Samstag, 21.05.2022 / 20:15 Uhr

Nach Wahlverlusten der Hizbollah: Wie weiter im Libanon?

Von
Gastbeitrag von Hossam Sadek

An der Corniche von Beirut, Bild: Thomas v. der Osten-Sacken

Die Hisbollah und ihre Verbündeten haben die Mehrheit im neu gewählten Parlament verloren, was einen schweren Schlag für die Partei bedeutet und die Zukunft des Landes ungewiss macht.

 

Die Hisbollah, die wichtigste politische und militärische Kraft im Libanon, und ihre Verbündeten, darunter die christliche Partei Freie Patriotische Bewegung von Präsident Michel Aoun, erhielten 71 von 128 Sitzen im scheidenden Parlament.

Das Endergebnis der Wahlen vom vergangenen Sonntag ergab zwar, dass die Hisbollah und ihre Verbündete, die schiitische Amal-Bewegung unter der Führung des scheidenden Parlamentspräsidenten Nabih Berri, alle der schiitischen Gemeinschaft zugewiesenen Sitze (31 Sitze) im Land gewonnen haben. Allerdings verloren andere Partner der Hisbollah in mehreren Wahlkreisen Sitze.

So konnte etwa die mit der Hisbollah verbündete Freie Patriotische Bewegung ihre christliche Parlamentsmehrheit nicht halten, nachdem sie einige Sitze an ihren Rivalen, die Partei der Libanesischen Kräfte, verloren hatte und nur 18 Sitze erzielte (2018 waren es 21). Auch der Hisbollah nahestehende Politiker konnten ihre Sitze nicht verteidigen, wie der Abgeordnete der Syrischen Sozialen Nationalistischen Partei, Asaad Hardan, der seinen Sitz seit 1992 innehatte, ihn jetzt aber an Elias Jradi, einen Kandidaten der Liste Gemeinsam für den Wandel verlor; oder der drusische Politiker Talal Arslan, der sich dem unabhängigen Kandidaten Marc Daou geschlagen geben musste.

Die Partei Libanesische Kräfte, die gute Beziehungen zu Saudi-Arabien unterhält, sicherte sich dagegen mit 20 Sitzen den Sieg und gewann gegenüber den Wahlen von 2018 fünf Sitze dazu. Laut der Nachrichtenagentur Reuters haben die Oppositionslisten, die aus den im Jahr 2019 ausgebrochenen Protesten gegen die politische Führung und die Hisbollah hervorgegangen sind, den endgültigen Ergebnissen gemäß 13 Sitze im neuen Parlament gewinnen können.

Auswirkungen des Ergebnisses

Insgesamt haben die Hisbollah und ihre wichtigsten Verbündeten, die Amal, die Freie Patriotische Bewegung und die Marada-Bewegung, nur 62 Sitze errungen und damit um neun weniger als bei den letzten Wahlen, bei denen sie auf 71 gekommen waren. Damit hat das Bündnis die parlamentarische Mehrheit verloren, die es ihm bislang ermöglichte, die politischen Entscheidungen im Land zu kontrollieren.

Daneben gibt es im neuen Parlament nun vier große Blöcke, die sich gegen die Politik der Hisbollah und gegen die Beibehaltung der Waffen in den Händen der Milizen wenden.

  • Der erste ist der Block der Zivilgesellschaft mit 13 Sitzen.
  • Dann folgt der Block der Opposition und der Unabhängigen, zu dem die Phalange-Partei, die Unabhängigkeitsbewegung und unabhängige Politiker gehören, mit zehn Sitzen.
  • Der dritte Block besteht aus der Partei der libanesischen Streitkräfte (20 Sitze) und ihren Verbündeten, den Politikern Ashraf Rifi und Fouad Siniora (ehemaliger Premierminister).
  • Der Block der Sozialistischen Fortschrittspartei (9 Sitze) ist ebenfalls ein erbitterter Gegner der Hisbollah, unterhält aber Beziehungen und Vereinbarungen mit dem Verbündeten der Milizen, dem Parlamentspräsidenten Nabih Berri von der Amal-Bewegung.

Laut einer Analyse der BBC-Korrespondentin im Libanon, Karen Tarabay, haben die Wahlergebnisse eine klare Trennlinie gezogen zwischen der Hisbollah und ihren Verbündeten auf der einen und dem Block, der sich gegen die vom Iran unterstützte Partei stellt, auf der anderen Seite:

»Es ist daher zu erwarten, dass die nächste Phase eine Phase der Polarität sein wird, deren Hauptcharakteristika in der Störung der Arbeit der Institutionen sowie in der Zerrüttung des politischen Prozesses bestehen werden, von den folgenreichsten Entscheidungen bis hin zu jenen, die mit der Verwaltung des täglichen Lebens zu tun haben.«

Der Forscher und Universitätsprofessor Ziad Majed präzisierte Tarabays Aussagen wie folgt:

»Zu den Aufgaben des neuen Parlaments gehören die Wahl eines neuen Präsidenten, die Verabschiedung von Plänen zur wirtschaftlichen Rettung des Landes und der Abschluss von Vereinbarungen mit internationalen Institutionen. (…) Dies muss inmitten einer tiefen politischen Spaltung erreicht werden.«

Der ehemalige libanesische Ministerpräsident Fouad Siniora sagte, die Wahlen hätten belegt, dass die Libanesen genug von der Einmischung der Hisbollah in den politischen Prozess haben:

»Die Ergebnisse der Wahlen zeigen eindeutig die Ablehnung der Hisbollah durch das libanesische Volk und die Ablehnung der Hegemonie und der Kontrollversuche, die die Hisbollah über den Staat ausübte und weiterhin ausübt.«

Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch