Sonntag, 19.01.2025 / 21:20 Uhr

Notizen aus Damaskus (Teil III): Sednaya-Gefängnis

Dritter Teil der Notizen aus Syrien (Teil I und II hier und hier).

Der Folterknast auf dem Hügel

Freitag, 17. Januar: Man sieht es schon von weitem. Das Gefängnis Sednaya war eine der bekanntesten Institutionen des Terrors der Assad-Diktatur. Es liegt auf einem Hügel einen halben Kilometer von der ersten Gebäuden der überwiegend christlich bewohnten Stadt Sednaya entfernt. Der Knastkomplex umfasst ein großes abgezäuntes Gelände mit mehreren Gebäuden, drei Mauer- bzw. Zaunanlagen sollten die Flucht von Gefangenen verhindern. Wir sind mit Mohamad unterwegs, einem ehemaligen syrischen Oppositionellen, der mittlerweile für eine NGO im Nahen Osten arbeitet und in Jemen stationiert it; nach über zehn Jahren ist er erstmals zurück nach Syrien in seine Herkunftsstadt Yabroud gekommen. Er hat einen Bekannten mitgebracht, der einen Angehörigen in Sednaya-Gefängnis verloren hat.

 

Das Eingangstor des Kastkomplexes ist massiv. Ein halbes Dutzend Bewaffneter, teils in Camouflage, teils in Schwarz mit Sturmmaske, bewacht es. Nach etwas Palaver lassen sie uns durch. Auf der einige Hundert Meter langen Straße bis zur nächsten befestigten Durchfahrt passieren wir einen ausgebrannten Panzer russischer Provenienz, dann einen grünen dreiachsigen Kampfwagen mit platten Reifen. Von dort führt eine von Bäumen gesäumte Straße direkt zu dem größten Knastgebäude. „This is the road to hell“, sagt Mohamad.

In einige Schuppen und Garagen rechts von der Straße stehen einige offenbar bei den Kämpfen um den Knastkomplrx zerstörte Militär-Lkws mit zerschossenen Scheiben und Motorhauben.

Dann erreichen wir das erste große Gebäude, in dem Gefangene untergebracht waren: dreistöckig, über Eck gebaut. Am Eingangstor hängen Flugblätter, meist mit Porträtbildern junger Männer und einer Telefonnummer oder einem Whatsapp-Kontakt; es geht um die Suche nach Vermissten.

Ein Gebäudeteil ist in den syrischen Nationalfarben und den zwei grünen Sternen bemalt, Brandspuren zieren es. Über eine breite Treppe geht es hinein in das Gebäude. Ein großer Saal erwartet einen. Rechts und links an den Wänden sind in einem Abstand von einem knappen Meter von der Wand Gitterstäbe angebracht, es sind schmale Zellen; möglicherweise zur Unterbringung der Gefangenen vor der Registrierung.

 

Dort findet sich zudem ein Loch in der Wand, durch das man über eine Treppe in ein Geschoss darunter gelangt. In einigen Gängen befinden sich rechts und links Zellen, circa 1,5 mal zwei Meter groß. Die waren für Dunkelhaft. Auf dieser Ebene gruben Helfer Löcher in den Boden, um in unterirdische Geschosse zu gelangen; es war ein Wettlauf mit der Zeit, um die in den dortigen Verliesen untergebrachten Gefangenen vor dem Verdursten zu retten.

 

Von der vermutlichen Registratur führt ein Gang ins Zentrum des Gebäudes. Ganz zentral steht ein großer sechseckiger Käfig. In ihm führt eine Wendeltreppe drei Stockwerke nach oben; jede Ebene konnten die Wärter so durch Gittertüren erreichen und die Kontrolle von mehreren Zehntausend Gefangenen wurde so erleichtert. Eine kleine Referenz an das Panoptikum, das Foucault in „Überwachen und Strafen“ beschrieben hatte? Zwei Typen mit Kameras und eine Frau kommen die Wendeltreppe herab, ein amerikanisches Medienteam. Kurze Unterhaltung.

 

Von dem Raum mit der Wendeltreppe führen sechs Gänge ab. Rechts Fenster, links große Zellen. Ohne Fenster. Sammelzellen für circa 25 oder 30 Gefangene. Unten an der massiven Eisentür eine Klappe, um Essen durchzureichen. Auf dem Zellenboden liegen Klamotten. Keine Matratzen. Trotz der Kälte. An den Wänden Nägel, an einigen hängen Kleidungsstücke. Hier waren Gefangene monate-, jahrelang weggesperrt. Noch immer, sechs Wochen nach Befreiung - bei offenen Türen - der Gefangenen, liegt ein penetranter Geruch, eine Mischung aus Toilette, ungewaschenen Kleidern, Schweiß und Angst, in der Luft. Man möchte sich gar nicht vorstellen, wie es hier vor sechs Wochen gerochen hat. Neben Folter, systematischer Mangelernährung und allen erdenlich anderen Demütigung war dies eine weitere Form, Menschenwürde zu zerstören. 

 

Die beiden weiteren Stockwerke sehen genauso aus. Ungefähre Hochrechnung: Sechs Gänge mit je zwölf Sammelzellen für etwa 25 Gefangene mal drei Stockwerke – das reicht für mehr als 5500 Gefangene.

Im obersten Stockwerk führt eine Treppe nach oben, ein Durchbruch führt aufs Dach. Auf einem Treppenabsatz ist an der Wand in drei Metern Höhe eine Metallstütze mit einer Rolle angebracht: Hände des Gefangenen auf den Rücken fesseln, ihn über die Rollen in die Höhe ziehen, hängen lassen.

Im Seitenflügel befindet sich der Frauentrakt. Er ist nicht ganz so groß.

 

Ein weiteres Knastgebäude trägt ausgedehnte Brandspuren, im Innern Brandgeruch. Davor liegt Stacheldraht in Rollen. Drinnen Dunkelzellen. In einigen Sammelzellen gibt es Fenster, dort finden wir neben Klamotten persönliche Gegenstände auf dem Boden: Spielkarten, die aus Zigarettenschachteln gebastelt wurden; Tablettenblister, kleine mit Bleistift gemalte Bilder. An den Wänden hängen Styroporschachteln für die persönliche Habe. In einer Zelle hängt ein Blatt Papier mit vier ausgeschnittenen Herzen an der Wand. Mohamad findet ein offizielles Dokument, das einen gefangenen Offizier der Armee betrifft,

 

„Es reicht“, sagt Mohammed. Genug an Schrecken. Zurück zum Ausgang. Die Bewaffneten schauen in den Kofferraum. Nein, wir haben nicht geplündert. Plündern zu verhindern, ist jedenfalls vernünftig.

(Amnesty Internation hat vor einiger Zeit einen ausführlichen Bericht über den Horror in Sednaya veröffentlich, in dem alle Formen von Folter und Misshandlungen deatilliert beschrieben werden.)

Der „Bürgermeister“ von Yabroud

Mohamad lädt uns zu sich nach Hause ein. In Yabroud, nahe der Grenze zum Libanon. Bei ihm daheim treffen wir Abdullatif, der als politisch Verantwortlicher – so heißt es derzeit in den Ministerien und Behörden, weil die Funktionsträger nur übergangsweise ihre Posten bekleiden -, ungefähr einem Bürgermeister entsprechend, in Yabroud arbeitet. Er ist etwa Mitte vierzig, schlank, etwa 1,85 Meter groß, kein Bart, straffe Haltung. Er erzählt seine Geschichte:

2011 war er Offizier der syrischen Armee in Dera’a, wo im März die ersten Proteste ausbrachen. Er weigerte sich, auf Oppositionelle zu schießen, wurde verhaftet und in Sednaya eingesperrt. Er war in einer Gruppe von 27 inhaftierten Militärangehörigen. Jeden Tag mussten sie vier aus ihrer Gruppe auszuwählen; die wurden geprügelt – eine halbe Stunde, eine Stunde. Sie einigten sich darauf, das der Reihe nach zu erleiden. Es gab wenig zu essen, ein Foto von ihm nach seiner Entlassung zeigt ihn mit eingefallenen Gesichtszügen. Nach drei Jahren zahlte seine Familie 100 000 Dollar für seine Entlassung aus Sednaya. Er saß in Hausarrest. Dann konnte er nach Idlib gehen, wo er in der Verwaltung arbeitete. Vor ein paar Wochen fragten ihn Leute von HTS, ob er den Posten als eine Art Interimsbürgermeister in Yabroud einnehmen wolle. Er stimmte zu.

Mohamed und Abdullatif zeigen uns ihre Stadt. Zunächst eine große Kirche. Im Vorraum ein Tannenbaum mit goldenen Kugeln. Das Innere der Kirche ist prächtig ausgestattet; Heiligen- und Marienbilder an den Wänden, ein großer Orientteppich auf dem Boden, ein Riesenkronleuchter, eine Krippe mit Holzfiguren unter der Kanzel. Zwei Jungs betätigen sich dynamisch als Glöckner von Yabroud. Das ist das Signal für den Gottesdienst. Zwei, drei Dutzend Gläubige erscheinen. Wir wollen nicht stören und ziehen weiter.

 

Auf zur Homebase von Abdullatif. Vor der Behörde eine Handvoll Bewaffneter. Sie begrüßen Abdullatif und und lassen uns eintreten. Die Räume sind frisch gestrichen, unten grau, dann weiß. Ein Junge in Camouflage kommt mit einem Tablett voller Fläschchen mit Saft. Dankeschön! Aus Abdullatifs Büro im ersten Stock verziehen sich unauffällig ein paar bärtige Jungs mit Essensresten und Aschenbechern. Im frisch gestrichenen Raum hängt eine Uhr in Form einer Gitarre. Am Schreibtisch tippt ein junger Typ in Camouflage im Che-Guevara-Look auf einem Laptop - lange Haare, Zottelbart und Käppi. Dann verlässt auch er den Raum. Wir plaudern ein wenig. Dann geht’s retour nach Damaskus.