Neue Regierung im Libanon ohne Hisbollah – Ein Neuanfang oder die alte Täuschung?

Haus in Beirut, Bild: Thomas v. der Osten-Sacken
Im Libanon gibt es wieder offiziell eine Regierung. Damit sind viele Hoffnungen verbunden.
Es geschehen noch Zeichen und Wunder im Nahen Osten. Oder zumindest das, was man in westlichen Thinktanks dafürhält. Am 8. Februar bekam der Libanon seine erste vollwertige Regierung seit 2022 – und diesmal ohne die Hisbollah. Zum ersten Mal seit 2005 hält die „Partei Gottes“ keinen einzigen für Schiiten reservierten Sitz im Kabinett. Sofort war die Rede von einem historischen Wendepunkt. „Reformregierung“, „politischer Neuanfang“ – die Propaganda lief auf Hochtouren, während in den Hinterzimmern Beiruts wohlige Stille herrschte.
Denn wer den Libanon kennt, weiß: Große Illusionen sind hier schneller gestrickt als die Stromversorgung zusammenbricht. Das politische Spiel bleibt das gleiche – nur die Masken wechseln.
Die Tradition des libanesischen Nationalpakts – Machtteilung als Prinzip
Natürlich gibt es in der Regierung weiterhin schiitische Minister. Das ist im Libanon keine Überraschung, sondern Normalität. Gemäß der Tradition des libanesischen Nationalpakts ist die Regierung konfessionell genau austariert: Christen und Muslime stellen jeweils die Hälfte der Minister, und unter den muslimischen Ministern gehören mindestens 50 % der schiitischen Konfession an.
Dieser Nationalpakt, 1943 eingeführt, um die konfessionellen Spannungen zu entschärfen, hat sich über die Jahrzehnte als politisches Gerüst etabliert. Doch was einst als Kompromiss gedacht war, wurde schnell zu einem Instrument der Machtkontrolle, das jede Regierung in einen fragilen Balanceakt zwingt.
Premierminister Nawaf Salam und Präsident Joseph Aoun versprachen eine neue Herangehensweise: Die Minister sollten nach ihrer fachlichen Kompetenz und nicht nach Parteibuch ausgewählt werden. Eine Regierung von Experten, nicht von Parteisoldaten. Doch hinter dieser Fassade versteckt sich das alte Spiel: Alle Religiösen Gruppen mussten irgendwie repräsentiert werden, und jede politische Bewegung stellte sicher, dass ihre Interessen gewahrt blieben.
Das Ringen um das Finanzministerium – Machtspiele im Hintergrund
Ein besonders erbitterter Streitpunkt war das Finanzministerium. Das „schiitische Duo“ – die Amal-Bewegung und die Hisbollah – wollte diese Schlüsselposition unbedingt in ihrer Hand behalten. Schließlich kontrolliert der Finanzminister nicht nur die staatlichen Kassen, sondern hat auch erheblichen Einfluss auf die Wirtschaftsreformen, die der Libanon so dringend benötigt.
Der Kompromiss, auf den sich Premierminister Salam und Präsident Aoun einließen, war typisch für die libanesische Politik: Das Finanzministerium bleibt bei einem von Amal empfohlenen Kandidaten, mit der höflichen Zusicherung, sich nicht allzu sehr in die Arbeit der anderen Ressorts einzumischen. Die Forces Libanaises, unter der Führung von Samir Geagea, erhielten im Gegenzug zwei Schlüsselministerien: Außenpolitik und Energie.
Das eigentliche Novum liegt jedoch in der Tatsache, dass die Hisbollah erstmals keinen einzigen Minister direkt stellt. Seit 2008 verfügte die Gruppe über das sogenannte Sperrvetorecht, mit dem sie wichtige Entscheidungen blockieren konnte. Wer das blockierende Drittel in der Tasche hatte, war im Libanon mächtiger als der Premierminister selbst.
Mit oft nur zwei Ministern konnte die Hisbollah strategische Koalitionen bilden und so jede unliebsame Entscheidung verhindern – von Haushaltsplänen bis zu Reformprogrammen. Doch nun ist dieses Drittel verschwunden. Auf dem Papier scheint die Hisbollah entmachtet, doch wer glaubt, die Gruppe sei wirklich geschwächt, hat weder Beirut verstanden noch die politische Überlebenskunst der Partei.
Premierminister Salam und Präsident Aoun sprechen von einer „Regierung der Reform und Rettung“. Die Minister seien Fachleute, keine Politiker. Tatsächlich gibt es in der neuen Regierung fünf Frauen – für den Libanon ein bemerkenswerter Fortschritt. Hoffnung keimt auf, wenn auch vorsichtig.
Die Aufgaben sind gewaltig: Ein bankrotter Staat, zerstörte Infrastruktur, Korruption und ein tiefes Misstrauen der Bevölkerung gegenüber allen politischen Eliten. Die Zeit bis zu den Parlamentswahlen im Mai 2026 wird kurz sein. Ohne sichtbare Fortschritte wird das Vertrauen schnell verpuffen.
Die geopolitische Dimension – Entwaffnung oder Illusion?
Auch international ist die Erwartung groß. Die USA und Saudi-Arabien drängen darauf, dass die Hisbollah nicht nur aus der Regierung verschwindet, sondern auch entwaffnet wird. Ein gefährlicher Plan, der leicht das fragile Gleichgewicht zerstören könnte.
Denn die Hisbollah ist nicht nur eine Miliz – sie ist ein (oft Krimineller) Staat im Staat. Banken, Hafen, Flughafen, Telekommunikation und Drogenhandel: Überall hat sie ihre Finger im Spiel. Eine Entwaffnung der Gruppe würde nicht ohne massiven Widerstand ablaufen. Ein direkter Konflikt scheint fast unvermeidlich, sollte die Regierung tatsächlich ernsthafte Schritte in diese Richtung unternehmen.
Die neue Regierung ist zweifellos ein politischer Wendepunkt. Doch ob sie den Libanon wirklich auf einen neuen Weg führen kann, bleibt abzuwarten. Die Chance ist da – aber auch das Risiko.
Die Hisbollah wartet derweil – geduldig, wie immer. Ein Tiger, der nie ganz verschwindet, sondern nur eine Pause macht, bis die Zeit für sein Comeback reif ist. Die Frage ist nicht, ob die Regierung eine historische Gelegenheit hat. Die Frage ist, ob sie den Mut und die Mittel besitzt, diese zu nutzen.
Wenn nicht, wird die Geschichte des Libanon um ein weiteres Kapitel der verpassten Chancen reicher. Und die Illusion einer Veränderung wird sich erneut in Luft auflösen.