Die Entdeckung der Langsamkeit

Die Staatspräsidentenwahl im Libanon ist zum 14. Mal verschoben worden. Das scheint aber nur wenige zu stören. von markus bickel, beirut

Wirklich eilig hat es keiner der führenden Politiker des Landes, die politische Krise im Libanon zu beenden. Erst am Wochenende wurde die für Mon­tag geplante Wahl des Staatspräsidenten zum 14. Mal verschoben. Parlamentspräsident Nabih Berri, der eine Zusammenkunft der 128 Abgeordneten zum letzten Mal im Herbst 2006 zugelassen hatte, gab den 26. Februar als neuen Termin an. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass noch dieses Jahr ein Nachfolger für den Ende November 2007 zurückgetretenen Emile Lahoud gewählt wird, ist äußerst gering.

Denn alle Versuche, die von Berri, dem Generalsekretär der Hizbollah, Hassan Nasrallah, und dem Vorsitzenden der Freien Patriotischen Bewegung (FPM), Michel Aoun, geführte Opposi­tion zu einem Kompromiss mit der Regierungsmehrheit zu bewegen, sind in den vergangenen Wochen gescheitert. Weder Amr Moussa, der Generalsekretär der Arabischen Liga, noch Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner fanden die Zauberformel. Diese müsste nach den Vorstellungen der von Syrien und dem Iran unterstützten Opposition das Vetorecht für ihre Minister in einer Einheitsregierung enthalten – eine Forderung, die Premierminister Fuad Siniora und seine Verbündeten ablehnen.

Damit rückt die von Moussa ebenso wie Kouchner unterstützte schnelle Wahl des derzeitigen Oberkommandierenden der Armee, Michel Suleiman, zum Präsidenten in weite Ferne. Im Prinzip stimmen beide Seiten darin überein, dass es sich bei dem katholischen Maroniten aus der nördlich von Beirut gelegenen Mittelmeergemeinde Amshit um den geeigneten Kandidaten handele. Doch die Opposition weigert sich, Suleiman zu wählen, wenn nicht vorher Einigkeit über die Zusammensetzung des neu zu bildenden Kabinetts und die Verteilung wichtiger Staats­ämter wie etwa des Postens an der Armeespitze erzielt wurde.

Das Kalkül dahinter ist klar: Bei einem Aussitzen der Krise bis zum Sommer 2009, wenn die Neuwahl des Parlaments ansteht, könnten Hizbollah und FPM die nötige Zweidrittelmehrheit für die Wahl ihres eigenen Kandidaten erreichen. Der heißt immer noch Michel Aoun, war von 1984 bis 1989 selbst Oberkommandierender der Armee und in der Endphase des Bürgerkriegs Premierminister einer christlich dominierten Parallelregierung.

Ohnehin kein Interesse mehr an der Wahl Suleimans hat Syrien, die langjährige Protektoratsmacht im Libanon – obwohl Präsident Bashar al-Assad ihn im vergangenen November gegenüber westlichen Diplomaten zumindest verbal unterstützte. Knapp drei Jahre nach dem Abzug der syrischen Truppen aus dem Libanon ist Assad wieder zu einem der wichtigsten Akteure im Libanon geworden. Seit seinem Treffen mit dem deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier in Damaskus im Dezember 2006 wurde die internationale Isolierung Syriens schrittweise aufgebrochen.

Das letzte unrühmliche Kapitel bei der Weißwaschung der Ba’ath-Diktatur schrieb der französische Präsident Nicolas Sarkozy. Im November schickte er seinen Chefberater, Claude Guéant, zu Assad, um dessen Zustimmung zur Wahl Suleimans einzuholen. Der Plan scheiterte, und damit auch die französische Libanon-Initiative. Im Magazin der New York Times machte Kouchner Anfang Februar Guéant und das »Elysée«, also Sarkozys Präsidialamt, für den Misserfolg seiner Pendeldiplomatie verantwortlich. Sarkozy selbst hat den Ansatz, auf eine konstruktive Rolle Syriens im Libanon zu bauen, ebenfalls wieder aufgegeben.

Mehr als ein Patt zwischen der Regierung von Premierminister Fuad Siniora und der Opposition können die ehemalige Protektoratsmacht Frankreich, die USA und die wichtigsten Verbündeten des Westens in der Region, Saudi-Arabien und Ägypten, im Libanon ohnehin kaum erreichen. Zwar haben der Mehrheitsführer im Parlament, Saad Hariri, Ex-Präsident Amin Gemayel und Walid Jumblatt, der Vorsitzende der Sozialistischen Fortschrittspartei (PSP), für Donnerstag zu einer Massendemonstration aufgerufen: Zum dritten Todestag des langjährigen Premierministers Rafiq Hariri am 14.Februar soll die Kontinuität des »Unabhängigkeitsaufstands« von 2005 gefeiert werden. Damit ist es aber längst vorbei. Seit dem Rücktritt der schiitischen Minister aus dem Kabinett im November 2006 erkennt die Opposition die Regierung nicht mehr an. Da Berri außerdem das Parlament geschlossen hält, können die Mehrheitsabgeordneten keine Gesetze verabschieden. Und einen Präsidenten gibt es auch nicht. Vom failing zum failed state ist es da nur ein kleiner Schritt.

Auch der Versuch, wie während des »Beiruter Frühlings« von 2005 durch Mobilisierung ihrer Anhänger Stärke zu demonstrieren, wird Hariri, Gemayel und Jumblatt kaum aus der Defensive bringen. Zumal sich vor wenigen Wochen einmal mehr gezeigt hat, wie schnell Straßenproteste im Libanon blutig enden können. Am inzwischen als »Schwarzen Sonntag« bezeichneten 27. Ja­nuar kamen bei Krawallen gegen die Strompolitik der Regierung acht Menschen ums Leben, darunter zwei Hizbollah-Mitglieder. Die noch vor einem Jahr geäußerte Hoffnung, die Opposition würde auf derartige, schon im Januar 2007 mit sieben Toten gewaltsam verlaufene Aktionen verzichten, erwies sich als zeitlich begrenzt. Das Spiel mit dem Feuer bleibt Grundkonstante der libanesischen Politik.

Beunruhigend ist zudem, dass bis heute keine Verantwortlichen für die inzwischen fast 30 Anschläge verhaftet wurden, die das Land seit dem Mordversuch an Telekommunikationsminister Marwan Hamadeh im Oktober 2004 erschütterten. Allein seit Dezember gingen vier Bomben hoch, die vorerst letzte traf Ende Januar Wissam Eid, eine Schlüsselfigur bei den Ermittlungen zum Anschlag auf Rafiq Hariri. Auch elf kleinere Attacken auf Armeeposten in der Woche nach dem »Schwarzen Sonntag« konnten nicht aufgeklärt werden.

Das politische Kalkül hinter den Angriffen auf das Militär liegt auf der Hand: Je tiefer die Armee in den Schlagabtausch zwischen Regierungsmehrheit und Opposition hineingerät, desto geringer die Chancen für ihren Oberkommandierenden Suleiman, als Präsident akzeptiert zu werden. Galt Suleiman noch im vorigen Sommer als der Hizbollah nahestehend, so hat ihn seine überraschende Nominierung durch Mitglieder der Regierungsmehrheit in den Reihen der Nasrallah-­Organisation suspekt gemacht. Hard­linern der »14. März«-Bewegung innerhalb der Regierungsmehrheit, benannt nach der größten Demonstration während des »Beiruter Frühlings«, käme ein Abschied von Suleiman ebenfalls gelegen: So könnte am Ende doch noch einer ihrer Kandidaten die Nachfolge des verhassten Syrien-Gefolgsmanns Èmile Lahoud antreten.

Aber auch das ist ein Szenario, das nicht so schnell Wirklichkeit werden dürfte im Libanon. Angesichts der Schwäche des Hariri-Bündnisses haben Frankreich und die USA vorerst einen Riegel vor diese als »50 plus eins« bezeichnete Option geschoben. Um die Opposition nicht zu verprellen, soll stattdessen auf die in der Verfassung vorgesehene Wahl des Präsidenten mit zwei Dritteln der Abgeordneten gesetzt werden – die Regierungsmehrheit verfügt jedoch nur über wenig mehr als die absolute Mehrheit.

Bis zum Gipfel der Arabischen Liga Ende März in Damaskus dürfte sich im Libanon politisch deshalb kaum etwas ändern. Allerdings haben saudi-arabische Diplomaten bereits deutlich gemacht, dass sie die syrische Obstruktionspolitik nicht länger hinnehmen wollen. Ein Boykott des Treffens, dem sich Ägypten und andere Golf-Anrainer anschließen könnten, gilt inzwischen als wahrscheinlich. Ob das die Wahl eines Präsidenten beschleunigen wird, steht auf einem anderen Blatt. Aber wirklich eilig, das Vakuum an der Spitze des Staats zu beenden, hat es unter den Politikern des Libanon ja ohnehin keiner.