Waseem Haddad im Gespräch über die Rolle der Religion im syrischen Konflikt

»Ich bin nicht so optimistisch.«

Der Krieg in Syrien hat bereits mehr als 26 000 Menschen das Leben gekostet. Über seine religiösen Aspekte sprach die Jungle World mit Waseem Haddad. Der Syrer ist seit März 2009 Assistent am Lehrstuhl für Religionswissenschaft der Evangelischen Fakultät der Universität Wien. Einer der Schwerpunkte seiner Arbeit ist der christlich-muslimische Dialog.

Sie beschäftigen sich schon seit längerem mit den verschiedenen religiösen Gruppen in Syrien. Welche Rolle spielt die konfessionelle Zugehörigkeit der Beteiligten in dem Konflikt?
Der Aufstand in Syrien hat als Volksaufstand angefangen, und zwar gegen Unterdrückung, Korruption und die Verletzung der Menschenwürde. Die Menschen haben Freiheit, Demokratie und ein Ende der Diktatur gefordert. An diesen Protesten haben sich viele Syrerinnen und Syrer unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit beteiligt. Da die Sunniten 75 Prozent der Bevölkerung ausmachen, stellen sie den Großteil der Opposition. Interessanterweise hat das syrische Regime sofort vor konfessionellen Spannungen gewarnt, als der Aufstand angefangen hat. Einige politische und religiöse Institutionen im Westen haben leider denselben Fehler gemacht. Dieser Aufstand hat friedlich angefangen. Das gerät jetzt in Vergessenheit, weil die Gewalt zunimmt, das Regime aber hatte auf die friedlichen Demonstranten geschossen. Die Aufständischen gehören verschiedenen Konfessionen an, aber es gab keine religiösen Motive. Die Protestierenden haben keinen islamischen Staat gefordert.
Wie haben Christen, Sunniten und Alawiten unter dem Regime Assads zusammengelebt?
Der Großmufti Scheich Hassun (die höchste islamische Autorität in Syrien und ein enger Vertrauter Assads, A. S.) und die verschiedenen christlichen Patriarchen haben Syrien stets als »Paradies der Religionen« bezeichnet. Ich bin der Meinung, dass es nie einen ernsthaften Dialog unter dem Regime gegeben hat. Die verschiedenen religiösen Gruppen haben nebeneinander und nicht miteinander gelebt. Das war auch im Sinne des Regimes. Es sollte nach außen hin wirken, als ob alles in Ordnung wäre. Die Früchte dieses Aufstands sind, dass wir jetzt versuchen, einander näher kennenzulernen.
Sie waren bei der Gründung der Syrischen Demokratischen Plattform in Kairo Anfang Februar dabei. Mehr als 200 Oppositionelle haben sich angeschlossen. Was ist das Ziel dieser Plattform?
Wir wollen einen Raum für die verschiedenen Gruppen der syrischen Opposition schaffen. Wir haben in Kairo offen miteinander diskutiert. Viele Fragen wurden aufgeworfen, zum Beispiel, ob wir überhaupt einen Dialog mit dem Regime führen können, nachdem so viele Leute gestorben, verschwunden oder geflohen sind. Interessant ist, dass die Teilnehmer verschiedener politischer und religiöser Richtungen sich auf dieser Plattform äußern, auch Alawiten und Christen. Natürlich konnten wir noch keine Lösungen finden. Aber es ist klar geworden, dass alle Beteiligten Interesse an einer gemeinsamen Position haben.
Wie haben sich die Leitungen der griechisch- und der syrisch-orthodoxen Kirche in Syrien in dem Konflikt positioniert?
Man muss zwischen den Kirchenleitungen und den Christen als Teil der Bevölkerung in Syrien unterscheiden. Die Bischöfe und die Patriarchen leben in einem Dilemma. Sie können sich nicht deutlich gegen das Regime äußern, ohne verfolgt zu werden. Sie sagen, dass sie für Demokratie und Freiheit sind, aber sie haben auch Angst, dass die Islamisten an die Macht kommen. Ob dies passieren wird oder nicht, ist eine andere Frage. Sie haben den Fehler gemacht, im Namen aller Christen zu sprechen. Die Christen in Syrien sind aber keine homogene Gruppe. Einige stehen hundertprozentig hinter dem Aufstand, andere unterstützen immer noch das Regime. Die große Mehrheit aber schweigt, sie hat sich noch nicht entschieden. Vor allem wollen sie sich nicht in einen bewaffneten Konflikt einmischen.
Welche Handlungsmöglichkeiten hat die friedliche Opposition aus ihrer Sicht noch?
Seit die Opposition begonnen hat, bewaffnet gegen das Regime zu kämpfen, hat sich die Situation in Syrien drastisch verändert. Seitdem ist nicht nur das syrische Regime für die Gewalt im Land verantwortlich, sondern auch die Opposition. Soldaten des syrischen Militärs haben die Seite gewechselt und die sogenannte Freie Syrische Armee (FSA) gegründet. Aber es gibt auch Bürger, die zu den Waffen gegriffen haben, um sich selbst zu verteidigen, und dann angefangen haben, gegen das Regime zu kämpfen. Der Großteil der Bevölkerung ist aber nicht an einem bewaffneten Konflikt interessiert. Die Frage ist: Wie können wir die friedliche Bewegung wiederbeleben? Es finden immer noch Demonstrationen statt, aber die meisten Menschen fliehen.
Welche Interessen verfolgen die bewaffneten Gruppen der Opposition, etwa die Freie Syrische Armee?
Es geht jetzt vor allem darum, wer nach dem Sturz des Assad-Regimes die Macht übernehmen wird. Das Problem ist aber, dass sich auch radikale Islamisten und Jihadisten der FSA angeschlossen haben. Sie haben kein Interesse an einer Demokratie. Einige Gruppen bekämpfen sich auch gegenseitig.
Wie ordnen Sie den Konflikt in Syrien international ein?
Ich befürchte, dass es sich inzwischen um einen Stellvertreterkrieg handelt. Länder wie Saudi-Arabien und Katar, die Gruppen der syrischen Opposition finanziell unterstützen, sind für den bewaffneten Kampf. Sie wollen aber keineswegs Demokratie und Freiheit für Syrien – auch wenn sie das behaupten. Der Westen konnte bisher keinen ernsthaften Schritt unternehmen, um die Gewalt zu beenden. Die westlichen Staaten haben ihren Sündenbock in der russisch-chinesischen Blockade gefunden.
Annans Fünf-Punkte-Plan ist gescheitert. Wie kann der Konflikt in Syrien beendet werden?
Ich bin nicht so optimistisch. Ideal wäre für Syrien eine politische Lösung. Aber viele Seiten dort wollen das nicht. Alle anderen Szenarien sind katastrophal. Wenn Assad länger an der Macht bleibt, wird das zu einem grausamen Bürgerkrieg führen. Eine internationale Intervention sollte ausgeschlossen werden. Die Schaffung eines Alawitenstaates würde einen religiösen Konflikt zur Folge haben. Sollten die bewaffneten Gruppen der Opposition die Macht übernehmen, wird das meiner Meinung nach zu einem Chaos führen. Die einzige Möglichkeit sind aus meiner Sicht politische Verhandlungen. Ohne Russland, China und den Iran ist dies aber nicht möglich, denn sie haben einen großen Einfluss auf das Regime. Im Moment sehe ich aber nicht, dass sie daran interessiert sind, den Konflikt zu lösen. Vielleicht warten sie, bis das Land vollkommen zerstört ist, aber das wird noch mehrere Tausend Todesopfer bedeuten.
Wie bewerten Sie die Pläne der Opposition im Exil für die Ära nach Assad, die 45 Regimegegner vor kurzem in Berlin vorgestellt haben?
Die Neuordnungskonzeption »The Day After« ist in arabischen und westlichen Medien bereits viel diskutiert worden. Einige syrische Oppositionelle haben sich aber sehr kritisch über diese Pläne geäußert, vor allem weil sie unter Beratung und Einfluss von Mitarbeitern verschiedener westlicher Institutionen verfasst wurden. Dennoch gibt es einige positive Punkte. Hervorzuheben ist, dass die Verfasser »The Day After« lediglich als Vorschlag für die Übergangsphase in Syrien sehen.