Die Diskussion um die Euro-Bonds

Mitgehangen, mitgefangen

Die jüngsten Probleme beim Absatz der Bundesanleihen weisen auf die immer stärkere gegenseitige Abhängigkeit der Euro-Länder hin. Auch Deutschland gerät unter Druck und könnte bald gezwungen sein, den Widerstand gegen die Euro-Bonds aufzugeben.

Selten genug hatte man zuletzt in Spanien Grund zur Häme. Umso deutlicher zeigten spanische Medien in der vergangenen Woche ihre Schadenfreude, als ausgerechnet der Euro-Primus Deutschland für einen Teil seiner neu ausgegebenen Bundesanleihen keine Käufer finden konnte. Die auf­lagenstärkste Tageszeitung des Landes, die linksliberale El País, prognostizierte gar eine Schwächung der deutschen Position in Europa, und das konservative Konkurrenzblatt El Mundo kommentierte: »Nun bekommen die Deutschen die europäische Schuldenkrise am eigenen Leib zu spüren.« »Angela Merkel hält anscheinend unbeugsam an ihrem Vorhaben fest, die EU zu germanisieren«, hieß es wiederum in der Wirtschaftszeitung Expansión, um mit unverhohlener Genugtuung fortzufahren: »Sie glaubt, ihr Land sei gegen das Misstrauen der Märkte immun. Aber nun beginnt sich der beängstigende Stresstest, dem sie die Euro-Zone unterziehen will, gegen die Kanzlerin selbst zu richten.«

Dass die Ausgabe der Bundesanleihen gescheitert ist, konnte auch in Deutschland nicht geleugnet werden. Immerhin hatte die Nachfrage nach den ausgegebenen Papieren erstmalig seit Beginn der Finanzkrise keine 100 Prozent betragen. Von den Anleihen mit einem Gesamtvolumen von sechs Milliarden Euro wurden lediglich Papiere im Wert von 3,9 Milliarden veräußert. Die Bundesbank musste die Reste übernehmen und wird nun versuchen, diese mit Abschlägen auf dem Sekundärmarkt zu verkaufen, auf dem bereits ausgegebene Anleihen zu wechselnden Kursen gehandelt werden. Zugleich machte die für die Ausgabe verantwortliche Bundesfinanzagentur für das Desaster das »äußerst nervöse Marktumfeld« verantwortlich und versicherte, dass Engpässe bei der Refinanzierung des Bundeshaushalts auszuschließen seien.
Über die Gründe für diese »extrem armselige Auktion«, so das Londoner Finanzunternehmen Newedge, wurde viel spekuliert. Dass die Anleihen, die eine zehnjährige Laufzeit haben, mit einem historischen Zinstiefstand von zwei Prozent ausgestattet waren, der den von allen Rating-Agenturen an die Bundesrepublik vergebenen Höchstnoten für Bonität geschuldet ist, mag viele Käufer abgeschreckt haben. Denn aufgrund der leicht über 100 Prozent liegenden Ausgabekurse ergibt sich daraus eine Emissionsrendite von 1,98 Prozent, die unter der Inflationsrate im Euroraum liegt. Für Anleger bedeutet dies, dass damit nicht einmal ihr investiertes Kapital erhalten bleiben könnte. Prompt reagierte denn auch die Bundesfinanzagentur und korrigierte den »Kupon« genannten Zinssatz auf über 2,2 Prozent.
Auch die weltgrößte Fondsgesellschaft, das US-amerikanische Finanzunternehmen Blackrock, war bemüht, die schwache Nachfrage nach Bundesanleihen herunterzuspielen. So konstatierte Michael Krautzberger, der Leiter des europäischen Rentenfondsteams bei Blackrock, eine vorübergehende Übersättigung der Märkte. Viele Banken hätten sich bereits derart mit deutschen Staatsanleihen eingedeckt, dass sie einfach eine Pause einlegen wollten. Da die Anlagevolumen der Finanzinstitute eingeschränkt wurden, sei eine verringerte Nachfrage nach den vergleichsweise attraktiven Bundesanleihen absehbar gewesen. Sorgen müsse man sich mittelfristig in Deutschland jedoch nicht machen. Denn dass die Renditen von Bundesanleihen auf »historische Tiefststände gefallen« seien, zeige, dass es nicht an interessierten Endinvestoren mangele. »Diese stürzen sich momentan ja eher in sichere Häfen wie Bundesanleihen«, so Krautzberger.
Auf der anderen Seite werden Stimmen lauter, die auf strukturelle Defizite im Euro-Raum hinweisen. »Die geringen Renditen sind nicht der Hauptgrund für die geringe Nachfrage«, meinte etwa der Analyst Ralf Umlauf von der Landesbank Hessen-Thüringen: »Schließlich sind die Emissionen der vergangenen Monate bei ähnlich niedrigen Zinsen problemlos durchgegangen.« Umlaufs Ansicht nach wird nun »die letzte Bastion der Euro-Zone« in Frage gestellt. Sein Fazit fällt verheerend aus: »Wir werten das als Misstrauensvotum gegen die Euro-Zone.« Er verweist dabei auf die steigenden Zinssätze, die derzeit nicht nur in den kriselnden Euro-Staaten zu beobachten sind. Die Renditen für zehnjährige Staatsanleihen waren in der ersten Novemberhälfte nicht nur für italienische und spanische Papiere um knapp 1,5 Prozentpunkte gestiegen, womit sie fast Höchstwerte von sieben beziehungsweise 6,5 Prozent erreichten. Auch Anleihen aus Frankreich, Belgien und Österreich mussten einen Anstieg der Zinsen von über einem Prozentpunkt hinnehmen. Und selbst die als stabil geltenden Euro-Länder Finnland und die Niederlande gerieten gehörig unter Druck. Slowenische Anleihen haben sich mittlerweile gar bei einem Zinssatz von deutlich über sieben Prozent eingependelt. »Europa im Bann der Todeszinsen«, hatte die FAZ bereits Mitte November getitelt.

Verglichen damit scheint die Situation der neuen europäischen Führungsnation Deutschland relativ komfortabel zu sein. Die Probleme beim Absatz der Bundesanleihen haben jedoch die Gesamt­situation weiter verschärft. Nach der Auktion jedenfalls stiegen die Kosten, die zur Absicherung gegen einen Zahlungsausfall bei Staatsanleihen aus dem Euro-Raum aufgebracht werden müssen, deutlich an. Der »Markit iTraxx SovX Western Europe Index«, der sogenannte Kreditausfallswaps von 15 Staaten umfasst, erreichte vergangene Woche einen Höchstwert von 370 Basispunkten. Nicht nur bei der US-amerikanischen Großbank Morgan Stanley werte man daher das »Auktions-Desaster« als Zeichen eines Trendwechsels: »Die jüngsten Daten liefern zunehmend Beweise, dass die Investoren auf breiter Front aus der Eurozone aussteigen«, so deren Chefanalyst Ian Stannard. Dass der Euro dann auch auf den tiefsten Stand seit Mitte Oktober fiel, scheint diese Ansicht zu stützen.
Immer deutlicher zeigen sich die wechselseitigen Abhängigkeiten der Volkswirtschaften im europäischen Großwirtschaftsraum – auch in Bezug auf das Zinsniveau für Staatsanleihen. Nicht nur die künstliche Begrenzung der Zinshöhe für griechische und portugiesische Papiere durch die Garantien der Europäischen Zentralbank belegt dies. Auch die sich abzeichnende Stagnation des exportorientierten »Erfolgsmodells« Deutschlands (Jungle World 42/2011) – fast zwei Drittel der deutschen Ausfuhren gehen in die EU – lässt das Zinsniveau aller Mitglieder und damit der Bundesrepublik selbst steigen. Je größer die Gesamtverschuldung wird, desto mehr beeinflussen sich auch die Bonitäten der Länder und ihre Einstufungen bei den Rating-Agenturen. Trotz aller Absagen an gemeinsame Staatsanleihen der EU-Staaten, die sogenannten Euro-Bonds, die Bundeskanzlerin Angela Merkel in der vergangenen Woche mehrmals wiederholte, wird sich deren Einführung angesichts der ausufernden Staatsverschuldungen in der »Schicksalsgemeinschaft« (Merkel) namens Euro-Raum langfristig nicht verhindern lassen. Spätestens, wenn auch die Zinssätze italienischer, spanischer oder gar französischer Anleihen begrenzt werden müssen, um die Zahlungsunfähigkeit dieser Länder zu verhindern, könnte es so weit sein.