Eine Erinnerung an den verstorbenen Sänger von The Fall, Mark E. Smith

Evangelist seiner selbst

Mark E. Smith, der Sänger der britischen Post-Punk-Band The Fall, ist tot. Eine Erinnerung.

Er singt »Tata-tatata-tatatata«. Er tut das wie ein Kind, wenn es ein Lied nachsingt, dessen Text es nicht verstanden hat. Aber er nölt das »Tata«, zieht die A-Laute durch die Nase, das letzte »-ta« spuckt er dann einfach aus, voller Verachtung.

Mark E. Smith, der am Mittwoch vergangener Woche gestorben ist, war ein Poet, wie jetzt überall zu lesen ist. Ja, das stimmt. Er war allerdings auch ein sehr guter Sänger. Ein Sänger, der zwar nicht mit der besten Stimme gesegnet war, jedoch alles aus ihr herausholte, was möglich war. Und damit wagte er mehr als andere, denn er gab sich preis.

Er singt »Hi-de-hi-de-hi-de-ho«, auch dies ein Kinderliedvers, singt nur angedeutet, dann spricht er die Laute unvermittelt zum Ende des Songs aus, ganz langsam, und lässt das letzte »-ho« weg. Zuvor hat er ­sieben Minuten lang die moderne Stadt beschimpft, hat den Werbe­slogan »Chicago now« genommen und ihn gleichsam ausgelutscht vorm Mikrophon, hat das »now« gesäuselt, hat sich diejenigen vorgeknöpft, die immer streben und strebend vergehen: »Work hard / do you try hard? / Dear crew / try hard.« Dann belegt er sie mit einem Fluch: »Hi-de-hi-de-hi-de« – Pause – »Ho«. Dabei spielt er auf Cab Calloways Song »Minnie the Moocher« an – dort sitzt die gutherzige, daher verführbare Minnie am Ende im goldenen Käfig und zählt ihre Millionen, »poor Minnie«. So will man nicht enden.

 

Smith schrie nicht, weil er Gefühle unmittelbar dar­stellen wollte, er schrie, weil das verzerrt, betont, stört. Er war ein menschliches Effektgerät.

 

Dann »Smile« – bei diesem Song, bei diesem Wort, entgleitet Smith die Stimme, geht ins Schrille, überschlägt sich. Dieses Lächeln befremdet. Smith schrie nicht, weil er Gefühle unmittelbar darstellen wollte, er schrie, weil das verzerrt, betont, stört. Er war ein menschliches Effektgerät.

Er jodelte in einem Song fast, nuschelte dort, lallte da, spuckte, stotterte, flüsterte, zischte – auch Wörter, die keine Zischlaute beinhalten –  dann wieder sang er fast klassisch, wenn er »A Day in the Life« von den Beatles mit großem Respekt coverte – sang jedoch auch klassisch, wenn er das eigene Stück »Mountain Energei« sang, etwa die schönen Zeilen »Mr. Blairstowe and Mr. Partridge / They said to me / to get a mortgage / you need an income letter / I thought it was free / Dolly Parton and Lord ­Byron / they said patriotism is the last refuge / but now its me / And water’s flowing down the mountain / but a tree is blocking the water flowing.«
»But now its me.« Ein einfacher, großer Satz.

Mark E. Smith gründete 1976 seine Band The Fall in Manchester, benannt nach dem Roman von Albert Camus (»La Chute«). Eine ganz auf Smith’s Text- und Gesangsarbeit zugeschnittene Band, deren Einfluss auf andere Musikerinnen und Musiker nicht überschätzt werden kann. Sie lieferte verlässlich bis zur letzten Platte 2017, »New Facts Emerge«, ­einen vom Punk infizierten Rock, der Rockisten abstieß, zwischendurch wilden Rockabilly, dann wieder geradezu heiteren Pop, sie machte Ausflüge in die elektronische Musik, veröffentlichte Ballettmusik und nahm so oft »Peel Sessions« für den berühmten britischen Radio-DJ auf wie keine andere Band.

Peel war es auch, der einen Satz über die Band prägte: »They are always different, they are always the same.« Tatsächlich gab es sehr oft ein etwas stumpf aufgenommenes Schlagzeug, einen prägnanten Bass, beide trieben Gitarre und Syn­thesizer voran, ihr Zusammenspiel ergab die Basis eines Songs, die von Smith – wie Liveauftritte zeigten – oft auch improvisierend verändert ­wurden. Im Selbstverständnis des unangefochtenen Bandleaders Smith war The Fall eine normale, halbwegs erfolgreiche britische Pubband, die Rock und Pop spielte, nur dass sie dabei eben nicht normal war.

 

Es gab Auftritte, bei denen es so schien, als wisse der Sänger nicht genau, wo er ist.

 

Über die Band werden eine Menge Klischees verbreitet, fast alle treffen zu. Ja, über 60 Mitglieder hatte die Band, nahezu alle wurden von Smith gefeuert, einige kehrten zurück und wurden wieder entlassen. Viele der Mitglieder wurden vom Sänger körperlich und psychisch malträtiert. Der Drogen- und Alkoholkonsum des Bandleaders war unbeschreiblich. Smith schmähte andere Kolleginnen und Kollegen, seine Schimpftiraden sind legendär. Der Sänger entstammte der leicht verbürgerlichten Arbeiterklasse, sein Hass auf Akademiker war groß, sein Intellekt ebenso. Manche Songtexte sind unverständlich, auch da sie genuschelt vorgetragen wurden und nicht schriftlich veröffentlicht worden sind, und ihr Autor unterstützte Entschlüsselungsversuche grundsätzlich nicht. Seine beiden Gattinnen, die Gitarristin Brix Smith (bis 1989) und die Keyboarderin Elena Poulou (ab 2001), hatten immensen Einfluss auf die Band und brachten ein wenig Ruhe in das Hire-and-Fire-Business ihres Gatten. Safron Pryor, mit der Smith zwischen den beiden Ehen mit den Musikerinnen ver­heiratet war, war nicht wie die beiden anderen Teil der Band, jedoch ­Sekretärin des zur Band gehörigen Cog Sinister Fan Clubs.

Es gab Auftritte, bei denen es so schien, als wisse der Sänger nicht genau, wo er ist. Seinen Einsatz verpasste er dennoch fast nie. Journalistinnen und Journalisten wurden gern versetzt, beschimpft, verblüfft. Smith schmähte England und liebte es zugleich. Zeit seines Lebens war er ein leidenschaftlicher Fußballfan.

Ja, das alles stimmt, es war in allen Nachrufen zu lesen. Doch es erklärt nicht, warum sich Bands wie Gorillaz, Edwyn Collins, Coldcut, Elastica oder Long Fin Killie darum bemühten, Smith als Gastsänger zu bekommen. Unter dem Namen Von ­Südenfed bildeten Mouse on Mars und Mark E. Smith für eine Platte und Tour eine Band. Smiths musikalisches Wissen war enorm, auch wenn er öffentlich selten davon etwas preisgab. Mit The Fall nahm er viele Coverversionen auf, manche waren ironisch gehalten, viele waren es nicht. Smith war durchaus ein Bewunderer, liebte viele Songs, die lange vor The Fall aufgenommen wurden, ihnen gelten viele Anspielungen. »I am Damo Suzuki« etwa, ein Song über den früheren Sänger der Krautrockgruppe Can.

Seine Autobiographie »Renegade. The Lives and Tales of Mark E. Smith«, die er mit Austin Collins verfasste, erschien 2008, sie sollte ­ursprünglich »The Gospel according to Mark E. Smith« heißen, zu Deutsch »Das Evangelium nach Mark E. Smith«. Darin inszenierte er sich als Arbeiter, als Künstler, welcher der Kunst dient, zugleich zeigte er, ohne jede Angeberei, dass er wusste, welchen Stellenwert seine Musik besitzt.

Smith war unangepasst, missgelaunt, aggressiv, misanthropisch, ­zynisch, egoistisch, verletzend, all das auch, weil er verletzlich war, ­erstaunt, unzufrieden. Den Ruhm nahm er hin, nur seinem Werk ­fühlte er sich verpflichtet. Er wolle nicht so wie Nick Cave enden, schrieb er in seiner Autobiographie. Das ist ihm gelungen. Er starb im Alter von 60 Jahren, in dem Ort, in dem er aufwuchs, in Prestwich, unweit von Manchester. Ein Ort, den er hasste und brauchte. Für seine Musik.