründung in Berlin erschienen – ebenso wenig wie die übrigen DiEM-Mitglieder und -Berater mit Rang und Namen, von denen die Organsiation et­liche vorweisen kann. Dazu zählen der Linguist und Autor Noam Chomsky, der Philosoph Slavoj Žižek, der Filmemacher Ken Loach und die Autorin Naomi Klein. Dass der Wikileaks-Gründer Julian Assange nicht erscheinen würde, war ohnehin klar. Etwa die Hälfte der verschiedenen Führungsgre­mien der Organisation besteht aus einem Who’s who des internationalen Anti-Establishment-Establishments. Die andere Hälfte besteht aus weniger bekannten, meist deutlich jüngeren Personen wie Horvat und Marsili, die ­gemeinsam mit Varoufakis zum zwölfköpfigen Coordinate Collective (CC) ­gehören. Wie eine Art Zentralkomitee thront es an der Spitze der Organisa­tionsstruktur.

Die Basis ist hingegen in den »DiEM25 Spontaneous Collectives« organsiert. Im organisationsinternen Jargon spricht man von DSC, was genau genommen schon eine doppelte Abkürzung ist, eine Abkürzung (»DiEM25«) innerhalb der Abkürzung. Überhaupt hat die Organisation einen auffälligen Hang zur Verwendung von allerlei Kürzeln: In Ländern mit vielen DSC existieren sogenannte National Collectives (NC), die die Arbeit der DSC koordinieren. Über 100 DSC gibt es inzwischen weltweit, die meisten davon in Europa mit inzwischen, wie die Website von DiEM25 behauptet, etwa 700 000 Mitgliedern. NC gibt es derzeit in Italien, Griechenland, Deutschland, Belgien, Frankreich und Großbritannien.

Insbesondere mit der Mitgliedschaft Assanges haben offenbar an der deutschen Basis einige ein Problem. Ein Mitglied des Berliner DSC sagt der Jungle World: »Ich finde ihn wegen seines ungeklärten Verhältnisses zur russischen Regierung und der gegen ihn erhobenen Vergewaltigunsgvorwürfe politisch untragbar.« Assange stehe aber in den Augen vieler Mitglieder für den »Transparenzgedanken«, der neben einer ­antinationalstaatlichen und kapitalismuskritischen Ausrichtung bei der Gründung von DiEM25 prägend gewesen sei. Besonders starke Kritik an ­Assange gebe es im Leipziger DSC.

Wie groß die Bedeutung Assanges für DiEM25 noch heute ist, zeigt die ­Besetzung der zentralen Paneldiskussion zum Thema »Strukturen der Zukunft« nach Marsilis Workshop. Neben Horvat und Marsili nehmen auch Assanges guatemaltekische Anwältin Renata Avila und die Kölner Theaterregisseurin Angela Richter daran teil. Richter hat zahlreiche Artikel sowie ein Theaterstück über Assange verfasst und ihn häufig in London und Ecuador besucht. Über Assange seien, so Richter, »viele falsche Informationen im Umlauf«. Avila ist ebenfalls Mitglied des CC und stellt sich in Berlin als eine »Arbeitermädchen aus einem fucked-up country« vor, die innerhalb der Orga­nisation dafür sorgen will, »dass es eine wirklich internationale Bewegung ist«, die sich auch gegen die »Fixierung auf die USA« richtet. Die Revolution werde, so Avila, »nicht in Europa stattfinden«.

Passend zu Avilas Wunsch nach einer Orientierung an Vorbildern außerhalb Europas und der USA eröffnete Meral Çiçek das Abschlusspanel mit einer Rede über »demokratischen Konföderalismus in Nordsyrien«. Die gebürtige Kölnerin ist vor ­einigen Jahren nach Erbil im Nordirak ausgewandert. Dort gründete sie eine NGO, das Kurdish Center of Women’s Affairs, deren Direktorin sie nun ist. »Rojava«, sagt sie, »ist ein Modell für Demokratie und Frauenbefreiung im Nahen Osten.« Und nicht nur dort, pflichtet ihr Marsili bei. Rojava habe auch jüngst eine Bewegung basisdemokratischer Stadtteilversammlungen in Neapel inspiriert, die vorbildhaft für DiEM25 sei.

In Neapel wird am 10. März ein Treffen der Partei der Europäischen Linken (EL) stattfinden. Zu diesem Zusammenschluss gehören neben der deutschen Linkspartei auch Syriza, die französische Parti de gauche und die österreichische KPÖ. Im Unterschied zu DiEM25 sei diese Organsiation, so Marsili, »nicht genuin transnational«. Darin bestehe momentan das Alleinstellungsmerkmal seiner Organisation. Von dem Treffen in Neapel erhofft er sich ein klareres Bekenntnis der Mitgliedsparteien zum Verbleib in der Europäischen Union.