Nirgends, auch dort nicht

Die Erinnerung an den Holocaust und an die Befreiung vom NS gehört zum Gründungskonsens der Bundesrepublik und darf nicht von Rechtsextremisten in Frage gestellt werden. von hajo funke

Wir sollten die Leugner und Verharmloser des Holocaust daran hindern, die Opfer des nationalsozialistischen Massenmordes durch ihre Demonstration am 8. Mai 2005 in Berlin zu verhöhnen. Dem dient die strikt darauf begrenzte Initiative der Koalitionsparteien zur Verschärfung des Versammlungsrechts ebenso wie Initiativen zur Blockade der NPD-Demonstration durch Bürgerinnen und Bürger.

Meines Erachtens ist das eine so sinnvoll wie das andere. Wenn etwas zum Gründungskonsens der Bundesrepublik gehört, mit dem sie ihre Abwendung vom Rassismus des Nationalsozialismus bekundet hat, dann ist es die unmittelbare Achtung der Menschenwürde im Grundgesetz und eine angemessene Erinnerung an den Holocaust und an das, was ihn ermöglicht hat: die politische Schuld der Verantwortlichen, die individuelle Schuld der Täter und Mittäter.

Das Mahnmal zur Erinnerung an den Holocaust ist gerade auch durch die öffentliche Debatte zu einem zentralen Ausdruck dieser Erinnerung und der damit verbundenen Anerkennung politischer Verantwortung geworden. Und es wird nur wirksam sein, wenn es Menschen veranlasst, sich des Verstörenden, Bodenlosen daran bewusst zu werden. Es ist nicht ohne eine geradezu irrsinnige Konsequenz, dass es die Wiedergänger des Nationalsozialismus sind, die Architekten einer gegen alles Fremde sich wehrenden Volksgemeinschaft, die Anhänger der NPD, die gegen einen so genannten »Schuldkult« demonstrieren wollen.

Man hätte darüber mit Verachtung hinwegsehen können, wäre es dieser Partei nicht gelungen, sich in Sachsen als (jugendliche) Massenpartei zu verankern, die mehr als ein Fünftel der Erstwähler für sich gewonnen hat und eine Reihe Abgeordneter aus demokratischen Parteien ebenso. Dieser seit einem Jahrzehnt vorbereitete Erfolg ist Resultat eines dreifachen ebenso beständigen politischen Versagens: Öffentlichkeit und Politik unter dem langjährigen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf haben den gewaltbereiten Rechtsextremismus konsequent verharmlost, zum Teil verleugnet und es ihm mit einer Politik des Laissez-faire ermöglicht, sich auszubreiten. Eine fehlerhafte Wirtschafts-, Sozial- und Kommunalpolitik hat zudem zur Verzweiflung unter den sozial Abgehängten beigetragen. Schließlich wurde der Rechtsstaat nicht wirksam gegen rassistische Gewalt und die Verherrlichung des Nationalsozialismus in Stellung gebracht.

Inzwischen mehren sich – nach Monaten der Unsicherheit – regional wie bundesweit die Anstrengungen, der Verharmlosung des Neo-Nationalsozialismus der NPD entschiedener entgegenzutreten. Der Nährboden sozialer Verzweiflung weitet sich dagegen insbesondere in Teilen Ostdeutschlands nicht nur wegen Hartz IV weiter aus, und auch der Gewaltbereitschaft von Rassisten steht man immer noch weitgehend hilflos gegenüber.

Am 8. Mai 2005 wird man in der Erinnerung an die Befreiung vom Nationalsozialismus öffentlichkeitswirksam, selbstbewusst auf diesen Skandal antworten müssen – aus Interesse am Gemeinwesen, und nicht um des Ansehens in der Welt willen. Dies allein würde jedoch nicht die kulturellen und gesellschaftlichen Wurzeln einer anschwellenden Gewaltbereitschaft des Rechtsextremismus erreichen. Es wäre fatal, dabei zuzusehen, wie sich die NPD und das rassistische Gewaltmilieu weiter ausdehnen, und zuzulassen, dass das politische Klima, sei es in Teilen der Sächsischen Schweiz, Mecklenburg-Vorpommerns und im Osten Berlins weiter vergiftet wird. Es geht längst nicht mehr um das Ansehen Deutschlands in der Welt, sondern um eine Konsolidierung der kulturellen, aber ebenso sehr der sozialen Grundlagen der Demokratie gegen eine um sich greifende Apathie und eine nicht zuletzt im Osten Deutschlands zu beobachtende »Kultur der Verzweiflung«.

Der Rechtsextremismus-Experte Hajo Funke ist Professor für Politik und Kultur am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin und Autor des Buches »Paranoia und Politik. Rechtsextremismus in der Berliner Republik«, Verlag Hans Schiler, Berlin 2002.