Luisa Ziaja, Julia Edthofer und Eduard Freudmann im Gespräch über die BDS-Kampagne und deren Bedeutung in der Kunstszene

»Eine kritische Position gegenüber Israel gehört zum guten Ton«

Luisa Ziaja, Julia Edthofer und Eduard Freudmann, Initiatoren von »Challenging Double Standards«, über den Einfluss der Boykottbewegung in der Kunstszene, die Rolle Judith Butlers und das Prinzip des neokolonialen Framings.

Wie ist die Initiative »Challenging Double Standards« entstanden?
Eduard Freudmann: CDS ist eine lose selbstorganisierte internationale Gruppe, die sich als Reaktion auf den Text der BDS Arts Coalition formierte. Ziel war es von Anfang an, gemeinsam eine kritische Antwort zu verfassen.
Julia Edthofer: Das war ein sehr langer virtueller Gruppenprozess, der irgendwann glücklicherweise durch Zeitdruck ziemlich abrupt gestoppt wurde, sonst wäre der CDS-Call wahrscheinlich immer noch nicht online.
Welche Reaktionen gibt es auf den offenen Brief?
Eduard Freudmann: Von den Adressaten und Adressatinnen unseres Briefs erreichten uns keine direkten Reaktionen, mit einer Ausnahme, die jedoch umso beachtlicher ist. Ein Kollege, der den BDS-Aufruf als Teil eines Kollektivs unterzeichnet hatte, fand unseren Brief so überzeugend, dass er seinen Namen unter unseren Text setzte. Und auch wenn das nur ein erfreulicher Einzelfall ist, bestätigt er doch eine der Hoffnungen, die am Beginn unserer Initiative standen: Wir hofften, dass zumindest einige der Kollegen und Kolleginnen die BDS Arts Coalition eher reflexartig unterstützt hatten, ohne die Angelegenheit gründlich durchdacht zu haben, dass sie politisch nicht verhärmt und offen für Argumente sein würden. Sie sind die eigentlichen Adressaten und Adressatinnen unseres Briefs. Eine Gruppe namens »Artists for Palestine UK«, die sich im Februar diesen Jahres gegründet hat, veröffentlichte eine Replik auf unseren Brief, die wir wiederum beantworteten. Es gab ein Dutzend Medienberichte, unter anderem ein ausführliches Interview auf Hyperallergic. Alles ist auf unserem Blog versammelt. Unsere Initiative war dezidiert nicht darauf ausgelegt, eine große Anzahl von Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern zu überzeugen. Wir gestalteten die Prozedur zur Unterzeichnung eher höherschwellig und warben nicht für Unterschriften. Umso bemerkenswerter, dass es dann doch so viele geworden sind, ich habe nachgezählt: etwas mehr als 400 – eine solche Resonanz hätten wir nicht erwartet!
Luisa Ziaja: Eben weil unser offener Brief direkt Akteurinnen und Akteure im Kunstfeld anspricht, entschieden wir uns bewusst gegen eine breit angelegte Unterschriftenkampagne, aber doch dafür, gezielt Leute in unseren Netzwerken anzuschreiben. Deren Reaktionen spiegelten die ganze Bandbreite möglicher Positionierungen zu diesem Thema wider. Die positiven Rückmeldungen haben uns darin bestärkt, dass eine differenzierende, sich im politisierten Kunstfeld verortende Kritik sinnvoll ist und in konkreten Situationen als Argumentationsgrundlage dienen kann. So meinte etwa ein Künstler, der vor einigen Jahren aufgrund seiner Beteiligung an einer Ausstellung in Israel angegriffen worden war, dass er damals genau so eine Unterstützung hätte gut gebrauchen können. Mit einer Anti-BDS-Haltung ist man scheinbar ganz schön allein in diesem Feld.
Welche konkreten Punkte waren beim Verfassen der Petition strittig?
Julia Edthofer: Strittig waren auch bei uns zwei Dinge, die aus meiner Sicht generelle Knackpunkte sind: Erstens, wie mit »Israelkritik« umgegangen werden soll und – im Zusammenhang damit – zweitens die politische Position in Bezug auf Boykottaufrufe jenseits von BDS. Das lag daran, dass in unserer Gruppe sehr unterschiedliche Positionen aus unterschiedlichsten – nationalen – Kontexten zusammenkamen. Aus linker israelischer Perspektive steht natürlich mehr das im Vordergrund, was »legitime Kritik am Regierungshandeln« genannt werden kann und weniger deren antisemitische Vereinnahmung, während zum Beispiel die hiesige Perspektive auf letzteres fokussiert – und ja auch nicht zu Unrecht darauf hinweist, dass allein schon der Neologismus »Israelkritik« zeigt, welche überproportionale Fokussierung auf diesem Staat liegt. Gleiches gilt für Boykottdiskussionen: Auch da gab es einerseits die – aus meiner Sicht ebenfalls eher tätergesellschaftlich-postnazistische – Perspektive, die jeden Boykott als Teil des antisemitischen Problems strikt ablehnt. Und auf der anderen Seite wurden in der Gruppe auch Positionen vertreten, die zum Beispiel meinten, ein Boykott von Produkten aus Siedlungen hinter der grünen Linie sei zu unterstützen und gleichzeitig seien die dämonisierenden BDS-Narrative und allumfassende Boykottaufrufe zu kritisieren. Im Endeffekt kam dann ein Kompromiss heraus, was ich gut finde.
Gibt es in anderen nationalen Kunstszenen vergleichbare Initiativen, die sich gegen die Boykottkampagne BDS Arts Coalition wenden?
Eduard Friedmann: Die BDS Arts Coalition positioniert sich im politisierten Bereich der Bildenden Kunst. Das ist eine internationale, aber relativ überschaubare Szene. Entsprechende Gegeninitiativen können meiner Ansicht nach nur international ausgerichtet sein. Außer CDS ist mir in diesem Feld nichts bekannt. In Israel gibt es eine Gruppe von Kuratoren und Kuratorinnen, die sich mit BDS im Kunstfeld befasst, allerdings bezieht sie nicht Stellung gegen BDS. In London gründete sich die Initiative »Boycott the BDS« als Reaktion auf den letztjährigen Boykottaufruf gegen das Jüdische Filmfestival seitens eines Programmkinos. Im Feld der darstellenden Kunst scheinen mir sowohl Boykott­aufrufe als auch Gegeninitiativen sehr viel weiter verbreiteter zu sein als in anderen Kunstfeldern.
Julia Edthofer: Resonanz gab es auch aus anderen Bereichen, vor allem aus den Sozial- und Geisteswissenschaften, zum Beispiel von der Faculty for Academic Freedom, die ebenfalls eine Petition gegen den Boykott veröffentlicht hat. Da kommt aber nicht wirklich heraus, wo sie sich politisch einordnen. Sehr spannend finde ich persönlich die Initiative Third Narrative, die sich aus linker Perspektive kritisch mit Nahostkonflikt-Narrativen auseinandersetzt und zum Beispiel für eine Zweistaatenlösung eintritt.
Warum findet die Boykottkampagne im Bereich des Kunstfelds so große Resonanz? Es gibt keine vergleichbaren Bestrebungen im Bereich der Literatur – dass also ein deutschsprachiger Verlag aufgefordert worden wäre, keine aktuelle hebräische Literatur zu publizieren.
Luisa Ziaja: Ich denke, das hat damit zu tun, dass Israel und Palästina bereits seit vielen Jahren durch Kunstarbeiten und Projekte im politisierten Kunstfeld sehr präsent sind, wobei eine kritische Position gegenüber Israel zum guten Ton zu gehören scheint. Es vergeht kaum eine Biennale, Documenta oder andere internationale Großausstellung, die ja oft eine explizit politisch-emanzipatorische Agenda für sich in Anspruch nehmen, ohne die obligatorischen Arbeiten zu diesem Thema. Verglichen mit anderen politischen Konflikten kann man hier schon von einer deutlichen Überrepräsentation sprechen. Und diese hängt meiner Meinung nach mit der Projektion des israelischen Staats als neokoloniale Supermacht in Teilen der antikapitalistischen Linken zusammen. Wie problematisch diese Projektion gerade im deutschen geschichtspolitischen Kontext ist, hat Oliver Marchart anhand der Documenta 12 und ihrer Normalisierungsstrategie der deutschen Vergangenheit gezeigt. Vor diesem Hintergrund überrascht es also gar nicht, dass Boykottkampagnen wie die der BDS Arts Coalition eine so große Resonanz im Kunstfeld finden.
Julia Edthofer: Für uns war es auch wichtig, zur Diskussion zu stellen, warum BDS eigentlich so ein Selbstläufer ist. Und aus meiner Sicht ist das eigentlich relativ leicht zu erklären: Selbstläufer ist die Kampagne aufgrund einer einfach gestrickten Symbolfunktion. Israel dient als Projektionsfläche für »das neokoloniale Böse« und das erlaubt dann ganz einfache Antworten auf die komplizierte kapitalistische und postkoloniale Welt. Anders ausgedrückt: Die Gründe für diese Resonanz liegen in der strukturell antisemitischen Dimension der BDS-Bewegung, da politische Analyse und Kritik durch ein pseudo-antikoloniales Narrativ ersetzt werden. Das merkt man auch daran, dass Dinge, die nicht ins Bild passen, ausgeblendet werden – wie zum Beispiel der Fakt, dass sich sogar Mahmoud Abbas deutlich gegen BDS ausgesprochen hat. Komplett ignoriert werden auch Positionen wie die des palästinensischen Menschenrechtsaktivisten Bassam Eid, weil er sich mit Menschenrechtsverletzungen von Seiten der Autonomiebehörde beschäftigt – und das will auf der palästinasolidarischen Seite schon mal grundsätzlich niemand hören –, und in Bezug auf BDS wird er ignoriert, weil er darauf hinweist, dass der Boykott ein echtes Problem für Palästinenser und Palästinenserinnen darstellen kann. Zuletzt hat er anhand des prominenten Falls Soda Stream thematisiert, dass das Abwandern des Betriebes aus der umstrittenen Siedlung Ma’ale Adumim die palästinensischen Arbeiter und Arbeiterinnen dort am härtesten trifft. Damit will ich jetzt aber keine Schleichwerbung für die ethnisch differenzierte kapitalistische Ausbeutung von Arbeitskraft in einer Situation struktureller Ungleichheit machen, sondern einfach darauf hinweisen, dass konkrete Lebensrealitäten beziehungsweise Realitäten vor Ort im Allgemeinen im BDS-Kolonial-Narrativ ignoriert werden müssen, damit es funktioniert.
Deshalb kapriziert sich die kritische Kunstszene auf den Staat Israel, nicht etwa auf Iran, Saudi-Arabien, Nordkorea?
Julia Edthofer: Iran, Saudi-Arabien und Nordkorea funktionieren nicht als neokoloniales Symbol, sie werden im Gegenteil eher als »subalterne Nationen« im Kampf gegen den Neokolonialismus konstruiert. Das kam auch recht deutlich bei den Fragen heraus, die wir nach Veröffentlichung unserer Petition vom Online-Kunstmagazin Hyperallergic gestellt bekamen. Da wurden wir gefragt, warum wir nicht auch auf den Iran fokussieren, da der doch ungleich stärker sanktioniert würde. In diesem Narrativ »Böser Westen versus subalterner Rest« ist Israel ja aus bekannten – sprich: strukturell antisemitischen – Gründen eindeutig verortet, und das haben wir in unserer Antwort kritisiert. Dabei haben wir auch gleich drauf hingewiesen, dass eine solche Perspektive nicht nur apolitisch ist, sondern ironischerweise einen paternalistischen Eurozentrismus wiederholt, den sie eigentlich kritisiert – denn die Bevölkerung der umliegenden Staaten sieht das iranische Atomprogramm ja nicht als »antikolonialen Widerstand«, sondern als handfeste Bedrohung durch eine Regionalmacht.
Eduard Freudmann: Wodurch heben sich die politisierten Akteure und Akteurinnen des Kunstfelds von den Hinzes und Kunzes ab? Indem sie politisch denken, handeln und arbeiten. Viele verstehen darunter die unbedingte Notwendigkeit, Position zu beziehen, zu allem und jedem und – in bester internationalistischer Manier – überall. Das ist keine leichte Aufgabe, wenn man sie ernst nimmt. Und so ist es doch erstaunlich, dass Leute, die ansonsten nicht unbedingt zu den Einfältigen zählen, bei Fragen rund um Israel und Palästina oft vorschnell und sehr eindeutig Positionen beziehen. Wir denken aber, dass der Hinweis auf die Komplexität der Situation doch Augen öffnen kann.
Unter dem Label der »Israelkritik« lassen sich antisemitische Ressentiments verbreiten, die ansonsten durch historische und sprachliche Tabus ausgebremst werden. Wo entfaltet sich der Antisemitismus innerhalb der Boykottbewegung?
Julia Edthofer: Zum Teil gibt es eine sehr offen antisemitische Symbolik, zum Beispiel in den Cartoons von Carlos Latuff, sie umfassen eigentlich die ganze Palette, von der Personalisierung des »Zionismus« als das genozidale Böse über NS-Gleichsetzung wie etwa Ariel Sharon als SS-Mann bis hin zur Weltverschwörungskomponente, etwa wenn Sharon oder Netanjahu als Strippenzieher wahlweise der US-Administration oder der Uno porträtiert werden. Das sind aber Extrembeispiele, die nicht permanent auftauchen – und ich denke auch, beziehungsweise hoffe zumindest, dass sicher mehr Leute ins Nachdenken kommen würden, wenn das so wäre. Aber weniger explizite Latuff-Cartoons sind schon fix im symbolischen BDS-Repertoire verankert. Die zweite Ebene ist ganz generell das Kolonial-Framing von Israel, das mitunter auch mit so einem Narrativ einhergeht: Wenn diese letzte genozidale Siedler- und Siedlerinnenkolonie des 21. Jahrhundert erst einmal überwunden – sprich: verschwunden – ist, dann sei auch der Kolonialismus Geschichte. Diese Ebene ist strukturell antisemitisch – auch wenn es sich hier streng genommen weniger um eine falsche Kapitalismusanalyse beziehungsweise -kritik handelt, sondern um einen Teilbereich davon, nämlich um eine falsche Kolonialismuskritik. Damit meine ich jetzt aber nicht, dass jegliche Auseinandersetzung mit Kolonialismus und postkolonialen Kontinuitäten per se strukturell antisemitisch ist, das wäre ein fataler Kurzschluss; sondern ich meine damit, dass es sich in diesem Fall um eine falsche, eine Pseudo-Auseinandersetzung handelt.
Eduard Freudmann: In der BDS-Bewegung gibt es wohl von allem etwas: Antisemitismus, Antizionismus und legitime Kritik an israelischer Politik. Ich finde es nur beschränkt sinnvoll, diese drei miteinander verschränkten Elemente auseinanderdividieren zu wollen. Die Grenzen sind fließend und nur schwer festzumachen, auch weil vielen der Beteiligten einiges daran liegt, dass dem so ist. Ich halte es für wichtiger, den Unterstützern und Unterstützerinnen der BDS Arts Coalition, die sich noch nicht dogmatisch festgefahren haben, aufzuzeigen, dass hier eine höchst komplexe Situation unzulässig vereinfacht wird, dass unangebrachterweise mit zweierlei Maß gemessen wird und dass es fatal ist, Israel als Staat zu delegitimieren. Wenn sie unsere Kritik ernst nehmen und damit auch zeigen, dass ihnen die Sache ernst ist, werden einige von ihnen beim nächsten Mal vielleicht anders handeln.
Antisemitismus und Israelfeindlichkeit finden sich unter Bildungsbürgern und Linken sowie unter jungen Muslimen in Deutschland. Es ist kein exklusiv rechtes Phänomen mehr. Ist die Boykottbewegung ein Spiegelbild dieser gesellschaftlichen Entwicklung?
Julia Edthofer: Aus meiner Sicht schon, insbesondere das Kolonial-Framing halte ich für ziemlich hegemonial, und wie das mit offenem Antisemitismus zusammengeht, wurde bei den Demos letzten Sommer deutlich. Insofern wäre es auch wichtig, das noch mehr zu analysieren und zu kritisieren. Darauf wollen wir mit unserem CDS-Call aufmerksam machen, weil wir der Ansicht sind, dass viele Leute da mitschwimmen, die sich so etwas nicht überlegen, so dass Kritik hier noch etwas bewirken kann.
Luisa Ziaja: Antisemitismus, Bildung und Linkssein haben einander noch nie ausgeschlossen. Im deutschen Kontext sei an den Antizionismus in der Neuen Linken oder an die antisemitischen Ressentiments in der Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts erinnert.
Judith Butler ist eine Protagonistin der BDS-Bewegung und der BDS Arts Coalition. Wie wichtig ist sie für die Kampagne?
Julia Edthofer: Manchmal bin ich mir nicht sicher, ob der Fokus auf Butler für die Kritik der Kampagne nicht auch etwas von einem Selbstläufer hat und ob es nicht besser wäre, stärker inhaltlich und weniger personenzentriert zu diskutieren und zu kritisieren. Vor allem bin ich mir nicht so sicher, ob es überhaupt eine Figur wie Butler braucht, da BDS wie von selbst läuft. Der inhaltliche Teil der BDS Arts Coalition entstand sehr schnell: Sie haben die drei Hauptforderungen von der BDS-Homepage kopiert und einen Text dazu gebastelt, der im Prinzip dazu aufruft, auf der »richtigen Seite der Geschichte« zu stehen – das war’s. Für dieses simple Antiimp-Kolonial-Narrativ braucht niemand den Poststrukturalismus oder eine Judith Butler. Aber andererseits ist klar: Sie produziert eine hippe, queere Variante von dem doch etwas altbackenen antiimperialistischen Antizionismus mit – und das ist natürlich ein Problem.
Ist die Debatte über den Nahost-Konflikt zu einer Bruchstelle in der freien Kunstszene geworden wie etwa in der radikalen Linken und ihren Publikationen, die sich entlang dieser Bruchlinie in zwei Lager teilen?
Luisa Ziaja: Die Konflikte um Israel und Palästina insbesondere im politisierten Kunstfeld nehmen nicht erst seit den Boykottaufrufen eine Sonderstellung ein, die sich beispielsweise an der Omnipräsenz der Themen in Ausstellungen ablesen lässt. Letztlich spiegelt sich die Bandbreite der Debatte auch in künstlerischen Auseinandersetzungen wider, die von differenzierenden Perspektiven bis zu hochproblematischen, weil plakativ-vereinfachenden oder denunziatorischen Darstellungen reichen. In diesem Segment des Kunstfelds scheint mir eine Haltung, die Israel gegenüber grundsätzlich kritisch bis feindlich ist, beinahe schon unhinterfragt hegemonial. Daher trifft auch das Bild von zwei Blöcken, die sich entlang eines Konfliktes teilen, meiner Meinung nach nicht zu. Denn mangels Widerspruchs gibt es bislang nur wenig Konflikte und daher auch keinen Bruch. Mit dem offenen Brief beabsichtigen wir, in die unhinterfragt reflexartigen Pro-BDS-Positionierungen zu intervenieren, deren Motivationen und Effekte zu hinterfragen, Widersprüche herauszuarbeiten, zu versuchen, der Komplexität des Themas gerecht zu werden und aufzuzeigen, dass es keine einfachen Antworten gibt.
Gibt es Pläne, an dem Thema weiterzuarbeiten?
Eduard Freudmann: Ich fände es interessant und reizvoll zu dem Thema künstlerisch zu arbeiten, konkrete Pläne gibt es derzeit aber keine. Als Gruppe werden wir weiterhin in unserem Feld aktiv bleiben und unsere Meinung artikulieren. Es ist davon auszugehen, dass uns das Thema noch länger begleiten wird; ich rechne mit einer Zunahme der Auseinandersetzungen darum. In sehr vielen Ländern steht eine linke Kritik am Antizionismus der internationalistischen Linken noch aus; ich denke, dass sie in den kommenden Jahren formuliert werden wird.
Was will die Petition konkret bewirken?
Julia Edthofer: Da sich unser CDS-Call als Intervention versteht, ist er auch so unvorwurfsvoll wie möglich formuliert – das haben wir übrigens auch lange diskutiert. Ich persönlich will, dass diese Kritik produktiv wird, sprich: gehört wird und im besten Fall etwas verändert. Daher war es mir auch wichtig, keine Abgrenzungspublikation rauszuhauen mit der Message: »Ihr seid alle Antisemiten, die den Staat der Shoah-Überlebenden zerstören wollen und wir sind die israelsolidarischen Guten«. Ich halte das für kontraproduktiv, weil ich der Meinung bin, dass es eher nur die Leute erreicht, die sich das auch schon vorher gedacht haben. Außerdem ist eine solche »Vorwurfs-Kritik« aus meiner Sicht auch stark tätergesellschaftlich geprägt, und das merkt man einfach. Wir wurden von Seiten der Hyperallergic genau mit dieser Zuschreibung konfrontiert: Ihr seid ja alle Deutsche – was nicht unwitzig ist, zumal sich unter den 20 Erstunterzeichnerinnen und -unterzeichnern nur zwei Deutsche befinden. Aber zurück zur Intervention: Das kann man als pädagogisch statt politisch beziehungsweise ideologiekritisch kritisieren, aber ich denke, dass abseits der projektiven Symbolfunktion Israels viele Leute von der BDS-Rhetorik angezogen werden, weil sie in einen Menschenrechtsdiskurs verpackt daherkommt. Das zieht natürlich und ich bin überzeugt, dass viele deshalb mitschwimmen – und weil sie sich noch nie mit der Funktionsweise von Antisemitismus beschäftigt haben. Daher wollen wir genau das starkmachen und hoffen einen Weg gefunden zu haben, der auch wirksam werden kann.
Bedeutet das auch, mit den Akteuren der Kampagne ins Gespräch zu kommen?
Eduard Freudmann: Ja!
Luisa Ziaja: Der offene Brief richtet sich ja zunächst an Kollegen und Kolleginnen, die den Aufruf der BDS Arts Coalition unterstützt haben, versteht sich also ganz konkret als Gesprächsangebot und Diskussionsgrundlage für die weitere Auseinandersetzung jenseits polarisierter Positionierungen. Wie manche der publizierten Reaktionen zeigten, insbesondere die Antwort der »Artists for Palestine UK«, aber auch die tendenziösen Interviewfragen von Hyperallergic, wurden wir trotzdem mit eindeutigen Zuschreibungen bedacht.
Julia Edthofer: Ich würde das Gespräch auch nicht grundsätzlich ablehnen, weil ich »Wir sind die Guten«-Abgrenzungen kontraproduktiv finde. Im österreichischen Fall halte ich es allerdings für sinnlos, weil BDS hier vor allem von Teilen des traditionellen und recht kleinen Antiimp-Spektrums getragen wird, und mit einem Carlos Latuff will ich auch nicht ins Gespräch kommen. Vertrackt an BDS ist jedoch vor allem, dass es wie ein kultureller Code funktioniert und daher in unterschiedlichsten akademischen und künstlerischen Kontexten aufpoppt. Da gäbe es eigentlich schon ein paar Leute, die ich gerne mal interviewen würde, zum Beispiel Ariella Azoulay. Sie ist zwar einerseits BDS-Unterstützerin, will aber definitiv nicht den israelischen Staat abschaffen. Ich hatte nebenbei bemerkt eigentlich auch noch nicht wirklich mit israelischen Linken zu tun, die das ernsthaft wollen – die leben ja schließlich dort. Azoulay hat sich auch mit Allianzen zwischen arabischen und jüdischen Communities in den Jahren vor der israelischen Staatsgründung beschäftigt, die zum Teil antikolonial in dem Sinne waren, dass einfach gemeinsam gegen die Briten gekämpft wurde – und so etwas ist aus meiner Sicht ein wichtiger Beitrag zur Dekonstruktion des Kolonial-Narrativs, das wir kritisieren, also: »Da kamen die bösen Zionisten und besetzten mit Hilfe der UNO das Land«. Aber die Erfahrung zeigt leider, dass die uns wohl nicht wirklich wollen. Auch Hyperallergic wollte sich eigentlich nicht mit unserer Kritik beschäftigen und hat sie auch gleich über so eine Moralschiene entpolitisiert, denn die Interviewfragen, die sie uns nach langer Verzögerung dann im Endeffekt gestellt haben, lassen sich im Grunde folgendermaßen zusammenfassen: »Wie könnt ihr das palästinensische Leid ignorieren? Wart ihr denn überhaupt jemals vor Ort und habt es mit eigenen Augen gesehen?« Darauf haben wir mit einer ironisierenden Mini-Umfrage innerhalb der Gruppe reagiert.

Eduard Freudmann ist Künstler und lebt in Wien.
Luisa Ziaja ist Kunsthistorikerin und Kuratorin im 21er Haus in Wien. Sie ist im Leitungsteam des postgradualen Lehrgangs »ecm – educating/curating/managing« an der Universität für angewandte Kunst und Mitglied von »schnittpunkt. ausstellungstheorie & praxis«.
Julia Edthofer ist Soziologin und lebt in Wien. Sie ist Mitglied der Forschungsgruppe Kritische Migrationsforschung und der Lesegruppe zur Übersetzung postkolonialer Kritik in postnazistische Kontexte.

Das Online-Dokument »Challenging Double Standards« findet sich unter: http://cds-call.tumblr.com