Amed Sherwan

»Hey, du musst keine Angst vor mir haben«, ruft mir gestern ein Mann hinterher, als ich an ihm vorbei zum Bus renne. Ich drehe mich um und erkenne den Typen, der mich in der Vergangenheit bedroht hat, weil ich ein T-Shirt mit dem Aufdruck »Kafir« getragen habe und mir gesagt hat, dass ich das Viertel nicht mehr betreten sollte.

Jedes verlorene Menschenleben hinterlässt bei den Angehörigen eine schmerzhafte Lücke. Jeder Tod erinnert auch Außenstehende daran, wie verletzlich der menschliche Körper ist und wie kurz das Leben. Und wenn viele Menschen auf einmal sterben, trifft es die meisten mit einer großen Wucht. So ist es gerade in Mossul passiert, wo über hundert Menschen bei einem Fährunglück ertrunken sind – Menschen, die fröhlich Newroz gefeiert haben und sich auf das neue Jahr gefreut haben – jetzt feiert in der Umgebung niemand mehr.

Meinungsfreiheit ist mein Fluchtgrund! Ich bin nach Deutschland geflüchtet, weil meine Meinungsäußerungen mich in meiner alten Heimat in Lebensgefahr gebracht haben.

Die Männer in meiner alten Heimat Irakisch-Kurdistan sind „richtige“ Männer. Sie haben ihr Leben und ihre Familie im Griff. Sie sind gottesfürchtig, schrecken aber sonst vor nichts zurück. Und sie haben selbstverständlich Waffen in ihrem Schrank, um jederzeit die Ehre ihrer Familie oder ihres Volkes verteidigen zu können. Eine Wehrpflicht gibt es da zwar nicht, aber wer was auf sich hält, meldet sich freiwillig, sobald das Land in Gefahr ist.

Anders als viele Kriegsflüchtlinge habe ich mir Deutschland nicht nur ausgesucht, um hier in Sicherheit leben zu können. Deutschland macht mich glücklich und bedeutet für mich Freiheit. Denn solange ich niemandem damit schade, kann ich hier glauben, denken und sagen, was ich will, ohne dafür mit Repressionen rechnen zu müssen. Oder doch nicht?

Konservative Muslime empfanden meine Schilderungen als islamfeindlich.

Als politischer Gefangener vom iranischen Regime ermordet. Nun droht seinem Bruder dasselbe Schicksal. Arbeitet Deutschland mit den Verfolgern zusammen?

Der kurdische Oppositionelle Ramin Hussein Panahi ist trotz internationaler Proteste am 8. September 2018 vom iranischen Regime grausam hingerichtet worden. Zahlreiche internationale Medien berichteten von dem unfairen Urteil. Nun droht seinem Bruder Amjad Hossein Panahi dasselbe Schicksal.

„Liegt es an unserem Aussehen?“ - „Genau!“

„Kommen Flüchtlinge hier nicht rein?“ - „Genau!“

„Danke für die Ehrlichkeit!“

Gestern Abend war ich zusammen mit zwei Frauen, die genau wie ich aufgrund ihres Abfalls vom Glauben verfolgt worden und deshalb nach Deutschland geflüchtet sind, in Köln unterwegs.

Wir waren zuerst in einer Bar und haben etwas getrunken und uns unterhalten. Dann wollte eine gerne tanzen gehen und wir haben den einzigen Tanzclub in der Nähe aufgesucht.


„Unglaublich, du bist doch der, der als Kind im Irak im Gefängnis war? Ich habe immer überlegt, was aus dir geworden ist. Ich bin froh, dass du lebst!“

 

Ich stehe auf der Buchmesse in Frankfurt, als mich plötzlich jemand auf Kurdisch anspricht. Er ist ein Kurde aus dem Iran, hat zum Zeitpunkt meiner Inhaftierung im Nordirak gelebt, dort meinen Fall miterlebt und sich für mich eingesetzt.

Meine Mutter ist eine Zeitreisende. Bisher hat sie ihren Heimatort nur ein einziges Mal und zwar für die Pilgerfahrt nach Mekka verlassen. Nun ist sie für zehn Tage in Europa und fühlt sich wie in einer Science-Fiction. In ihren Augen ist hier alles aufregend und viel schöner als zu Hause: Die Bäume sind grüner, die Straßen sind sauberer, die Menschen sind sportlicher.

Mein Freund hat nach seiner Flucht aus Syrien nach Deutschland alles richtig gemacht.  Sobald es möglich war, hat er sich eine Arbeit gesucht. Er hat bereits in Syrien als Handwerker gearbeitet und ist in seinem Fach sehr versiert und arbeitet nun in seinem Spezialgebiet. Aber natürlich ist die Stelle befristet und selbstverständlich bekommt er nicht denselben Stundenlohn wie seine Kollegen, schließlich ist er nach deutschem Maßstab ungelernt.

Ich kann das generelle Vollverschleierungsverbot in Dänemark ablehnen, ohne Burka oder Niqab zu verharmlosen. Ich kann auch gegen Kleidervorschriften im öffentlichen Raum sein und trotzdem für ein Kopftuchverbot in bestimmten Kontexten argumentieren. Ich kann den Islam gefährlich finden und muss deswegen nicht jeder Islamkritik zustimmen. Und ich kann Islamisten verachten und ihnen trotzdem ein faires Asylverfahren zugestehen.

„Ohne Hijab?“ Ich habe meinen eigenen Augen nicht getraut, als sie mir kürzlich ein aktuelles Foto von sich in einem Restaurant in Erbil geschickt hat, auf dem sie ihre langen schwarzen Haare offen zur Schau trägt. Seit ihrer Pubertät bedeckt sie ihre Haare in der Öffentlichkeit. „Ich habe es meinem Mann versprochen, einmal ohne Kopftuch rauszugehen. Er findet es schön, aber ich mache das nie wieder, denn ich bin eine ehrbare Frau!“ erklärt sie mir. Tja, manchmal ist die Wirklichkeit kompliziert.

Er spricht Englisch mit mir, er traut sich nicht, Kurdisch zu sprechen, so groß ist seine Angst davor, dass jemand ihn belauschen könnte. Das Thema ist für ihn so mit Scham belegt und er hat furchtbare Angst davor, was passieren könnte, wenn jemand seine Gedanken erfahren würde.

„Ist der Koran schuld?“ – „Was steht dazu im Koran?“ – „Du deutest den Koran ganz falsch!“

Als Ex-Muslim werde ich sehr oft gefragt, was ich vom Koran halte. Und noch öfter wird mir vorgeworfen, dass ich den Koran nicht richtig lese. Aber ehrlich gesagt geht mir der Koran so ziemlich am Arsch vorbei.

Meine Flucht hat meine Eltern insgesamt 16.800,- Dollar gekostet. Mein Vater musste dafür sein Auto verkaufen und Geld leihen. Er hat das gemacht, nur um mich in Sicherheit und aus ihrem Leben zu bringen und hatte nie die Erwartung, dass ich die Familie nachhole.

Die meisten Geflüchteten, die ich kenne, haben sehr viel Geld für ihre Flucht ausgegeben. Meistens haben sie alles verkauft, was sie besitzen. Denn für die illegale Reise nach Europa nehmen die Schleuser unfassbare Summen.