Der Gesetzentwurf zur Cannabis-Legalisierung

Ein großer Wurf mit 30 Gramm

Die Grünen setzen sich mit einem Gesetzentwurf für die Legalisierung von Cannabis ein. Der Vorschlag dürfte jedoch keine Mehrheit im Bundestag finden.

Auf dem Schulhof gemütlich in einer versteckten Ecke stehen und sich, während andere noch ihre ersten Zigaretten rauchen, eine Tüte anstecken – dieses bewährte Ritual jugendlicher Rebellion könnte bald die Aura des Verbotenen verlieren. Denn die Grünen möchten mit dem »Cannabiskontrollgesetz«, über das derzeit im Bundestag verhandelt wird, die Grundlagen für einen legalen Verkauf der Droge schaffen. Damit greift die Partei eines ihrer altbewährten Themen auf – ­eines, das jedoch häufig ignoriert wurde, sobald die Partei irgendwo mitregierte.

Wie der Strafrechtsprofessor Kai Ambos in der Süddeutschen Zeitung konstatiert, plädieren die Grünen in ihrem Gesetzentwurf jedoch nicht für eine vollständige Legalisierung, die Cannabis mit anderen legalen Rauschmitteln wie etwa Alkohol auf eine Stufe stellen würde. Vielmehr soll die derzeit gültige Praxis, die strafrechtliche Verfolgung unter gewissen Bedingungen aufzuheben, einem paternalistischen Kontrollregime weichen. Hierzu einige Beispiele: Die Abgabe soll selbstverständlich nur an Personen über 18 Jahre erfolgen. Daneben beschränkt der Gesetzentwurf die Abgabemenge auf höchstens 30 Gramm. Zudem soll die Droge nur in Fachgeschäften und von Verkäufern abgegeben werden, die eine spezielle Schulung durchlaufen haben und nicht vorbestraft sind. Hinzu soll eine Cannabissteuer von vier bis sechs Euro pro Gramm kommen.
Trotz dieser Beschränkungen nennt Georg Wurth, der Geschäftsführer des Deutschen Hanfverbands und früher selbst bei den Grünen aktiv, die Gesetzesvorlage im Gespräch mit der Jungle World »einen großen Wurf«. In der Tat ist das 69 Seiten umfassende Papier im Gegensatz zu zahlreichen vorangegangenen Absichtserklärungen der erste ernstzunehmende Vorschlag einer deutschen Partei zur Legalisierung der Droge. Mit ihrer Forderung tragen die Grünen gesellschaftlichen Gegebenheiten Rechnung: Trotz polizeilicher Verfolgung ist Cannabis mit etwa 2,3 Millionen Konsumenten die am weitesten verbreitete illegale Droge in Deutschland. Zudem gibt es derzeit weltweit Legalisierungsinitiativen, unter anderem planen 31 US-Bundesstaaten, ihre Regelungen zu lockern. Begleitet wird diese Entwicklung von einer verbesserten Studienlage. Dass Cannabis, wenn auch gerade für Jugendliche nicht harmlos, weitaus weniger gefährlich ist als Alkohol, wurde ohnehin von kaum einem Wissenschaftler bestritten. Seit den neunziger Jahren will sich aber auch kein ernstzunehmender Suchtforscher mehr der Theorie von Cannabis als Einstiegsdroge anschließen. Dagegen gibt es Studien, die in einigen Fällen den medizinischen Nutzen von Hanf belegen.

Dennoch werden in Deutschland bislang jährlich Verfahren gegen etwa 100 000 Konsumenten eingeleitet – mit zweifelhaften Folgen. Denn so werden Zehntausende ansonsten unauffällige Personen kriminalisiert. Obwohl ein Großteil der Verfahren letztlich eingestellt wird, sind die Verdächtigen bis dahin den üblichen polizeilichen Ermittlungen und deren Konsequenzen ausgesetzt. Darunter fallen unter anderem demütigende Leibesvisitationen, die obligatorische Meldung an die Führerscheinstelle, eventuelle Hausdurchsuchungen und die Abnahme von Fingerabdrücken.
An der Zahl der Konsumenten ändert diese Politik freilich nichts. Sie liegt ungefähr auf dem Niveau der Niederlande, wo seit Jahrzehnten eine liberale Cannabispolitik betrieben wird. Dass sich durch strafrechtliche Maßnahmen Einfluss auf das Konsumverhalten nehmen lässt, bezweifeln mittlerweile auch die Ermittlungsbehörden. 2013 erklärten mehr als 120 Rechtsprofessoren in einer Petition die strafrechtliche Drogenprohibition für »gescheitert«. Und selbst bei der Polizei scheint ein nennenswerter Prozentsatz der Beamten den Sinn des eigenen Tuns in Frage zu stellen. So schloss sich der Bund Deutscher Kriminalbeamter der Petition an. Neben der Verfolgung von Drogendelikten bleibe der Polizei kaum noch Zeit, volkswirtschaftlich relevantere Delikte wie etwa Wirtschaftskriminalität ins Visier zu nehmen, heißt es in einer Pressemitteilung des Bundes aus dem vorigen Jahr. Wegen des Legalitätsprinzips muss die Polizei jeden Besitz von Cannabis – auch in geringer Menge – anzeigen. Dieser Aufwand kostet jährlich etwa 1,8 Milliarden Euro und bindet hunderte Stellen. Angesichts dieser Tatsachen wirkt die Rechtslage wie ein Anachronismus.
Über die Erfolgsaussichten der Gesetzesinitiative sollte man sich dennoch keine Illusionen machen. CDU und CSU signalisieren keine Bereitschaft, von ihrer Prohibitionspolitik abzurücken. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler (CSU), kündigte lediglich an, die unter großem bürokratischen Aufwand bereits mögliche medizinische Abgabe von Cannabis erleichtern zu wollen. Die SPD zeigt sich in der Frage der Legalisierung gespalten. Während der Berliner Landesverband ähnlich wie die Grünen eine grundsätzliche Änderung der Drogenpolitik fordert, will die SPD auf Bundesebene bislang nichts von einer Legalisierung wissen. Der stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Karl Lauterbach, sprach sich in der Welt strikt gegen eine Lockerung der Gesetzeslage aus.
Mit einer Mehrheit für das Gesetz sieht es derzeit also schlecht aus. Georg Wurth sieht das Papier aber ohnehin eher als Diskussionsgrundlage, so dass auch noch Zeit für Korrekturen bleibt. Die geplante Besteuerung hält er beispielsweise für etwas zu hoch. Sie könne das Ziel gefährden, den Schwarzmarkt auszutrocknen und die Sicherheit der Konsumenten zu erhöhen. Ebenso kritisiert er, Vorbestrafte vom Verkauf auszuschließen. Denn das würde auch diejenigen treffen, die in der Vergangenheit lediglich wegen Cannabisbesitzes verurteilt wurden.

Wie viel Zeit für Korrekturen bleiben wird, lässt sich schwer vorhersagen. Der Bundesvorsitzende der Grünen, Cem Özdemir, kündigte an, seine Partei wolle das Thema zur Bundestagswahl 2017 erneut aufgreifen. Dass sich die Gesetzeslage ändern wird, sollten die Grünen danach zur Regierung gehören, darf bezweifelt werden. Die Liste der Bundesländer, in denen sie trotz Regierungsverantwortung nichts für eine liberalere Drogenpolitik unternommen haben, ist lang. Vollkommenes Versagen attestiert Wurth den Grünen in Baden-Württemberg, wo weiterhin eine »mittelalterliche Jagd« auf Konsumenten stattfinde.
Obwohl die Partei mit Winfried Kretschmann den Ministerpräsidenten stellt, gilt dort entgegen der Wahlversprechen weiterhin eine Obergrenze von lediglich sechs Gramm, bis zu der ein Staatsanwalt ein Verfahren einstellen darf. Auf diese besonders repressive Politik ist man in dem Bundesland sichtlich stolz. Kretschmanns Innenminister Reinhold Gall (SPD) verkündete jüngst, dass die Zahl der ertappten Konsumenten um 15 Prozent gestiegen sei. Der Grund sei die mit »Nachdruck geführte Bekämpfung«.