Generäle vor Gericht

Die Anklagen gegen ehemalige bosnische Militärs soll die Rolle muslimischer Einheiten während des Krieges klären. von markus bickel, sarajevo

Die Veteranenverbände reagierten als erste auf die Ankündigung ihres früheren Oberbefehlshabers, sich freiwillig dem Uno-Kriegsverbrechertribunal zu stellen. So erklärte ein Sprecher des muslimischen Versehrtenvereins »Grüne Barette« Mitte voriger Woche, bei der Anklage gegen Rasim Delic handele es sich um den »Versuch, die Schuld für die Kriegsgeschehnisse in Bosnien-Herzegowina auf alle drei Seiten gleichmäßig zu verteilen«. Bosniens Bürger sollten zu seiner Verabschiedung die Straßen Sarajevos säumen.

Auch die vom bosnischen Kriegspräsidenten Alija Izetbegovic gegründete muslimische Partei der Demokratischen Aktion warf der von Carla del Ponte geleiteten Anklagebehörde in Den Haag vor, »leider dem Druck bestimmter Kreise nachgegeben« zu haben, zeigte sich aber »überzeugt, dass die Unschuld von General Delic vor dem Tribunal bewiesen wird«.

Ein knappes Jahrzehnt nach dem Bosnien-Krieg macht nun del Ponte den im Juni 1993 zum Oberkommandierenden der bosnischen Armee beförderten Delic in vier Fällen für Kriegsverbrechen an bosnisch-serbischen und bosnisch-kroatischen Zivilisten und Gefangenen verantwortlich. Als Befehlshaber, heißt es in der Anklageschrift, habe es in seiner Verantwortung gelegen, von der 306. Bergbrigade, der 7. Muslimischen Bergbrigade und der so genannten El-Mujahed-Einheit begangene Verbrechen zu verhindern.

Muslimische Generäle vor Gericht: Während der frühere bosnisch-serbische Präsident Radovan Karadzic und sein oberster General, Ratko Mladic, weiter auf freiem Fuß sind, muss sich inzwischen fast die gesamte Führung der bosnischen Armee juristisch verantworten. So ist Delic, der am Montag freiwillig nach Den Haag reiste, bereits der vierte hochrangige bosnisch-muslimische Offizier, dem wegen der Verwicklung arabischer und iranischer Kämpfer in den Bosnien-Krieg der Prozess gemacht wird. Die erst am Wochenende auf einer Konferenz in Den Haag von Anhängern des ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic aufgefrischte These, das Tribunal sei eine antiserbische Einrichtung, lässt sich durch dessen Anklagepolitik längst nicht mehr belegen.

Bereits Ende Januar begann das Verfahren gegen Delics Vorgänger an der Spitze des bosnischen Generalstabs, Sefer Halilovic, dem die Ermordung bosnisch-kroatischer Zivilisten zur Last gelegt wird. Politisch brisanter noch sind die Prozesse gegen Enver Hadzihasanovic und Amir Kubura, gegen die bereits seit Ende 2003 verhandelt wird. Beide gehörten dem 3. Korps der bosnischen Armee an, dem formal auch die von islamistischen Freiwilligen gebildete El-Mujahed-Einheit unterstellt war: Hadzihasanovic als Oberkommandierender, Kubura als Chef der 7. Muslimischen Bergbrigade.

Diese war im Unterschied zu den meisten anderen Einheiten der bosnischen Regierungsarmee strikt mit Muslimen besetzt. Aus dem Nahen Osten, Afghanistan und Nordafrika eingesickerte Kämpfer arbeiteten damals mit Kuburas Brigade zusammen. Besondere militärische Bedeutung hatten die Islamistentrupps jedoch nicht: Die Führung der Uno-Truppen in Bosnien (Unprofor) bezifferte sie kurz vor Ende des Krieges im Sommer 1995 auf 1 500, die CIA kam zur selben Zeit auf lediglich 600 Mann.

Auch der niederländische Militärexperte Cees Wiebes widmet den »Mujahedin« in seiner 460-Seiten-Studie »Intelligence and the War in Bosnia 1992–1995« nur fünf Absätze und kommt zu dem Schluss, dass die bosnische Bevölkerung »nicht besonders begeistert über die Kämpfer und indifferent gegenüber ihrer religiösen Propganda« war.

Ein Urteil, das nicht überrascht. Vor Kriegsbeginn war mehr als ein Drittel der bosnischen Muslime mit katholischen oder serbisch-orthodoxen Partnern verheiratet, Weihnachten und das Bajram-Fest am Ende des muslimischen Fastenmonats Ramadan feierten Angehörige aller drei Glaubensgruppen oft gemeinsam. Noch heute gleicht der Bajram-Abend einer vorgezogenen Silvesterparty, bei der – auch das eher untypisch für muslimische Gesellschaften – reichlich Alkohol fließt.

Zwei historische Entscheidungen prägten die moderate Auslegung des institutionalisierten bosnischen Islam: Nach der Annexion des Landes durch Österreich-Ungarn am Ende des 19. Jahrhunderts schufen die habsburgischen Herrscher das bis heute bestehende Amt des Reis-ul-Ulema, der religiöses Oberhaupt wie politischer Repräsentant der bosnischen Muslime ist. Fast ein Jahrhundert später kanalisierte Tito die Forderungen der seit Ende des Zweiten Weltkrieges ständig gewachsenen muslimischen Bevölkerungsgruppe nach mehr politischem Einfluss, indem er ihnen 1968 den Status einer Nation einräumte. So kam es zu der paradoxen Situation, dass sich atheistische Intellektuelle zu Muslimen im nationalen Sinne erklärten. Selbst wenn Kritiker Izetbegovic zu Recht vorhalten, durch seine Zusammenarbeit mit den arabischen Regimen fundamentalistische Tendenzen befördert zu haben – wegen »panislamischer Aktivitäten« saß er unter Tito fast zehn Jahre im Gefängnis –, war diese Entscheidung weniger dem Wunsch entsprungen, den Jihad auf den Balkan zu holen, als dem Bedürfnis, das Land zu verteidigen. Wegen fehlenden schweren Geräts war die bosnische Führung zu Beginn des Krieges in einer schier aussichtslosen Lage, so dass sie die Hilfsangebote muslimischer Staaten wie Pakistans, Malaysias und des Iran dankend annahm.

Denn während sich Karazdics Truppen die Bestände der Jugoslawischen Volksarmee aneigneten und Kroatiens Präsident Franjo Tudjman vor allem die bosnisch-kroatischen Verbände in der Herzegowina unterstützte, traf das von den Vereinten Nationen bereits 1991 gegen Jugoslawien verhängte Embargo die bosnische Armee wie keine andere Kriegspartei. Izetbegovics Vertrauter Hasan Cengic organisierte deshalb ab 1992 Waffenlieferungen aus dem Iran, die über Ankara, Zagreb oder die kroatische Adria-Insel Krk schließlich nach Bosnien gelangten. Dass neben Waffen auch Glaubenskrieger nach Bosnien kamen, nahm die Regierung billigend in Kauf.

Cengic war es auch, der die Verbindung zum sudanesischen Diplomaten Fatih al Hasanein herstellte, der wiederum 1993 den Besuch Ussama bin Ladens in Sarajevo organisiert haben dürfte. Entscheidendes Organ für die Geldbeschaffung war die in Wien und Zagreb ansässige Third World Relief Agency (TWRA), die bis Ende des Krieges rund 350 Millionen US-Dollar für Waffenkäufe akquirierte.

Der bisweilen als Beweis für die fundamentalistische Achse Teheran-Sarajevo herangezogene Waffennachschub war jedoch alles andere als eine rein muslimische Angelegenheit. So konstatiert Wiebes, dass die bosnische Armeeführung »komplett abhängig von der Kooperation mit Zagreb« war, das »den Transit zu jedem Zeitpunkt reduzieren oder stoppen« konnte. Auch die US-Regierung in Washington bekam von den iranischen Waffenlieferungen früh Wind und unterstützte sie nach der Bildung der muslimisch-kroatischen Föderation im April 1994 ganz offen.