Missachtung von Frauenrechten in Pakistan

Islamkonform prügeln

Sogenannte Ehrenmorde sind keine Seltenheit in Pakistan. Die Täter können sich oft einer Verurteilung entziehen. Die Politik setzt sich zögerlich für Frauenrechte ein – währenddessen fordern Islamgelehrte leichte Prügelstrafen für widerspenstige Frauen.

Im stillen Morgengrauen am Donnerstag vergangener Woche wurde der Leichnam der 18jährigen Zeenat Rafik von ihrem 20jährigen Witwer Hassan Khan in der pakistanischen Millionenstadt Lahore begraben. Während vor den Anwesenden das muslimische Totengebet rezitiert wurde, befand sich Zeenats Mutter in Polizeigewahrsam. Der wenige Tage zuvor aus Dubai eingereiste Bruder der Toten ist auf der Flucht. Am Vortag soll die Mutter, vermutlich mit Hilfe männlicher Familienmitglieder, Zeenat im elterlichen Hause zuerst verprügelt, dann aufgehängt und die noch lebende junge Frau mit Kerosin überschüttet und angezündet haben. Sechs Tage zuvor war Zeenat davongelaufen und hatte ihre heimliche Liebe Hassan geheiratet, der aber nicht von ihrer Familie für sie bestimmt worden war. Ihre Verwandten hatten sie mit dem Versprechen zurückgelockt, eine nachträgliche Hochzeitsfeier zu organisieren.
Es ist einer von über 1 000 sogenannten Ehrenmorden pro Jahr im von fast 200 Millionen Menschen bewohnten Pakistan – wobei die Opferzahl auf einer Schätzung der Aurat-Stiftung beruht. Die Dunkelziffer dürfte viel höher sein, denn die Stiftung, die sich für die Stärkung von Frauenrechten einsetzt, zählt nur jene Fälle, über die medial berichtet wurde. Offizielle Statis­tiken über diese Verbrechen existieren nicht.
Selbstverständlich sind solche Morde in Pakistan illegal, den Tätern droht sogar die Todesstrafe, jedoch bietet das Strafrecht durch islamische Elemente wie Blutgeldzahlungen und eine Vergebung durch die Familie des Opfers oft Schlupflöcher, die eine Verurteilung verhindern. In besonders drastischen Fällen, zumal wenn diese größere mediale Aufmerksamkeit oder Proteste erzeugen, greift die Justiz in die Trickkiste, um Ausgleichsoptionen auszuschließen. Ermittelt wird dann unter Anwendung von Antiterrorgesetzen, solche Fälle müssen vor Militärgerichten verhandelt werden. So werden nun beispielsweise 13 Mitglieder einer lokalen Ältestenversammlung (Jirga) in der Stadt Abbottabad, rund 100 Kilometer nördlich der Hauptstadt Islamabad, angeklagt, weil sie gemeinsam die Ermordung der 16jährigen Ambreen Risat im April beschlossen hätten. Das Mädchen soll ­einer Freundin geholfen haben, mit ihrem Freund durchzubrennen. Da das Paar nicht greifbar war, richtete sich die Gewalt gegen Ambreen. Sie wurde entführt, wenig später wurde ihr verkohlter Leichnam in einem ausgebrannten Taxi ­gefunden.
Die Regierung ist zwar nicht untätig, aber Frauenrechte scheinen bei patri­archal geprägten Politikern keine hohe Dringlichkeit zu besitzen. So verwundert es kaum, dass sich das Land im globalen Gender Gap Index 2015 des Weltwirtschaftsforums auf dem vorletzten Platz (144 von 145) befindet. Premierminister Nawaz Sharif von der konservativen Pakistanischen Muslimliga (PML-N) verkündete im Februar nach der Premiere des mit einem Oscar ausgezeichneten Dokumentarfilms über ein Opfer eines versuchten »Ehrenmords« – Sharmeen Obaid-Chinoys »A Girl in the River: The Price of Forgiveness« –, per Gesetzesänderungen die Schlupflöcher bei Ermittlungen wegen Gewalt gegen Frauen zu schließen. Auf nationaler Ebene hat sich seitdem jedoch nicht viel getan. Unter Sharifs jüngerem Bruder Shabaz Sharif, dem Regierungschef der Provinz Punjab, wurde immerhin ein Gesetzespaket auf Provinzebene verabschiedet, das die Rechte von Frauen stärkt und Schutzeinrichtungen fördert.
Gegen diese Reform gibt es vehementen Widerspruch seitens der muslimischen Gelehrten des Landes, vertreten im Konzil der Islamischen Ideologie (CII). Es wurde von Militärdiktator Ayub Khan 1962 geschaffen, um die Gesetze des Landes auf ihre Islam-Konformität zu überprüfen, hat aber nur eine beratende Rolle inne. Das CII bezeichnete die Reform als unislamisch und präsentierte einen Gegenentwurf, der sieben Gebote für Frauen aufstellt und zudem einen dreistufigen Strafenkatalog für uneinsichtige Frauen bis hin zu »leichten Schlägen« umfasst. Vorstellungen, die Zohra Yusuf, die Vorsitzende der unabhängigen Menschenrechtskommission Pakistans (HRCP), als »lächerlich« bezeichnete. Sie forderte die Abschaffung des rückwärtsgewandten Gremiums.
Währenddessen dürften Gewaltanwendungen und Morde innerhalb von Familien weiterhin nur teilweise geahndet werden, zum Leidwesen von Töchtern und Ehefrauen. Männer können dem Zorn der eigenen Familie, wenngleich seltener, ebenfalls zum Opfer fallen, insbesondere im Zusammenhang mit als abweichend wahr­genommener Sexualität. In einer Umfrage im Auftrag des Pew-Forschungszentrums im Jahr 2011 lehnten zwar 46 Prozent der Befragten in Pakistan »Ehrenmorde« an Frauen wegen vorehelichem Sex oder Ehebruch ab, 39 Prozent hielten dies jedoch im Falle von Frauen für meist oder gelegentlich gerechtfertigt, 33 Prozent im Falle von Männern. Natürlich gibt es auch moderne und liberale Familien in Pakistan und die Frauenbewegung verfügt über eine lange Geschichte. Dennoch scheinen sogenannte Ehrenmorde bislang keine breiten Proteste hervorzurufen.