Hausbesetzung und Gentrifizierung in Frankfurt

Her mit der Villa

Vor knapp zwei Wochen wurde im Frankfurter Westend kurzzeitig ein leerstehendes Gebäude besetzt. Damit sollte auf die Folgen der Gentrifizierung hingewiesen werden.

Etwa 150 Personen besetzten am 30. November das leerstehende ehemalige Gerichtsgebäude in der Schumannstraße 2 im Frankfurter Stadtteil Westend. Mit der Besetzung wollte die Gruppe »Waste’nd« auf Gentrifizierungsprozesse aufmerksam machen und zugleich auf die Bedeutung von selbstverwalteten Räumen hinweisen. Für die ersten Tage der Besetzung waren Lesekreise, aber auch Workshops zu selbstverwalteten Räumen geplant. Die Besetzung fand unter dem Motto: »Westend, Du Standort, gib’ Villa!« statt. Die Veranstaltungen fielen jedoch aus, die Polizei drohte mit Räumung und die Besetzerinnen und Besetzter verließen freiwillig das Haus.

Nach der Besetzung kam es zu einer spontanen Demonstration, bei der die Polizei nicht gerade zimperlich mit den Teilnehmern umging. Die Demonstration endete im Zwischengeschoss des U-Bahnhofs Hauptwache. Zuvor ließ die Polizei die Station sperren, dadurch wurden unzählige Personen dort eingeschlossen. Während der Schließung wurden mehrere Menschen durch die Polizei verletzt. Augenzeugen berichteten von Faustschlägen und dem Einsatz von Schlagstöcken. Die Demonstrierenden erhielten zudem Platzverweise für die Schumannstraße, die Hauptwache und den Kettenhofweg, wo sich das von der Räumung bedrohte Institut für vergleichende Irrelevanz (Ivi) befindet (Jungle World 43/12). Die Besetzer der Schumannstraße 2 hatten vor, ein soziokulturelles Zentrum nach dessen Vorbild einzurichten. Auch das Motto des Ivi, »Theorie, Praxis, Party«, wurde von ihnen übernommen. Man wollte auf die prekäre Situation des seit 2003 besetzten Gebäudes aufmerksam machen. Die Aktivisten des Ivi solidarisierten sich umgehend mit den Hausbesetzern: »Wir freuen uns, dass wir auch weitere Leute dazu motivieren, sich den Raum und die Zeit für kritische politische Arbeit zu nehmen«, sagt Sarah Schneider vom Ivi. Um den Erhalt des Instituts ist es schlecht bestellt, die Grünen haben die von ihnen angekündigte Unterstützung im Stadtparlament auf unbestimmte Zeit verschoben.
Die neue Besetzung sollte jedoch nicht nur das bedrohte Ivi unterstützen, sondern auch auf die miserable Wohnraumsituation in Frankfurt aufmerksam machen. Wenn derzeit beispielsweise Mieter in Berlin über hohe Mieten klagen, entlockt das vielen in Frankfurt nur ein müdes Lächeln. Die selbsternannte Mainmetropole weist inzwischen die zweithöchsten Mieten in Deutschland auf. Wegen des schnellen Wachstums der Stadt steigen die Mieten weiter, so dass Frankfurt in den nächsten Jahren München als Stadt mit den teuersten Mietpreisen der Republik ablösen könnte. Geringverdiener bekommen diese Entwicklung schon länger zu spüren. In Frankfurt werden immer mehr Sozialwohnungen privatisiert und Immobilienunternehmen wie die Franconofurt AG erwerben günstige Miethäuser, um sie in teure Eigentumswohnungen umzuwandeln. In Frankfurt eine Wohnung ohne Makler zu finden, ist mittlerweile schier unmöglich. Menschen, die in Frankfurt arbeiten oder studieren und eigentlich gerne dort wohnen möchten, sind dazu gezwungen, in Nachbarstädte wie Offenbach zu ziehen, dort sind Wohnungen noch halbwegs bezahlbar. Studierende zahlen in Frankfurt monatlich bis zu 500 Euro für kleine Zimmer in Innenstadtnähe. Die Stadtpolitik fördert dies.

Jedes Viertel, das in der Vergangenheit noch bezahlbaren Wohnraum hatte, scheint mittlerweile über ein Prestigeobjekt zu verfügen. Im Stadtteil Gallus entsteht das Europaviertel, der Bezirk Bockenheim erhält einen Kulturcampus, und durch den Bau des neuen Sitzes der Europäischen Zentralbank im Ostend weitet sich das Bankenviertel bis in den Osten der Stadt aus. Bis vor einigen Jahren war dieses Gebiet noch einiger­maßen verschont von horrenden Mietpreisen. Bei der Gestaltung dieser Prestigeobjekte zeichnet sich ein Muster ab: Zwar beteuern die Planer, es solle auch Wohnraum entstehen, doch dieser steht nicht im Zentrum der Planungen. Die ereignet sich in einer Stadt, in der jede Menge Gebäude leerstehen. Doch während riesige Bürokomplexe leerstehen, werden weitere gebaut. Das ist das Ergebnis des Zusammenwirkens von ­Immobilienspekulation und verfehlter Stadtpolitik.

Auch der Leerstand von Wohnhäusern ist mittlerweile nicht mehr zu übersehen. Bereits im Oktober vorigen Jahres wurde die Villa in der Schumannstraße 60 besetzt, die Räumung fand noch am selben Tag statt. Als nun die Schumannstraße 2 am frühen Nachmittag besetzt wurde, war das Gebäude gegen 19 Uhr wieder so leer wie zuvor.
Dass eine Hausbesetzung in Deutschland nur vier Stunden dauert, war nicht immer normal. Das Frankfurter Westend war bis Mitte des 20. Jahrhunderts eine Wohngegend des Großbürgertums. In der Nachkriegszeit zogen dann auch weniger wohlhabende Menschen ins Viertel. Bis in die sechziger Jahre war der dort bezahlbar. Zugleich entwickelte sich die Stadt jedoch zum Zentrum der deutschen Finanzwirtschaft, das weckte bei Investoren Begehrlichkeiten. Ende der sechziger Jahre wurde mit der Verdrängung von ärmeren Bewohnern des Westends begonnen. Renovierungen und Reparaturen wurden unterlassen, die Wohnhäuser wurden gezielt unbewohnbar gemacht. Unter dieser Wohnsituation litten Ende der sechziger Jahre vor allem die so­genannten Gastarbeiter, die in den maroden Wohnungen untergebracht waren. Innerhalb von vier Jahren verlor das Frankfurter Westend die Hälfte seiner Einwohner, von etwa 40 000 Bewohnern blieben 20 000 übrig. Die verfallenen Wohnhäuser wurden abgerissen, an ihrer Stelle entstanden Bürogebäude. 1970 kam es im Frankfurter Westend zu den ersten Hausbesetzungen in der Geschichte der Bundesrepublik. Im Umfeld dieser neu entstandenen Hausbesetzerszene dürfte Joseph Fischer wohl seine ersten Steine geworfen haben. Wer heute durch das Westend läuft, merkt schnell: Den Kampf gegen die hohen Mieten haben die Spontis verloren. Ironischerweise kann man sich gut vorstellen, dass die früheren Mitglieder der Spontiszene, die längst zum grünen Bildungsbürgertum gehören, immer noch im Westend wohnen. Proportional zu den ­finanziellen Möglichkeiten seiner Bewohner wurde der Stadtteil immer teurer. Bei den Hausbesetzungen in den siebziger Jahren ging es um dieselben Themen wie heute: bezahlbarer Wohnraum, Immobilienspekulation und Selbstverwaltung. Mit dem Unterschied, dass die Stadt Frankfurt in früheren Jahren im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus noch bezahlbaren Wohnraum geschaffen hat. Mittlerweile koalieren die Grünen im Frankfurter Rathaus mit der CDU und liefern einen Vorgeschmack darauf, mit welcher Sozial- und Wohnungsbaupolitik man unter Schwarz-Grün im Bund rechnen könnte. Die Besetzerinnen und Besetzer in Frankfurt haben übrigens inzwischen verstanden, dass von kommunalpolitischer Seite nichts zu erwarten ist. Sie kündigten nach der Besetzung auf der Homepage des Ivi an: »Die nächste Besetzung wird folgen.«