Das Leben ist schön

»Die besten Jahre«, ein sechsstündiges Familienepos aus Italien, kommt in die deutschen Kinos.
von federica matteoni und niklas luhmann

Opulent und melodramatisch und zu Tränen rührend ist der Film »Die besten Jahre«, den der italienische Regisseur Marco Tullio Giordana gedreht hat. Das wahre Kino ist zurück. Nun kommt das sechsstündige Familienepos, das eigentlich als Fernsehserie konzipiert war und in Italien mittlerweile als Kultfilm gilt, in zwei Teilen in die deutschen Kinos.

Der Film beleuchtet die privaten Geschichten und Schicksale der Familie Carati vor der Kulisse der vergangenen 40 Jahre italienischer Nachkriegsgeschichte. Giordana gelingt dabei ein ungewöhnlicher Balanceakt zwischen klassischer Serienproduktion und den Feinheiten des Filmemachens. Trotz der Offensichtlichkeit der narrativen Konstruktion ist die Seifenoper mitreißend, wie das wahre, große, schmalzige Kino eben.

Alles beginnt in den sechziger Jahren. Der eigenartige Matteo befreit Giorgia aus der Psychiatrie, weil sie dort mit Elektroschocks behandelt wird. Er begibt sich mit seinem aufgeschlossenen, idealistischen Bruder Nicola – der im ganzen Film als Matteos Widerpart funktioniert – und Giorgia auf den Weg zu deren Vater. Die Realität bricht in den Traum der Brüder ein, die Rettung misslingt, und die Enttäuschung wird für beide zum zentralen Moment ihrer Entwicklung. Nicola, der Medizin studiert, reist weiter nach Norwegen und entscheidet sich, Psychiater zu werden. Später wird er sich der vom italienischen Psychiater Franco Basaglia initiierten sozialpsychiatrischen Bewegung anschließen. Matteo hingegen, der so wirkt, als habe er Angst vor seinem eigenen Mitgefühl, nimmt den nächsten Zug nach Rom und meldet sich freiwillig zum Militär. Er braucht das Korsett der Regeln, um sich dem Leben weniger ausgeliefert zu fühlen. Später wird er Polizist. Giorgia landet wieder in der Psychiatrie.

Und schon sind wir inmitten des italienischen Dramas.

Der zukünftige Psychiater trifft im Jahr 1966 bei den Hilfsarbeiten während der großen Überschwemmung in Florenz seine große Liebe, die Pianistin und Studentin Giulia. Zwei Jahre später finden sich die beiden in Turin wieder, der repräsentativsten Stadt dieser Zeit, der Stadt der Fiat-Arbeiter, die »alles wollen«. Die beiden Studenten beteiligen sich an den sozialen Kämpfen, die in dem Film den abenteuerlichen Hintergrund für ihre Liebe abgeben. Kurz nach der Geburt der gemeinsamen Tochter brechen die bleiernen Jahre in ihr Leben ein, und die Familienidylle ist zerstört. Giulia schließt sich dem bewaffneten Kampf der Roten Brigaden an. Sie soll Carlo umbringen, den erfolgreichen Staatsbankier und Ehemann der jüngsten Carati-Schwester. Auf der Polizeiwache, wo Matteo arbeitet, hängt Giulias Fahndungsfoto. Doch sie wird von dem allzu guten Nicola »gerettet«. Er verrät seine Frau an die Polizei, bevor sie den Mord begehen kann, weil er glaubt, sie damit zu schützen.

Die großen Ereignisse der Nation spiegeln sich in dieser Familie: von der Überschwemmung in Florenz 1966 über die gewalttätigen Aufstände bei Fiat in Turin 1974 und die Entführung des christdemokratischen Parteivorsitzenden Aldo Moro durch die Roten Brigaden 1978 bis zur Ermordung des Richters Giovanni Falcone 1992 durch die Mafia und dem als »Tangentopoli« bekannten Korruptionsskandal, der das Ende der »ersten Republik« markierte. Zu all diesen entscheidenden Momenten gibt es im familiären Mikrokosmos der Caratis eine Verbindung. Im Mittelpunkt der Erzählung steht aber immer das Private, die Familie selbst. Die Geschichte Italiens bildet nur eine Kulisse, die fast ausschließlich als narrativer Rahmen dient, um die komplexe Saga voranzutreiben. Sie bleibt unkommentiert und wird nie als unabhängiges Element behandelt. In »Die besten Jahre« wird Geschichte privatisiert.

Giulias Entscheidung etwa, Nicola und ihre Tochter zu verlassen, um in den Untergrund zu gehen, taucht beinahe aus dem Nichts auf. Zwischen den Protagonisten finden keine inhaltlichen Auseinandersetzungen statt. Die Themen der politischen Gewalt und des bewaffneten Kampfes werden nie zum Inhalt, so dass die Figur der Terroristin auf das psychopathologische Bild einer gescheiterten Mutter und Lebenspartnerin reduziert wird. Dramaturgisch wirkt Giulias Versagen, sich dem bürgerlichen Leben anzupassen, als Mittel, um die unantastbare Positivität von Nicola bis ins Extreme zu stilisieren.

Schon in dem großartigen Film »I cento passi« (2002) über die Lebensgeschichte des sizilianischen Antimafia-Radiomachers Peppino Impastato wie auch in seinem Film über den Mord an dem italienischen Autor und Filmemacher Pier Paolo Pasolini (»Pasolini, Un delitto italiano«, 1995) hatte Giordana zeitgeschichtliche Figuren und Themen verwendet, um seine Erzählungen zu entwickeln. Dabei bezieht er sich – wie er selber sagt – vor allem auf Filme von Luchino Visconti und Roberto Rossellini, in deren Mittelpunkt auch immer die Geschichte einer Familie stand.

Giordana erzählt über sechs Stunden in einem sehr sicheren und ausgewogenen Rhythmus und mit präzisen, gut fotografierten Bildern. Dabei wirkt das Ganze kein bisschen zu lang. Die gut gelungenen Dialoge sowie das teilweise großartige Schauspiel halten die Geschichte zusammen. Sicherlich bewegt sich das Ganze oft am Rande von Pathos und Kitsch, jedoch gelingt Giordana immer wieder ein sehr genaues Psychogramm seiner Charaktere.

Matteo erscheint zunächst mutig und stark, erweist sich dann aber als immer schwächer und einsamer. Immer wieder rastet er aus, verliert die Kontrolle, bleibt verletzlich.

Nicola wirkt wie sein Schatten. Er geht den Weg des Reformisten und glaubt an eine offene Psychiatrie. Nach Jahrzehnten des Engagements gelingt es ihm, Giorgia endgültig aus der Psychiatrie herauszuholen; mit ebenso großer Hingabe erzieht er seine Tochter. Leider erreicht die Figur des Nicola nicht die Komplexität und Ambivalenz der anderen Figuren, sondern entwickelt sich im Verlauf des Films zunehmend zu dem unzweifelhaften Humanisten, der überall nach Ausgleich sucht.

Und so kommen die neunziger Jahre, die Zeit des endgültigen Abschieds vom revolutionären Traum. Nach dramatischen Entwicklungen, in denen Krankheit, Tod, Suizid und Verrat aufeinander folgen, wird nur noch ein hedonistischer Eskapismus gepflegt, und die Familie findet in der toskanischen Idylle wieder zusammen, im Zeichen der großen Versöhnung, die all die erlittenen Schmerzen erträglich macht.

Und als habe es all die Jahre nicht gegeben, gilt immer noch die Formel vom Anfang: »Alles, was existiert, ist schön.«

»Die besten Jahre« (I, 2003). Regie: Marco Tullio Giordana, Darsteller: Luigi Lo Cascio, Alessio Boni, Sonia Bergamasco, Jasmine Trinca. Kinostart: 3. März