Ver.schaukelt

Lieber ein schlechter Tarifvertrag als gar keiner, lautet die Devise von Verdi für den öffentlichen Dienst. Die Schwäche der Gewerkschaft ist offensichtlich. von jörg meyer

Leistung lohnt sich wieder, vor allem im öffentlichen Dienst. Wer schneller stempelt, penibler putzt, freundlicher berät und persönlicher betreut, kann in Zukunft mit einer dickeren Lohntüte rechnen. Das verspricht die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi nach dem »wegweisenden Tarifabschluss für den öffentlichen Dienst« (Publik), auf den sich die Arbeitgeber des Bundes und der Kommunen und die Bundestarifkommission von Verdi am 9. Februar einigten.

Danach sinkt auch die Arbeitszeit im Osten um eine Stunde, im Westen steigt sie um eine halbe Stunde auf einheitliche 39 Wochenstunden, die Gehälter im Osten werden bis zum Jahr 2007 schrittweise auf 97 Prozent des Westniveaus angehoben. Weiterhin erhalten die Angestellten anstelle einer Lohnerhöhung in den nächsten drei Jahren Einmalzahlungen in Höhe von je 300 Euro (Auszubildende 100 Euro), und letztlich wird das eingefrorene Urlaubs- und Weihnachtsgeld zu einer »Jahressonderzahlung« zusammengefasst, die ab 2007 auch wieder ansteigen soll.

»Damit haben wir das Tarifrecht im öffentlichen Dienst zukunftsfest gemacht«, sagt der Gewerkschaftsvorsitzende Frank Bsirske und fordert nun die Länder auf, dem neuen Regelwerk beizutreten. Manche von ihnen waren aus dem alten Bundesangestelltentarif ausgestiegen und hatten an den Verhandlungen um den neuen Tarif erstmalig nicht teilgenommen. Deshalb rief Verdi in der vorigen Woche zu Warnstreiks auf, an denen sich insgesamt mehrere tausend Angestellte von Straßenmeistereien, Krankenhäusern und der öffentlichen Verwaltung beteiligten. Am 3. März beginnen die Tarifverhandlungen mit den Ländern.

So weit alles prima im öffentlichen Dienst, möchte man meinen. Doch die Gewerkschaftslinke kritisiert den Abschluss scharf. Bernd Riexinger, der Bezirksgeschäftsführer von Verdi in Stuttgart, sagt, »für den Erhalt des Flächentarifvertrages für Kommunen und Bund hat Verdi zumindest einen sehr hohen Preis bezahlt. Es sind doch relativ viele Regelungen darin, mit denen wir nicht einverstanden sind.« So ist zum Beispiel eine Öffnungsklausel, die eine Arbeitszeit bis 40 Stunden ermöglicht, ebenso im neuen Tarifvertrag zu finden wie eine Niedriglohngruppe für Ungelernte. Zudem gibt es eine Meistbegünstigungsklausel, die es den kommunalen Arbeitgebern ermöglicht, die Regelungen auf Landesebene ohne weitere Verhandlungen zu übernehmen. Eine Unkündbarkeitsregelung bleibt nur für den Westen erhalten.

Das Netzwerk für eine kämpferische und demokratische Verdi weist darauf hin, dass die leistungsbezogenen Prämien aus dem Fonds für die Jahressonderzahlungen und dem gestrichenen Kinderzuschlag finanziert werden. Am Ende der Entwicklung, die im Jahr 2007 beginnen soll, werden die »Leistungskomponenten« nach Angaben des Spiegel acht Prozent des Einkommens ausmachen.

In der Argumentation des Bundesvorstandes von Verdi soll die Niedriglohngruppe dazu dienen, Privatisierungen zu verhindern, indem der öffentliche Dienst konkurrenzfähig gestaltet wird. Es gehe jedoch nicht allein darum, Outsourcing zu verhindern, sagt Riexinger, der in der Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken organisiert ist. Der Niedriglohngruppe etwa würden nicht nur ungelernte Arbeitskräfte aus dem Reinigungsdienst zugeordnet, sondern auch Personen aus anderen Beschäftigungsbereichen sowie Neueingestellte. Michael Wendl, der stellvertretende Landesbezirksleiter von Verdi in Bayern, vermutet, dass die Tätigkeiten, die in dieser Gruppe definiert seien, wahrscheinlich bis zur Einkommensgruppe vier ausgeweitet würden, »also bis knapp unterhalb des Facharbeiterniveaus. Und dann haben wir einen richtig schönen breiten Niedriglohnsektor.« Er ist der Meinung, die Arbeitgeber hätten mit dem Abschluss in erster Linie eine Menge Geld gespart.

Riexinger zufolge ist der Tarifabschluss auch Ausdruck einer Vermeidungsstrategie der Gewerkschaft. Es müsse »die entscheidende Einschätzung der Linken sein, dass Verdi keinen Großkonflikt eingehen wollte, aus Angst, dass dann der Tarifvertrag auseinanderbricht«. Über diese Frage müsse »streng diskutiert werden« in der Organisation, »weil das eine Frage der Kampffähigkeit ist und weil ja viele Auseinandersetzungen nur vertagt wurden«, sagt Riexinger weiter. In Baden-Württemberg sei es bereits so, dass die kommunalen Arbeitgeber die 40-Stunden-Woche forderten. »Wenn sie darauf bestehen, werden wir schon im Spätherbst einen harten Konflikt um die Arbeitszeit bekommen.«

Trotz allem unterstützt die Gewerkschaftslinke die Warnstreiks, die eine Übernahme des Abschlusses in den Ländern bewirken soll. Auf die Frage, ob das nicht widersprüchlich sei, erwidert Riexinger, die Angestellten seien in einer schwierigen Lage. Auf kommunaler Ebene gebe es ein Streikpotenzial, das auch Forderungen deutlich machen könne. Auf Länderebene gebe es das nicht. »Es wäre eine Illusion zu meinen, wir bekommen in den Ländern bei der mangelnden Kampfkraft einen besseren Tarifvertrag als in den Kommunen.« Wendl hingegen sagt: »Ich finde es auch paradox. Ich habe gestern bei einem Warnstreik in der Universitätsklinik Erlangen gesprochen, aber nicht für die Übernahme des neuen Tarifvertrages, sondern gegen Arbeitszeitverlängerung.«

Bereits am 10. Februar sagte der Vorsitzende der Tarifgemeinschaft deutscher Länder, der niedersächsische Finanzminister Hartmut Möllring (CDU), dem Spiegel, die Länder würden den Tarifvertrag nicht übernehmen, weil er zu teuer sei. Zwar habe die Gewerkschaft einen Schritt in die richtige Richtung getan, jedoch bräuchten »die Länder Öffnungsklauseln bei Weihnachts-, Urlaubsgeld und Arbeitszeit«. Konkret bedeutet das zum Beispiel die Forderung nach einer einheitlichen Wochenarbeitszeit von 40 Stunden mit einer Öffnungsklausel für 41 oder 42 Stunden. Hessen will zum 31. März aus dem Tarif austreten. Der sachsen-anhaltinische Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) hingegen befürwortet einen schnellen Beitritt der Länder.

Wendl vermutet, dass hinter der Strategie der Länder der Versuch stecken könnte, Verdi vorzuführen und als »Papiertiger« bloßzustellen. In seinen Augen wäre es für die Länder taktisch klug, den Tarifvertrag zu unterzeichnen, denn so ein billiges Angebot bekämen sie so schnell nicht wieder.

Ganz offensichtlich ist der Tarifabschluss im öffentlichen Dienst ein Zeichen der andauernden Schwäche der Gewerkschaften. Mehr war nicht drin. Etliche Personal- und Betriebsräte hätten das Gefühl, »dass wir noch mal ganz gut davongekommen sind«, meint Riexinger. Auf lange Sicht müsse jedoch eine grundsätzliche Diskussion über die künftige Strategie geführt werden. Dass die Unterwerfungsstrategie nicht weiterführe, habe sich gezeigt. »Die Gewerkschaften wissen nicht, wie sie sich gegenüber diesem aggressiv auftretenden Kapital verhalten sollen und stecken derzeit in einer geistig-politischen Krise.« Die Aufgabe der Linken sei es, »für diese geistig-politischen Impulse zu sorgen und für eine gewisse Klarheit in der Analyse«, sagt Riexinger.