Die Wahlen in Serbien

Es geht in Richtung Krise und Europa

Antieuropäische Parteien haben bei den Wahlen in Serbien klar verloren. Ein EU-Beitritt gilt als Lösung für die ökonomischen Probleme.

In Serbien blockieren Traktoren den Straßenverkehr. Das ist zwar immer so, lag kürzlich aber auch daran, dass viele Bauern gegen die Regierung protestierten. Diese verteilt Subventionen nämlich nun nach Erträgen und nicht mehr nach Flächen, was sich nachteilig für Kleinbauern auswirkt. Diese Maßnahme ist typisch für die serbische Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahre, bei der misslungene Privatisierungen und wirtschaftliche Reformen in aller Regel einigen Oligarchen nutzten, während der Lebensstandard des Großteils der Bevölkerung kaum höher ist als nach den Bombardements von 1999.
Die Krise hat Serbien erwischt. Der Dinar verliert rasant an Wert, die Arbeitslosigkeit steigt, das Durchschnittseinkommen liegt bei etwa 350 Euro pro Monat, wobei die Lebenshaltungskosten ähnlich hoch sind wie in Deutschland. Obwohl die Wirtschaftsleistung weiterhin wächst, verbessert sich die Lebenssituation der Mehrheit kaum. Von ihrer Lohnarbeit allein können die meisten nicht leben, wenn sie denn überhaupt eine Arbeit haben. Rücküberweisungen von Familienmitgliedern aus dem Ausland und Einkünfte aus der Schattenwirtschaft machen häufig den größeren Teil des verfügbaren Einkommens aus. Land- und Subsistenzwirtschaft spielen noch heute eine große Rolle.
Die schlechte wirtschaftliche Situation führt zu Unzufriedenheit, die im armen Zentralserbien vor allem der nationalkonservativen Serbische Fortschrittspartei (SNS) nutzt. Das von ihr angeführte Wahlbündnis »Steh auf Serbien« konnte bei den Parlamentswahlen am Sonntag dem vorläufigen Endergebnis zufolge mit 24 Prozent die meisten Stimmen gewinnen. Gewählt wurden auch der Präsident, die Gemeinden und zusätzlich das Parlament der autonomen Provinz Vojvodina. Die Amtszeit des Präsidenten Boris Tadić sollte eigentlich erst im Februar 2013 enden. Anfang April war er jedoch zurückgetreten, um vorgezogene Neuwahlen zu ermöglichen. Ähnlich wie Gerhard Schröder 2005 ließ sich Tadić zunächst entmachten, um sich dann wiederwählen zu lassen. Wie das bei Schröder ausging, ist bekannt. Ob Tadić mit seinem Manöver Erfolg haben wird, wird die Stichwahl zur Präsidentschaft am 20. Mai zeigen. Offiziell begründete er seinen Rücktritt damit, dass es für notwendige Reformen hilfreich sei, wenn alle Ämter zur selben Zeit neu besetzt werden. Seit Serbien im März offiziell Beitrittskandidat für die Europäische Union geworden ist, gilt er als populärster Politiker des Landes. Diese Popularität sollte seiner Partei zugutekommen. Das Kalkül lautet: Wer Tadić zum Präsidenten wählt, wird auch seine sozialdemokratische Partei (DS) wählen. Ganz aufgegangen ist diese Rechung nicht: Das Wahlergebnis des von der DS angeführten Wahlbündnisses »Wahl für ein besseres Leben« ist mit 22,3 Prozent der Stimmen eher enttäuschend.

Obwohl die SNS zur stärksten Partei wurde, wird sie wegen fehlender Koalitionspartner voraussichtlich in der Opposition bleiben. Ihr Präsidentschaftskandidat und Parteivorsitzender, Tomislav Nikolić, hat sich in der Vergangenheit nämlich nicht nur Freunde gemacht. Er vertrat lange Zeit antieuropäische und extrem nationalistische Positionen, auch während seiner Amtszeit als stellvertretender Ministerpräsident unter Slobodan Milošević. Die Ermordung des oppositionellen Journalisten Slavko Ćuruvija 1999 begrüßte er öffentlich. 2003 wurde Nikolić geschäftsführender Parteivorsitzender der ultranationalistischen Serbischen Radikalen Partei (SRS), nachdem sein Vorgänger Vojislav Šešelj sich dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag gestellt hatte. Infolge eines parteiinternen Konflikts um das Assoziierungsabkommen mit der EU trat Nikolić im September 2008 aus der SRS aus und gründete die proeuropäische SNS. Die meisten Anhängerinnen und Anhänger der SRS folgten ihm.
In der serbischen Politik spielen antieuropäische Haltungen inzwischen kaum noch eine Rolle. Die SRS, bei den letzten Wahlen noch stärkste Partei, scheiterte an der Fünf-Prozent-Hürde. Die souveränistische Demokratische Partei Serbiens (DSS) kommt auf 6,8 Prozent der Stimmen und dürfte mit ihrem antieuropäischen Kurs nun sehr einsam sein im Parlament. Die SNS hat die SRS an den Rand gedrängt. Bei den Wahlen im Jahr 2008 musste man noch fürchten, dass durch einen Sieg der oppositionellen SRS die Beitritts­verhandlungen mit der EU abgebrochen werden oder Serbien gar in den Kosovo einmarschiert. Die Frage, ob sich Serbien Europa zuwenden soll, galt als Schicksalsfrage der letzten Präsidentschaftswahlen und wurde von den Wählerinnen und Wählern eindeutig bejaht. Sie hofften dadurch vor allem auf eine Verbesserung ihrer ökonomischen Situation.

Bei den Wahlen vom Sonntag waren die wirtschaftliche Krise und die schlechten Lebensbedingungen das bestimmende Thema, das sogar die Kosovo-Frage verdrängte. Die politische Lage in Serbien hat sich zwölf Jahre nach dem Sturz Milo­ševićs weiter normalisiert. Die beiden großen Wahlbündnisse werden von einer sozialdemokratischen Partei und einer populistischen Mitte-Rechts-Partei angeführt, die wegen der ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnisse beide nicht in der Lage sind, nennenswerte Verbesserungen für einen Großteil der Bevölkerung zu erzielen. Wer auch immer am 20. Mai Präsident wird, wird Sozialabbau und Massenentlassungen im öffentlichen Dienst mittragen.
Eine wichtige Rolle spielt die Sozialistische Partei Serbiens (SPS), da sie als Koalitionspartner entscheidend für die Regierungsbildung und grundsätzlich in alle Richtungen offen ist. Sie erzielte überraschend 14,7 Prozent der Stimmen und wird wohl mit der DS koalieren.