Keine Fragen mehr offen

Aufschwung rotbrauner Verschwörungstheorien in Serbien

von boris kanzleiter

Al-Qaida ist von der CIA auf den Balkan verpflanzt worden, um dort den Jihad gegen die renitenten Serben zu führen, die mit ihrem Antiglobalismus Washingtons imperiale Pläne gefährden. So oder so ähnlich lautet die Analyse serbischer Nationalisten und ihrer internationalen Fangemeinde, die in Slobodan Milosevic den letzten Sozialisten auf dem Balkan sehen und für die die rechtsextreme Serbische Radikale Partei (SRS) von Vojislav Seselj eine Art serbisches Attac-Netzwerk gegen den Neoliberalismus darstellt. Mit immer neuen Details und Informationen basteln sie ein Puzzle, das keine Fragen offen lässt. Was sich in Jugoslawien in den neunziger Jahren ereignete und was sich heute im Kosovo anbahnt, war demnach von langer Hand in Washington geplant. Die blutige Zerschlagung Jugoslawiens war das Werk einer Verschwörung von US-Geheimdiensten und Islamisten.

Glaubwürdig werden Verschwörungstheorien vor allem dann, wenn sie nicht nur auf Verdrehungen, sondern auch auf nachprüfbare Fakten aufbauen. So auch im Fall der Verbindung der USA mit al-Qaida auf dem Balkan. Tatsache ist, dass in Bosnien arabische Gotteskämpfer in den ersten Frontlinien standen und Ussama bin Laden sogar einmal persönlich in Sarajevo weilte. Tatsache ist auch, dass sie eine Zeit lang denselben Feind bekämpften wie die USA. Aber was beweist das? Sicher nicht, dass der Krieg von bin Laden, Alija Izetbegovic und Bill Clinton gemeinsam inszeniert wurde, um Jugoslawien zu zerschlagen. Denn wenn es die Allianz tatsächlich gab, kam sie erst nach Ausbruch der Kämpfe in Bosnien 1992 zustande.

Es gibt keinen Zweifel: Die »internationale Gemeinschaft« goss bei dem sich seit den achtziger Jahren anbahnenden Kollaps Jugoslawiens immer wieder kräftig Öl ins Feuer. Dabei war es nicht zuletzt das Vorpreschen Deutschlands und Österreichs bei der Anerkennung der Unabhängigkeitserklärungen Sloweniens und Kroatiens Ende 1991 und das europäische »Krisenmanagement«, das den Krieg in Bosnien-Herzegowina erst richtig entfesselte und den »ethnischen Säuberungen« Vorschub leistete.

Wer allerdings in geheimdienstlichen Operationen und ausländischer Intervention die einzigen Gründe für die grausamen Kriege in Jugoslawien sieht, wie es Slobodan Milosevic im Gleichklang mit den rechten serbischen Radikalen tut, hat vor allem ein Interesse: Es geht darum, sich selbst als Opfer größerer Mächte zu inszenieren und die eigene fatale Rolle bei der Zerstörung Jugoslawiens zu leugnen.

Bei Milosevics internationalen Unterstützern aus den Reihen der »antiimperialistischen Linken« sind Verschwörungstheorien noch aus einem anderen Grund populär. Sie weigern sich, über die sozialen und politischen Ursachen der inneren Krise des sozialistischen Projektes zu sprechen, das in Jugoslawien so tragisch gescheitert ist. Statt die notwendige Geschichtsarbeit zu leisten, die gerade auch für die Neukonstituierung einer Linken im ehemaligen Jugoslawien notwendig wäre, projizieren sie das Übel lieber auf den allseits gerne gehassten universalen Feind der Menschheit in Washington. Auf diese Weise werden sie zur internationalen Vertretung der dubiosen Allianz der extremen serbischen Rechten mit Milosevic. So lobt der Stichwortgeber der Solidarität mit Milosevic, Jürgen Elsässer, die SRS als »Kristallisationsfaktor des Widerstandes« in Serbien. Ein anderer Deutscher hat es bereits weiter gebracht. Franz Schönhuber wurde von den Rechtsextremen zum Ehrenbürger des von ihnen regierten Belgrader Stadtteils Zemun ernannt.